Wie Plagiate aufgedeckt werden "Komisch, das hab ich schon mal gelesen"
Wissenschaftliche Arbeiten sind heute leichter zu fälschen als vor 30 Jahren - aber Fälschungen auch leichter aufzuspüren, sagt Plagiats-Expertin Debora Weber-Wulff von der HTW Berlin. Im Interview mit tagesschau.de erklärt sie, wie sie Plagiate aufspürt und warum Hochschulen oft nicht wissen, was sie gegen Fälschungen tun können.
tagesschau.de: Wie sieht das "charakteristische Bild einer plagiierenden Vorgehensweise" aus, das gerade Bildungsministerin Schavan in ihrer Doktorarbeit vorgeworfen wird?
Debora Weber-Wulff: Das ist die wiederholte Übernahme von Aussagen von Autoren, ohne dass diese ausreichend als Quellen gekennzeichnet werden.
tagesschau.de: Wie fällt so ein Plagiat auf?
Weber-Wulff: Das fällt oft beim Lesen eines Textes auf, wenn man plötzlich denkt: 'Hmm, das hab ich woanders schon mal gehört.' Oft passiert das zufällig. Wie bei zu Guttenberg: Man sitzt an einer Buchbesprechung und denkt: 'Komisch. Eigenartige Formulierung. Das kenn ich schon.' Dann beginnt man zu suchen. Natürlich kann man auch gezielt nach Plagiaten in einem Werk suchen. Bei holprigen Übergängen, merkwürdigen Formulierungen oder inhaltlichen Fehlern schaut man dann genauer hin.
tageschau.de: Können Sie ein Beispiel nennen?
Weber-Wulff: Als ich die Arbeit von Georgios Chatzimarkakis (deutscher FDP-Politiker und Mitglied des EU-Parlaments, dem der Doktorgrad aberkannt wurde, Anm. d. Red.) gelesen habe, bin ich über die Aussage gestolpert, dass die Firma CompuServe im Jahr 2000 ein Marktführer unter Internet-Providern sein sollte. Meiner Meinung nach war die Firma da eigentlich schon nicht mehr existent. Das stimmte - die Aussage stammte wortwörtlich aus einem Buch der Stiftung Warentest aus dem Jahr 1997.
tagesschau.de: Wie gehen Sie so einem Verdacht konkret nach?
Weber-Wulff: Man sucht drei bis fünf Wörter aus einem Absatz des Werkes im Internet. Manchmal landet man bei Google Books. In dem Fall besorgt man sich das Buch in der Bibliothek und schaut nach. Wenn man etwas findet, kann man Abschnitte des Buches oder der Arbeit scannen und dann durch eine Vergleichssoftware schicken, die die Doktorarbeit mit dieser Quelle vergleicht.
tagesschau.de: Wie aufwändig ist dieses Prozedere, vor allem Doktorarbeiten von vor beispielsweise 30 Jahren zu überprüfen?
Weber-Wulff: Sehr aufwändig. Es kann Hunderte von Arbeitsstunden mehrerer Personen in Anspruch nehmen. Bei älteren Arbeiten muss alles digitalisiert werden.
tagesschau.de: Wer übernimmt diese Arbeit?
Weber-Wulff: Verschiedene Leute, die so etwas können - neben ihrer eigentlichen Arbeit. Manche gehen ins Fußballstadion oder spielen stundelnang Computerspiele, andere suchen nach Plagiaten.
tagesschau.de: Gibt es Unterschiede im Erstellen von Doktorarbeiten vor 30 Jahren und heute?
Weber-Wulff: In der Wissenschaft ist es schon immer so gewesen - auch vor 30 Jahren -, dass die Worte von anderen nicht als eigene ausgegeben, sondern als Quelle gekennzeichnet werden. Nur wurde vor 30 Jahren noch nicht mit Dateien gearbeitet.
tagesschau.de: Sind Arbeiten heute einfacher zu fälschen als damals?
Weber-Wulff: Durch das Internet sind sie einfacher zu fälschen, aber auch einfacher zu finden.
tagesschau.de: Hat sich seit der Plagiatsaffäre um den damaligen Verteidigungsminister zu Guttenberg etwas geändert?
Weber-Wulff: Die Studierenden sind sehr verunsichert. Die Universitäten wissen auch nicht, was sie tun sollen. Sie kaufen eine Software und sind dann doch oft sehr enttäuscht darüber, dass sie nicht das gewünschte Resultat erzielt.
tagesschau.de: Warum haben die Hochschulen nicht die richtige Software?
Weber-Wulff: Eine Zaubersoftware zur Plagiaterkennung gibt es nicht und wird es auch nicht geben, man braucht vor allem Erfahrung. Ich habe die Arbeit von Herrn zu Guttenberg mit fünf der besten Systeme getestet. Eines sagte, die Arbeit sei zu fünf Prozent ein Plagiat. Ein anderes hat ein korrektes Zitat als Plagiat ausgewiesen. Ein Drittes hat sogar auf die Zeichenreihe "Die Rechts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät der Universität Bayreuth" reagiert und diese als Plagiat gemeldet. Technik allein reicht nicht.
tagesschau.de: Was können die Hochschulen tun?
Weber-Wulff: Es ist wichtig, dass wir eine Kultur des Zitierens hinbekommen; dass die Professoren mit gutem Beispiel vorangehen. Und es ist wichtig, dass die Arbeiten gelesen werden.
tagesschau.de: Wie bitte, Arbeiten werden nicht gelesen?
Weber-Wulff: Das ist auf jeden Fall ein Riesen-Problem. Den Professoren und den anderen Hochschul-Mitarbeitern fehlt dafür die Zeit. Sie nehmen zwar eher eine Arbeit zu viel an als zu wenig, weil die Studierenden ja auch rechtzeitig mit dem Studium fertig werden müssen. Aber es kommen zu viele Studenten auf zu wenige Mitarbeiter. Ich lese meine Arbeiten, aber nicht alle Kollegen tun das.
tagesschau.de: Hat seit zu Guttenberg das Image des Doktor-Titels gelitten?
Weber-Wulff: Nicht in der Wissenschaft. Es werden pro Jahr 25.000 Doktorgrade verliehen, die meisten durch ehrliche und gewissenhafte Arbeit. Und außerhalb ist der Doktorgrad eigentlich nicht wichtig. Er sollte meiner Meinung nach auch aus dem Pass gestrichen werden. Die Leute schreiben ihn auf ihr Klingelschild, aber wozu? Der Doktorgrad hat nur in der Wissenschaft etwas zu bedeuten. Ich glaube zwar, dass jemandem mit Doktortitel mehr Türen offen stehen, aber das Können einer Person sollte nicht nur über den erreichten Hochschulgrad beurteilt werden.
tagesschau.de: Wofür braucht man überhaupt Doktorarbeiten?
Weber-Wulff: Sie sind der Nachweis der selbstständigen Forschertätigkeit. Sie zeigen, dass man erfolgreich forschen kann. Man braucht sie nicht, um Politiker zu werden.
Das Interview führte Thomas Reinhold, tagesschau.de