Corona und Gewalt "Die Situation verschärft sich"
Im kleinsten Kreis alleine zu Hause - was gegen das Virus wirken soll, könnte in manchen Familien gefährlich sein, befürchtet die Frauenhauskoordinatorin Heike Herold im Gespräch mit tagesschau.de.
tagesschau.de: Die deutsche Bevölkerung wird sich in der nächsten Zeit noch stärker sozial zurückziehen müssen. Der Fokus liegt dann vor allem auf dem Kernbereich der eigenen Familie. Welche Befürchtungen haben Sie da?
Heike Herold: Wir haben erfahren, dass in anderen Ländern, in denen solche Maßnahmen schon ergriffen wurden, die Fälle häuslicher Gewalt gegen Frauen gestiegen sind. Allein in Wuhan, in der Stadt, in der das Virus seinen Ursprung hat, sind die Hilferufe in die Höhe geschnellt. Nach Angaben der NGO Weiping in Beijing hat es dreimal mehr Anfragen gegeben im Vergleich zu der Zeit vor Beginn der Isolations-Maßnahmen in China.
Die Kinder in diesen Familien sind in besonderem Maße durch die Gewalt gegen die Mütter betroffen. In den vergangenen Tagen ist es auch in Spanien nach Medienberichten zu versuchten Tötungen zwischen Partnern, die sich in der Quarantäne befinden, gekommen. Daher gehen auch wir davon aus, dass in Deutschland die häusliche Gewalt gegen Frauen ebenfalls zunehmen wird.
tagesschau.de: Kann man die Erfahrungen in den anderen Ländern mit der Situation in Deutschland vergleichen?
Herold: Die Bewegungsfreiheit wird auch in Deutschland stark eingeschränkt. Man darf nicht mehr ohne Weiteres raus. Die Kinder können nicht zur Schule oder in die Kita. Dazu kommt das Homeoffice und natürlich für sehr viele auch existenzielle Sorgen. Wie geht es weiter im Job? Können die Rechnungen weiter gezahlt werden? Die Belastung für viele Familien ist daher groß. Die Situation verschärft sich vor allem dort, wo es ohnehin schon Schwierigkeiten in der Partnerschaft gibt.
tagesschau.de: Was macht die Isolation mit den Menschen?
Herold: Das ungewohnte verstärkte Zusammensein in der Familie kann ein großer Stressfaktor sein. Das kann Aggressionen fördern. Wenn man kaum noch soziale Kontakte zu anderen hat, führt das dazu, dass sich auch noch bestehende Probleme in einer Partnerschaft potenzieren können. Es fehlt die Hilfe von außen. Das Gespräch mit den Freunden oder mit der Familie. Nicht alles lässt sich über digitale Medien auffangen. Es gibt auch keine Ausweichmöglichkeiten, keine Möglichkeit etwa im Fitnessstudio Dampf abzulassen. Das kann Gewalt begünstigen.
tagesschau.de: Wie bereiten Sie sich darauf vor?
Herold: Wir rechnen mit einer Zunnahme in den nächsten Wochen. Es gibt in Deutschland ca. 350 Frauenhäuser. Die Plätze dort sind schon ohne die Corona-Krise knapp. Sollte es bestätigte Infektionsfälle oder Verdachtsfälle bei den Bewohnerinnen oder den Mitarbeiterinnen in den Frauenhäusern geben, droht ein Aufnahmestopp. Das heiß, es können keine weiteren schutzbedürftigen Frauen und Kinder aufgenommen werden, um die erforderlichen Maßnahmen zum Schutz vor der Ausbreitung von Corona zu realisieren. Hier sind insbesondere die Kommunen und Bundesländer gefragt. Es braucht schnelle und kreative Lösungen, etwa um alternative Schutzunterkünfte und eine entsprechende Beratung der Frauen zu sichern oder polizeiliche Maßnahmen zum Schutz der Frauen in ihren Wohnungen zu ergreifen. Schutz von Frauen und ihren Kindern vor Gewalt darf auch in Zeiten der Corona-Krise nicht hinten runter fallen.
tagesschau.de: Was raten Sie Betroffenen?
Herold: Wir weisen gerade in der jetzigen Zeit darauf hin, aufmerksam zu sein. Auch als Nachbar, als Freunde oder Bekannte. Hilfe und telefonische Beratung bietet das bundesweite Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen" rund um die Uhr konstelos unter: 08000-116016 an. Es können sich auch Freunde, Angehörige und Nachbarn an das Hilfetelefon wenden. Und wenn es eskaliert, sollte niemand davor zurückschrecken, dann die Polizei zu rufen.
Das Gespräch führte Iris Marx, tagesschau.de.