Justizminister verteidigt Abschaffung "Im Darknet hilft Vorratsdatenspeicherung nicht"
Der EuGH hat die anlasslose Vorratsdatenspeicherung gekippt, weshalb Justizminister Buschmann nur noch bei konkretem Tatverdacht Daten speichern lassen will. Kritik daran aus dem Innenministerium wies er im tagesschau24-Interview zurück.
tagesschau24: Es ist ein ewiges Streitthema: die Vorratsdatenspeicherung. Das jüngste Urteil des Europäischen Gerichtshofs sollte das ja eigentlich klären, hat aber neue Diskussionen zwischen Ihnen und Ihrer Kabinettskollegin Nancy Faeser ausgelöst. Gleichzeitig wollen Sie ja schon in wenigen Tagen einen Gesetzentwurf vorlegen. Wie wird der denn nun in Bezug auf die Vorratsdatenspeicherung aussehen?
Bundesjustizminister Marco Buschmann: Es herrscht große Einigkeit darin, dass wir die Vorratsdatenspeicherung ersetzen wollen. Ich kämpfe gegen dieses Instrument schon seit vielen Jahren. Wir wollen auch beide Spielräume des Luxemburger Urteils nutzen. Und ich will ja auch die Vorratsdatenspeicherung nicht ersatzlos streichen, sondern sie durch ein sogenanntes Quick-Freeze-Modell ersetzen: ein modernes und auch grundrechtskonformes Ermittlungsinstrument. Zudem haben wir uns auf diese Situation vorbereitet, weshalb der Streit gar nicht so groß ist. Denn der Koalitionsvertrag sagt ganz klar: Alles, was früher in der Vorratsdatenspeicherung geregelt war, wird in Zukunft so geregelt, dass es nicht mehr anlasslos erfolgt. Und eine solche anlassbezogene Speicherung, also wenn ein konkreter Tatverdacht vorliegt, das möchte ich möglich machen - das genau ist Quick-Freeze.
Im Darknet funktionieren nur klassische Ermittlungen
tagesschau24: Aber da hat Ihre Kollegin Nancy Faeser gesagt: Was kann ich denn noch mit Hilfe von Quick-Freeze einfrieren, wenn Daten gar nicht mehr da sind? Sie scheint doch eine andere Auffassung davon zu haben.
Buschmann: Die allermeisten Diensteanbieter speichern Daten aus IT-Sicherheitsgründen. Die pauschale Behauptung, es sei nichts mehr da, stimmt also nicht. Und wir haben insbesondere in dem schwierigen Deliktbereich schwere Gewalt gegen Kinder, sexuelle Gewalt gegen Kinder mittlerweile sehr gute Ermittlungserfolge. Nur noch ganz wenige Fälle scheitern an der Zuordnung einer IP-Adresse - das wird ja immer als Grund genannt. Das sind nur noch 3,5 Prozent. Zu einer Zeit, als es die Vorratsdatenspeicherung alter Prägung noch gab, im Jahr 2017, waren es 40 Prozent. Daran erkennt man schon, dass man nicht einfach sagen kann, mit der Vorratsdatenspeicherung sei das Problem gelöst. Wir brauchen auch gute Ermittlungsarbeit, und die hilft uns.
tagesschau24: Wobei ohnehin gesagt wird, Quick-Freeze bringt nichts, weil es nicht im Darknet anwendbar ist, wo gerade in Bezug auf sexuellem Missbrauch die meisten Fälle ihren Anfang finden.
Buschmann: Da haben Sie Recht. Aber da hilft auch die Vorratsdatenspeicherung nicht. Das Darknet ist ein Bereich, wo die Zuordnung mit technischen Instrumenten unterbunden wird. Deshalb sind wir darauf angewiesen, dass wir uns Informationen auf dem klassischen Ermittlungsweg beschaffen.
tagesschau24: Schauen wir mal auf ein anderes großes Projekt ihres Hauses: Sie haben mal gesagt, es sei die "Zeitenwende im Familienrecht", und zwar die Einführung einer so genannten Verantwortungsgemeinschaft. Wie genau soll das aussehen?
Buschmann: Es gibt einfach andere Lebenssituationen als die Ehe: ältere Menschen, die nicht ins Heim wollen, die vielleicht eine Wohngemeinschaft gründen, aber dann Probleme haben, wenn jemand verstirbt. Was passiert dann mit der Wohnung? Oder wenn einer aus dieser Wohngemeinschaft ins Krankenhaus kommt, dann bekommt man vielleicht keine Informationen über den Gesundheitszustand. Es gibt Alleinerziehende, die sich gegenseitig bei der Kindererziehung helfen wollen, aber die nicht heiraten wollen - weil unsere Gesellschaft eben bunter, mobiler, anders geworden ist. Und das bisherige Familienrecht war sehr stark darauf ausgerichtet, dass es nur die klassische Ehe mit Kindern gibt. Die ist zwar weiterhin wichtig - ich bin auch aus Begeisterung verheiratet. Aber für diese anderen Lebenssituationen müssen wir auch etwas anbieten, um die Verhältnisse für die Menschen rechtssicher zu regeln.
Gasumlage "rechtlich machbar"
tagesschau24: Der Familienbund der Katholiken sagt allerdings, sie setzen damit falsche Anreize für mehr Unverbindlichkeit. Und auch im Grundgesetz steht ja die Ehe unter besonderem Schutz. Was entgegnen Sie solchen Kritikern?
Buschmann: Der besondere Schutz der Ehe steht außer Zweifel. Daran ändert niemand was. Und bei den von mir geschilderten Lebenssituationen wird niemandem etwas weggenommen. Die Senioren in einer Wohngemeinschaft, die Alleinerziehenden, die sich helfen - die wollen ja nicht heiraten oder sich adoptieren. Wir bieten einfach nur einen zusätzlichen Schutz an. Und sehr viele Fachleute begrüßen das. Ich bekomme positive Rückmeldungen sogar aus dem Kreis von sehr gläubigen Katholiken, die sagen: Das ist sogar ein Prinzip der katholischen Soziallehre. Dass man nämlich Menschen befähigt, sich selbst zu helfen, statt immer sofort nach dem Staat zu rufen.
tagesschau24: Jetzt fragen sich einige Zuschauer wahrscheinlich, warum wir über die großen Themen unserer Zeit nicht sprechen: Uniper, Gaspreise, Inflation. Da wollten Sie sich heraushalten, weil das nicht Ihr Haus betreffe. Heißt das, Sie sind ganz froh, dass Ihre Themen gerade weniger im Fokus stehen?
Buschmann: Also ich beschäftige mich natürlich auch als Regierungsmitglied mit den großen Fragen. Und wir sind als Justizministerium damit beschäftigt, nicht nur die Rechtsförmlichkeit, sondern auch die Verfassungsmäßigkeit zu prüfen. Bei der Gasumlage gab es die Frage, ob das rechtlich bedenklich sei. Allerdings sagen sowohl das Finanzministerium als auch das Kanzleramt und meine Fachleute, dass das rechtlich machbar sei.
Das Gespräch führte Constantin Schreiber, tagesschau24. Für die schriftliche Fassung wurde das Interview leicht angepasst.