Bundeswehr-Befehlshaber für Auslandseinsätze "Es wäre vernünftig, wenn wir in Afghanistan blieben"
Ob Afghanistan oder Mali - General Fritz führte zuletzt alle Auslandseinsätze der deutschen Streitkräfte. Im Interview mit tagesschau.de bilanziert er, wie der Krieg in Afghanistan Gesellschaft und Armee verändert hat, und erklärt, warum es gut wäre, wenn die Bundeswehr länger am Hindukusch bliebe.
tagesschau.de: Sie haben in den vergangenen Jahren die Auslandseinsätze der Bundeswehr verantwortet. Solche Missionen gehören ja inzwischen zum Alltag der Streitkräfte. Wie haben sich die Bundeswehr und ihre Soldaten dadurch verändert?
Hans-Werner Fritz: Die Bundeswehr ist über die Jahre und durch die Erfahrungen, die wir gemacht haben, noch professioneller geworden. Wir haben eine Menge dazugelernt - und das quasi im Eiltempo. Die Soldaten sind nachdenklicher geworden, was ihren Beruf angeht, weil sie hautnah konfrontiert werden mit dem Sterben, Tod und Verwundung. Es geht aber nicht nur darum, dass sie selbst oder ihre Kameraden sterben können, sondern auch um Situationen, in denen sie die Entscheidung treffen müssen, anderen das Leben zu nehmen. Das bringt jeden Menschen in ein Grunddilemma. Man kann sich durch Nicht-Handeln im moralischen Sinne schuldig machen, aber auch durch Handeln schuldig werden. Als Christ glaube ich, dass wir Menschen darauf keine abschließende Antwort geben können.
Hans-Werner Fritz ist seit mehr als zweieinhalb Jahren Befehlshaber des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr. Fritz führte alle Auslandseinsätze der deutschen Streitkräfte. Nun geht er in den Ruhestand.
tagesschau.de: Hat sich durch den weltweiten Einsatz der Bundeswehr auch die deutsche Gesellschaft verändert?
Fritz: Viele sind sich heute stärker darüber im Klaren, dass Probleme, die weit weg erscheinen, uns unmittelbar beeinflussen können. Gerade die derzeitige Flüchtlingslage in unserem Land zeigt, dass zum Beispiel Afrika und der Nahe Osten vor unserer Haustür liegen und dass uns diese Regionen durchaus und unmittelbar betreffen.
tagesschau.de: Ein großer Teil der Flüchtlinge kommt aus Afghanistan, wo Deutschland sich seit 13 Jahren engagiert und Milliarden für den Wiederaufbau investiert hat. Wenn man die Ereignisse von Kundus und die Aktivitäten von Taliban und IS am Hindukusch betrachtet, wie ist da Ihre Bilanz?
Fritz: Wir vergessen das Positive leicht. Wo haben wir in Afghanistan 2002 angefangen? Das Land war zerstört, es gab keine Sicherheitskräfte, es gab keine Infrastruktur. Wir haben jetzt ein besseres Straßensystem - um mal mit den simplen Dingen des Lebens anzufangen, die bei uns selbstverständlich sind. Ein Großteil der Bevölkerung hat nun Zugang zu einer medizinischen Grundversorgung. Etwa ein Drittel hat regelmäßig Strom. Wir haben über sieben Millionen junge Menschen, die zur Schule gehen, etwa die Hälfte sind Mädchen.
Allerdings - und darin besteht meine Sorge - werden jetzt die afghanischen Sicherheitskräfte durch Taliban und andere Aufständische schwer getestet. Die Überraschung, die sich im vergangenen Monat in Kundus ereignet hat, hätten wir uns alle nicht gewünscht. Allerdings sind die Taliban wieder aus Kundus raus, die Afghanen haben es also am Ende selbst geschafft, die Lage zu bereinigen. Die Frage ist nicht, ob wir eine Sicherheitslage wie in einem friedlichen Dorf in Niedersachsen oder in Bayern bekommen. Die Frage lautet: Können afghanische Armee und Polizei die Sicherheitslage in ausreichendem Maße kontrollieren? Und ich glaube, dass sie dazu eine gute Chance haben.
tagesschau.de: Nun verlängern die USA ihr Engagement in Afghanistan und auch Deutschland denkt darüber nach. Heißt das also, dass die afghanischen Sicherheitskräfte noch deutlich mehr Zeit benötigen, um auf das erforderliche Niveau zu kommen, selbst für Stabilität sorgen zu können?
Fritz: Über das deutsche Engagement in Afghanistan entscheidet die Politik. Angesichts der Lage wäre es vernünftig, wenn wir noch in Afghanistan blieben, um Ausbildung und Beratungstätigkeit fortzusetzen.
tagesschau.de: Sie haben die vielen anderen Krisenregionen der Welt erwähnt. Nun plant die Bundesregierung eine Verstärkung des Engagements in Mali. Ist das aus Ihrer Sicht sinnvoll?
Fritz: Die Überlegungen zielen für mich in die richtige Richtung. Wir sind ja schon in Mali engagiert - in zwei Missionen. Zum einen in der Ausbildungsmission der EU: Ausbildung der malischen Armee ist dringend erforderlich. Zum anderen in der MINUSMA-Mission der Vereinten Nationen. Wenn wir nun die Rolle der Vereinten Nationen dort stärken wollen, halte ich das für vernünftig - auch, um das Zusammenspiel beider Missionen noch zu verbessern.
tagesschau.de: Sie sind derjenige, der die Soldaten in potenziell lebensgefährliche Einsätze schickt, wenn die Politik das will. Nun ist Militär ja nur ein Mittel der Außenpolitik. Daneben gibt es noch sehr viele andere, wie die Diplomatie, die Entwicklungszusammenarbeit, die Wirtschaftspolitik. Muss man das noch besser vernetzen?
Fritz: Das Militär kann einen Grundsockel an Sicherheit erzeugen, aber wir brauchen darauf aufbauend Entwicklung im zivilen Bereich. Um gute Regierungsführung, gute Verwaltung, Bildung, wirtschaftliche Entwicklung herzustellen, brauchen wir die anderen Ressorts und auch die großen Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen. In diesem Bereich haben wir Fortschritte gemacht: Wir stimmen uns inzwischen in einem Maße ab, das vor ein paar Jahren nicht selbstverständlich war. An einer noch besseren Vernetzung führt kein Weg vorbei. Denn die Krisen der Welt wird man mit militärischen Mitteln allein nicht lösen können.
Das Gespräch führte Christian Thiels, tagesschau.de