Was tun gegen Hatespeech? "Im Netz fehlt der Augenkontakt"
Wie reagiert man richtig, wenn Menschen ihren Hass ins Netz kippen? Durchatmen, öffentlich machen, Verbündete suchen, rät die Journalistin Ingrid Brodnig. Ein Gespräch über Enthemmung im Netz und Handlungsmöglichkeiten im Umgang damit.
tagesschau.de: Die Mehrheit der Nutzerinnen und Nutzer lehnt Hatespeech im Internet ab. Gleichzeitig stehen viele dem Phänomen hilflos gegenüber und fragen sich, ob man als einzelne Person überhaupt etwas dagegen tun kann. Was empfehlen Sie denn?
Ingrid Brodnig: Wichtig ist, dass man sich ein erreichbares Ziel für die Diskussion setzt. Meistens scheitern Diskussionen daran, dass man den anderen überzeugen will. Es gibt aber Leute, die in ihren Positionen einem selbst diametral gegenüber stehen. Die kann man in 99 Prozent der Fälle nicht überzeugen. Wenn ich einsehe, dass ich absolut Andersdenkende nahezu nie überzeugen werde, kann ich mir überlegen, was sinnvolle Ziele sein könnten.
tagesschau.de: Was wären denn sinnvolle Ziele?
Brodnig: Ein sinnvolles Ziel kann sein, Opfer in Schutz zu nehmen. Wenn jemand niedergemacht wird, könnte man zum Beispiel schreiben: Ich finde es nicht in Ordnung, wie hier über Person X gesprochen wird. Das ist einfach und wenig Aufwand, ist aber schon ein wichtiges Signal für die Betroffenen.
Ein anderes Ziel kann sein, dass ich für die Mitlesenden - die womöglich für Fakten erreichbar sind - Informationen liefere, zum Beispiel Links, hinter denen man mehr zum Thema erfahren kann.
Bei beidem geht es darum, sichtbar zu machen, dass jemand das anders sieht. Das ist wichtig, um Mitlesenden in Erinnerung zu rufen: Es ist nicht normal, in so einer Aggression über andere Menschen zu schreiben. Die Verfasser von Hasskommentaren halten sich für Vertreter einer Mehrheit – sind sie aber nicht[.
Grundsätzlich rate ich auch, sich schon vor dem Diskutieren zu überlegen, wie viel Zeit man bereit ist, einzusetzen, und welche Ziele man dabei verfolgt. Sonst besteht die Gefahr, dass man sich emotional verausgabt, viel Zeit investiert, aber wenig bewirkt.
tagesschau.de: Gibt es bei den Handlungsmöglichkeiten einen Unterschied, ob ich Betroffene von Hass im Netz oder Zeugin bin?
Brodnig: Ja. Zum einen sollte die Betroffene immer die Deutungshoheit haben, das ist wichtig. Die Betroffenen entscheiden, ob sie etwas öffentlich machen oder wie stark sie verbreiten möchten, was ihnen geschieht. Deshalb sollte ich als Zeugin, die helfen möchte, lieber zuerst fragen, ob es okay ist, wenn ich etwas öffentlich anspreche. Man sollte den Betroffenen zeigen, dass man hinter ihnen steht und sie fragen, ob man ihnen helfen kann oder soll.
"Riskant, das Problem alleine lösen zu wollen"
tagesschau.de: Wenn ich von Hasskommentaren selbst betroffen bin, wie kann ich mich dagegen wehren?
Brodnig: Ganz wichtig: Erstmal durchatmen, bevor man entscheidet, ob man antwortet. Die größten Fehler passieren, wenn man man das nicht tut und prompt selbst antwortet oder so, dass man sich nachher ärgert. Wenn man nach dem Durchatmen merkt, dass man da keine gelassene Ebene findet, kann man auch einen guten Freund bitten, den eigenen Account für eine gewisse Zeit zu übernehmen.
Betroffene versuchen zu oft, das Problem selbst zu lösen. Das ist ein riskanter Weg. Deshalb ist eine gute Strategie auch, anderen zu erzählen, was einem gerade passiert. Wenn man plötzlich von vielen Accounts attackiert wird, kann man davon einen Screenshot machen und diesen selbst posten mit dem Hinweis, dass dies gerade geschieht. Das löst oft Solidarität aus.
tagesschau.de: Was ist denn, wenn das eigene Umfeld für das Thema nicht sensibilisiert ist und Ratschläge erteilt, wie: "Man muss schließlich nicht unbedingt auf Twitter schreiben." Wie können Betroffene ihr Umfeld dafür sensibilisieren, dass das, was ihnen gerade passiert, nicht einfach nur virtuell im Internet stattfindet, sondern ernst ist?
Brodnig: Wenn Betroffene von Hatespeech in ihrem persönlichen Umfeld mit dem Thema allein sind, rate ich, sich unbedingt mit Leuten zu vernetzen, die ähnliche Erfahrungen machen. Wenn man zum Beispiel als feministische Bloggerin extreme Anfeindungen erlebt, andere Bloggerinnen zu kontaktieren, die ähnliche Situationen durchmachen. Es stärkt, wenn man sieht, dass man nicht der Einzige ist, dem so etwas widerfährt.
In vielen dieser ganz schlimmen Postings steht, dass man vergewaltigt gehört. Oder es wird einem detailliert erklärt, wie hässlich und wertlos man sei. Gerade Frauen werden oft sehr sexualisiert bedroht. Es ist sehr wichtig, sich dann mit Menschen auszutauschen, die das nicht verharmlosen. Manche Beobachter machen es sich zu einfach, wenn sie sagen, ‘das sind ja nur Worte’ oder ‘du musst ja nicht auf Twitter sein’. Erstens sollten sie sich mal in die Situation versetzen, wie es ist, wenn man über sich liest, man sollte vergewaltigt werden. Zweitens kann die Lösung ja nicht sein, dass wir den Rüpeln das Feld überlassen.
tagesschau.de: Einige Betroffene, darunter Politikerinnen und Bloggerinnen, haben inzwischen Videos veröffentlicht, in denen sie Hasskommentare vorgelesen haben. Ist das ein sinnvoller Umgang damit?
Brodnig: Absolut. Es hat den Effekt, dass durch das geballte Wiederholen der Anfeindungen vielen Menschen erst das Ausmaß von Hasskommentaren klar wird. Man lässt sich nicht einschüchtern, sondern man macht es öffentlich. Und gerade in Videos sieht man auch die Gesichter der betroffenen Menschen und man merkt intuitiv, wie sehr Hasskommentare eigentlich emotional belasten.
"Quelle von offenem Hass"
tagesschau.de: Gibt es Themen, bei denen das Risiko höher ist, Opfer von Hasskommentaren zu werden?
Brodnig: An sich kann es einem überall passieren, dass man extrem aggressiv oder beleidigend angegangen wird. Aber es gibt Bereiche, in denen die Gefahr viel größer ist. Das sind politische Streitthemen, Themen, zu denen es gesellschaftlich keinen Konsens gibt. Dazu gehört die Frage, wie viel man noch für die Gleichberechtigung von Frauen und Männern tun muss. Oder Integration, die Aufnahme von Flüchtlingen - alles, worüber Menschen offline streiten, wird online zu einer Quelle von offenem Hass.
tagesschau.de: Woran liegt das, dass die Debatten im Netz schneller hasserfüllt geführt werden?
Brodnig: Zum einen ist im Internet eine allgemeine Enthemmung feststellbar. Ein ganz wichtiger Faktor dabei ist, dass Augenkontakt und andere nonverbale Signale fehlen. Wenn ich einer Frau mitteile, dass sie vergewaltigt gehört, weil sie anders denkt als ich, dann muss ich ihr dabei nicht ins Gesicht schauen, was es leichter macht, solche Dinge zu schreiben.
Außerdem können sich im Netz alle äußern, also auch politische Randgruppen, die sonst in den Medien nicht durchkommen, weil sie dort mit ihren Standpunkten zu extrem wirken. Im Netz aber können sie viel größer wirken, als sie tatsächlich sind. Diese kleinen Randgruppen versuchen, mit Aggression aus vielen Diskussionsrunden Andersdenkende wegzudrängen. Es handelt sich hier um eine kleine Minderheit, die versucht, die Debatte an sich zu reißen.
tagesschau.de: Ab wann sind rechtliche Schritte sinnvoll?
Brodnig: Gerade in Härtefällen sind juristische Schritte angebracht. Wir haben dieses riesige Problem mit Aggression auch deshalb, weil viel zu wenig angezeigt wird. Je persönlicher, bedrohlicher und unter der Gürtellinie die Kommentare sind, desto bessere Karten habe ich, dass die Hasskommentare auch tatsächlich vor Gericht bestraft werden. Wir haben Gesetze gegen Bedrohung, Hetze, üble Nachrede - es ist wichtig, sie zu nutzen und zu zeigen, dass unsere Gesellschaft das nicht toleriert
Das Gespräch führte Anna-Mareike Krause, tagesschau.de