30 Jahre Stolpersteine Mahnmale gegen das Vergessen
Gunter Demnig hinterlässt Spuren auf dem Gehweg: Der Bildhauer verlegt Stolpersteine zur Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus. Vor 30 Jahren begann sein Projekt.
Drei Messingplatten erinnern an das Leid der Familie Mansberg in der Alsenstraße in Wuppertal. Drei Stolpersteine schimmern eingelassen zwischen Gehwegplatten. Zehn Zentimeter breit und zehn Zentimeter hoch, darauf die Namen der Familie Mansberg. Tochter Ellen wurde nur 17 Jahre alt, sie ist 1941 nach Minsk deportiert und dort ermordet worden, wie auch ihr Vater Albert und ihre Mutter Dora.
"Das KZ war die finale Vernichtungsmaschine, angefangen hat das Grauen aber bereits im Alltag, in den Häusern, wo die Menschen abgeholt wurden" sagt Künstler Gunter Demnig. "Für mich war so ein dezentrales Mahnmal wichtig, weil ich gemerkt habe, dass man zentrale Mahnmale sehr schnell links liegen lassen kann."
"Immer wieder ein bewegendes Gefühl"
Es sind kleine Betonwürfel, die der 75-Jährige mit Messing überzogen hat und mit Geburtstag und Todestag von Menschen beschriftet, die in der NS-Zeit verfolgt, ermordet und deportiert wurden. Mehr als 96.000 dieser Steine hat Demnig verlegt. "Ich muss mir manchmal anhören, dass es Routine ist, was ich da mache", berichtet er. "In dem Moment, wo du die Steine einlegst und die Angehörigen dazukommen, ist es immer wieder ein besonderes und bewegendes Gefühl."
Nach wenigen Minuten ist der Mann mit dem Schlapphut fertig. Er braucht nur wenige Handgriffe: Mit einer Masse füllt er die Lücken auf, putzt die Tafeln sauber.
Künstler Gunter Demnig verlegt "Stolpersteine".
"Die meisten dieser Menschen haben keine Grabsteine. Für die Angehörigen ist es sehr wichtig, den Namen zurückzubringen. Jetzt haben sie einen Ort der Erinnerung", sagt der gelernte Bildhauer. Seine Stolpersteine sind eingebracht vor den ehemaligen Adressen der Verfolgten. Demnig verlegt die meisten Steine selbst. "Für mich ist ganz wichtig die Verbindung zu Angehörigen, die oft weit anreisen. Einmal kam jemand nach Köln aus Tasmanien. Manchmal sind es Familien aus drei Kontinenten, die sich vorher nie gesehen haben." Mittlerweile gibt es die Steine in 31 Ländern, darunter in Frankreich und den Niederlanden. In Köln fing alles an.
Viel Lob, aber auch Kritik
Seinen ersten Stolperstein verlegte er vor 30 Jahren ohne Genehmigung vor dem Rathaus in Köln. Die Idee war ihm bei einem anderen Projekt gekommen. Er verband Kölner Wohnhäuser von 1000 Sinti und Roma durch einen Schriftzug auf der Straße mit dem Deutzer Bahnhof. Von dort aus hatten die Nationalsozialisten ihre Opfer in die Konzentrationslager deportiert. Im Gespräch mit einer Anwohnerin merkte er damals, wie wenig sie über ihre Nachbarn und die Geschichte ihres Viertels wusste. "Das war die Geburtsstunde der Idee, Steine vor jene Häuser zu legen, wo eben die Betroffenen als ganz normale Nachbarn gewohnt haben."
In den vergangenen 30 Jahren hat er viel Lob für seine Arbeit erfahren, aber auch Kritik. Charlotte Knobloch, frühere Präsidentin des Zentralrats der Juden und selbst Holocaustüberlebende, hatte sich daran gestoßen, dass die Stolpersteine auf dem Boden liegen. Dadurch würde man die Erinnerung an diese Menschen mit Füßen treten. "Mein erster Gedanke war es natürlich, die Tafeln an Hauswände zu schrauben", erzählt Demnig. Aber das sei nicht möglich gewesen, Besitzer hätten das nicht gewollt und so sei es zur Notlösung mit den Stolpersteinen im Boden gekommen. "Die Erinnerung wird blank poliert, wenn man drüber läuft. Und wenn man den Text lesen will, so muss man eine kleine Verbeugung machen."
Stolpersteine als Lebenswerk
Der Künstler will mit seinen Stolpersteinen vor allem Jugendlichen einen Zugang zur Geschichte vermitteln. "Mir ist das Interesse von jungen Menschen und Schülern wichtig. Die merken dann: Der hat ja hier bei uns gewohnt. Der war so alt wie ich. Der war vielleicht auch auf unserer Schule. Das ist dann ein ganz anderer Geschichtsunterricht."
Der WDR hat mit dem Künstler das digitale Angebot "Stolpersteine NRW" gestartet, das als App per Smartphone und auch über den Computer kostenlos genutzt werden kann. Es umfasst eine interaktive Karte, Texte, historische Fotos, mehr als 200 Graphic Stories und etwa Hundert kurze Hörspiele über die Menschen, an die die verlegten Stolpersteine erinnern.
Aufhören will Gunter Demnig auch nach 30 Jahren nicht. "Die Stolpersteine sind zu meinem Lebenswerk geworden. Meist verbringe ich zwei Drittel des Jahres mit den Steinen. Im kommenden Jahr will ich den 100.000. Stolperstein verlegen."