Fall Tönnies "Das ist ein bisschen wenig"
Die SPD-Politikerin Freitag kritisiert im NDR-Interview den Schalker Ehrenrat. Der hatte die Rassismusvorwürfe gegen Aufsichtsratschef Tönnies zurückgewiesen. Den DFB sieht die Sportpolitikerin gefordert.
NDR info: Der Ehrenrat des Fußball-Bundesligisten Schalke 04 hat entschieden, dass der gegen den Aufsichtsratsvorsitzenden Clemens Tönnies erhobene Vorwurf des Rassismus' unbegründet sei. Was sagen Sie zu der Entscheidung?
Dagmar Freitag: Ich bin schon etwas enttäuscht über diese Entscheidung. Die dürre Erklärung des Ehrenrats ist, dass die Erklärung von Herrn Tönnies begrüßt werde und zustimmend zur Kenntnis genommen werde - ich finde das ist ein bisschen wenig.
NDR info: Was war das denn für Sie? Diskriminierung oder dumpfer Rassismus, wie es ihre Parteikollegin, Bundesjustizministerin Christine Lambrecht, formuliert hat?
Freitag: Auf jeden Fall war es völlig unangebracht und eine Entgleisung mit Wirkung ganz tief in unsere Gesellschaft hinein. Und natürlich: Wenn ich einen ganzen Kontinent und seine Bevölkerung letztlich in eine Ecke stelle, dann erfüllt das für mich schon eher den Tatbestand des Rassismus als nur - in Anführungsstrichen - der Diskriminierung.
Wenig später hatte sich der 63-Jährige entschuldigt: Seine Aussage sei "falsch, unüberlegt und gedankenlos" gewesen.
Unterschiedliche Auffassungen
NDR Info: Sigmar Gabriel, ebenfalls Parteikollege von Ihnen, hat Tönnies ja gegen Rassismusvorwürfe verteidigt.
Freitag: Ja. Dass es unterschiedliche Auffassungen zu dem gibt, was dort passiert ist, das ist in einer Demokratie normal.
NDR info: Wie sollte sich der DFB zu dem Fall verhalten?
Freitag: Der DFB als große Sportorganisation muss hier auch die Werte des Sports in irgendeiner Form insbesondere im Auge behalten. Und ich würde mir von dort ein deutlich klareres Signal wünschen, als es jetzt der Ehrenrat von Schalke gegeben hat.
NDR info: Immer wieder wird ja betont, welches Integrationspotenzial der Sport hat. Der DFB fährt selbst dazu große Kampagnen. Und der Chefredakteur des Fußball-Magazins "11 Freunde" hat gestern früh auf NDR Info sinngemäß gesagt, in der Praxis sei da vieles sehr halbherzig. Teilen Sie die Einschätzung?
Freitag: Ich denke, Verallgemeinerungen sind immer ganz schwierig. Wer so etwas sagt, muss auch Beispiele nennen. Ich würde aber gerne auf den Punkt kommen, dass der Fußball beispielsweise den Slogan propagiert "Say no to racism". Allein das müsste den DFB natürlich in seiner Linie bestärken, da eine etwas klarere Haltung zu finden.
Mehrere Beispiele für sprachliche Entgleisungen
NDR info: Sie haben gesagt, wir brauchen Beispiele. Der Fall Tönnies ist eines für sprachliche Entgleisungen. Wir haben ja auch andere gerade aktuell. Die beiden Kommentatoren eines Spiels des BVB gegen eine italienische Mannschaft - auch das war Thema bei uns. Dann gibt's die Fälle in Chemnitz: Der Kapitän des Fußball-Drittligisten, Daniel Frahn, ist seinen Job los, weil er seine Mannschaft im Fan-Block zusammen mit als rechts eingestuften Gruppen angefeuert hat. Sind das für Sie - nennen wir es mal - Einzelfälle von Unsensibilität?
Freitag: Wir müssen sehr genau hinschauen. Wir müssen aufpassen, dass die Kernbotschaft auch des gestrigen Abends nicht wird: 'Was bei einer offiziellen Festrede salonfähig ist, ist es am Stammtisch erst recht.' Und das gilt natürlich auch für den Sport. Solche Entgleisungen, egal von wem, sind ein Tabubruch ohne Skrupel für die Wirkung, die sie haben. Und die Wirkung in unserer Gesellschaft - insbesondere in diesen Zeiten - ist aus meiner Sicht verheerend. Wir müssen einfach deutlich machen: Ja, Probleme sind anzusprechen. Aber man hat den richtigen Ton zu treffen. Und erst recht, wenn ich ein Amt ausübe, wie Tönnies es tut.
NDR info: Im Kommentar der "Rheinischen Post" heißt es, der DFB habe sich lange als unantastbar gewähnt. Bezogen ist das auf die im Raum stehenden Vorwürfe rund um die Fußball-WM 2006 und die Anklage gegen frühere hochrangige DFB-Funktionäre, bevor die Geschichte verjährt. Wie offen erleben Sie den DFB, wenn es um Reaktionen auf Kritik oder Vorwürfe geht?
Freitag: In persönlichen Gesprächen eigentlich recht offen. Aber die Außenwirkung ist dann doch unterm Strich eine andere. Das muss man ganz deutlich sagen. Was dieses Verfahren jetzt in Sachen um die Vergabe der WM angeht, ist aus meiner Sicht das Hauptmanko, dass das Verfahren gegen Franz Beckenbauer abgetrennt worden ist. Ich glaube, er ist die zentrale Figur in der ganzen Sache.
Das Gespräch führte Ulrike Heckmann, NDR info