Rechtsextreme in Gefängnissen So kommunizieren Neonazi-Netzwerke
Netzwerke inhaftierter Neonazis sind seit langem bekannt, sagt ARD-Terrorismusexperte Holger Schmidt. Im Interview mit SWR2 erläutert er, wie die Gefangenen untereinander kommunizieren und welchen neuen Weg sie inzwischen nutzen. Und er macht deutlich, wer ein Verbindungsglied zur Terrorzelle NSU gewesen sein soll: Mandy S.
SWR2: Was ist das für ein rechtes Netzwerk, das in Hessen jetzt aufgedeckt wurde?
Holger Schmidt: Es ist ein Kommunikationsnetzwerk, bei dem es darum geht, dass Neonazis untereinander Kontakt halten. Es geht überwiegend um Solidarität und Kameradschaft - das wird bei den Neonazis ganz groß geschrieben. Es ist eine Art verschworene Gemeinschaft. Man will unter den Neonazis signalisieren: Selbst in Haft, wenn der "böse Staat" Euch weggesperrt hat, halten wir die Solidarität mit Euch aufrecht. Nach meinem Eindruck ist das auch deswegen wichtig, weil man verhindern will, dass die Leute im Gefängnis zum Nachdenken kommen und begreifen, welcher Ideologie sie eigentlich angehören.
Das ist aber alles nicht neu. Wir haben seit vielen Jahren solche Netzwerke. Die Hilfsorganisation für nationale Gefangene (HNG) war eine Organisation, die im September 2011 verboten wurde und vorher ganz kräftig diese Solidarität unter den Neonazis gepflegt hat. Die Strukturen, die dahinter standen, sind nie richtig verschwunden und haben sich unter dem Eindruck der neu aufgekommenen Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) noch einmal neu strukturiert.
Holger Schmidt ist Terrorismus-Experte des ARD-Hörfunks. Er beschäftigt sich vor allem mit der Entwicklung des islamistischen Terrorimus in der Bundesrepublik. Seine Recherchen veröffentlicht er auch in seinem Internet-Blog "Terrorismus in Deutschland".
SWR2: Wie kommunizieren diese Leute untereinander?
Schmidt: Zum einen über Besucher oder per Post. Es ist ein Grundrecht für Gefangene, dass sie in einem gewissen Umfang Kontakte haben dürfen. Oft werden Post- und Besuchskontrollen eingerichtet, wenn die Behörden beispielsweise befürchten, dass es auf diesem Weg irgendwelche Absprachen in laufenden Ermittlungsverfahren geben könnte. Aber solche Kontrollen sind ausgesprochen schwierig, wenn so etwas über verschlüsselte Kommunikation läuft: Wenn zum Beispiel in Briefen Begriffe auftauchen, die eine ganz andere Bedeutung haben, weil man sich auf entsprechende Code-Wörter und Chiffren geeinigt hat. Es ist genauso bekannt, dass manche Szene-Rechtsanwälte das, was sie im vertraulichen Gespräch mit ihren Mandanten besprechen, nach draußen tragen. Das ist übrigens kein neues Phänomen, sondern etwas, das wir schon aus Zeiten der Roten Armee Fraktion kennen, wo es ähnliche Unterstützungsbewegungen wie beispielsweise die Rote Hilfe gab.
Jetzt offenbar neu - und das ist auch das, was die hessischen Behörden so sehr alarmiert - ist eine Kommunikationsform über Zeitungsanzeigen. Man schaltet in Fachmagazinen oder kleineren Zeitungen Anzeigen. Das sieht erstmal ganz unverfänglich so aus, als würde man seine Persönlichkeitsrechte wahrnehmen. Im Ergebnis führt das aber dazu, dass man über entsprechende Schlüsselwörter nach draußen kommuniziert.
SWR2: Was weiß man über Kontakte zum Umfeld der rechtsextremen Terrorzelle NSU?
Schmidt: Seit wir diese Terrorzelle NSU kennen, wissen wir, dass Mandy S. aus Sachsen eine potenzielle Unterstützerin dieses Netzwerks ist. Das ist ein Name, der immer wieder aufgetaucht ist. Sie hat ganz offenbar Beate Zschäpe, der mutmaßlichen NSU-Mitgründerin, mit ihrer eigenen Identität geholfen: Unter dem Namen von Mandy S. ist Beate Zschäpe aufgetreten. Von Mandy S. wissen wir seit langer Zeit, dass sie in dieser HNG organisiert war, dass sie Neonazis in Gefängnissen - übrigens auch in Baden-Württemberg - besucht hat. Da ist die Verbindung zu diesen Hilfswerken und dem NSU seit Monaten klar.
Es ist auch selbstverständlich in der Ideologie dieser Leute, dass man sich um diese Gefangenen, die in der Vorstellung der Neonazis so großartige Dinge vollbracht haben, ganz besonders kümmert. Das führt auch dazu, dass für Ralf Wohlleben, einen der Mitangeklagten des kommenden NSU-Prozesses, der die Tatwaffe besorgt haben soll, schon Propaganda gemacht wird. "Freiheit für Wolle" ist das Stichwort, unter dem das läuft. Da werden T-Shirts verkauft und Solidaritätskonzerte veranstaltet, um ihm zu helfen und Geld für seine Verteidigung zu sammeln.
SWR2: Sind diese Informationen nur die Spitze des Eisbergs? Muss man damit rechnen, dass noch mehr rauskommt – beispielsweise wenn nächste Woche der Prozess gegen das mutmaßliche NSU-Mitglied Beate Zschäpe beginnt?
Schmidt: Ich fürchte, dass es in diesem Prozess durchaus zu Störungen aus dieser Szene kommen kann - dass sich also Leute als Zuschauer in den Prozess schmuggeln könnten, um dann zum Beispiel diesen Slogan "Freiheit für Wolle" zu skandieren. Das ist eine Möglichkeit, die auch das Gericht klar sieht, weswegen es auch relativ viel Sicherheitspersonal im Prozessgebäude und im Verhandlungssaal selber geben wird. Ganz grundsätzlich dürfen wir uns keine Illusionen über die Zustände im Strafvollzug machen. Auch in anderen Phänomenbereichen - selbst bei islamistischen Gefangenen in Untersuchungshaft oder Strafhaft - gibt es solche Solidaritätsnetzwerke oder -bewegungen. Man kann ohne Übertreibung sagen: Solche Strukturen sind so alt wie der Strafvollzug. So etwas hat es gegeben und so etwas wird es auch in der Zukunft geben.
Das Interview führte Albrecht Ziegler für SWR2.