Schultoiletten-Wettbewerb Von der Kloake zur Oase
Viele Schultoiletten sind in so schlechtem Zustand, dass Schülerinnen und Schüler den Gang zum Klo vermeiden. Die Hellweg-Realschule in Unna hat ihre Toiletten umgestaltet. Dafür gibt es heute einen Preis.
Für Sarah Hellmann war der Gang zur Schultoilette immer Stress. Lange saß sie im Klassenzimmer und überlegte, wie dringend sie wirklich muss oder ob sie es noch bis nach Hause schafft, um dann dort entspannt auf Toilette gehen zu können. "Vorher war das wirklich mit so einem Schamgefühl verbunden. Und es war richtig unangenehm, weil es so schlimm gerochen hatte", berichtet die Zehntklässlerin an der Hellweg-Realschule in Unna.
Ihrer Mitschülerin Agata Koszucka ging es ähnlich. "Das sah hier einfach alles depressiv aus. Man hat sich vor der Hygiene ein wenig Sorgen gemacht, weil das war wirklich ekelhaft", erzählt sie über den damaligen Zustand der Toiletten. Es sei ständig geraucht und Mülltonnen zertreten worden.
Schultoilette als Gemeinschaftsprojekt
Inzwischen sind die damals ekligen Räume ein wahres Toilettenparadies. Ein lachender Smiley auf dem Klodeckel begrüßt die Schülerinnen und Schüler, die Wände sind bunt bemalt und mit Stickern beklebt. Es gibt Musik und sogar Disco-Licht. Aber das Wichtigste: Es ist sauber, und es stinkt nicht mehr.
Die Idee, die Toiletten umzugestalten kam von den Lehrern, umgesetzt wurde sie aber von allen in der Schule. Die Toiletten wurden zu einem Gemeinschaftsprojekt und sind es heute noch: Die Schülerinnen und Schüler müssen sich selbst darum kümmern, dass alles sauber bleibt. Dafür gibt es fest eingeteilte Teams.
Freundliches Klo: In der Hellweg-Realschule in Unna kümmern sich die Schülerinnen und Schüler selbst darum, die Toiletten sauber zu halten.
Für so viel Kreativität und Einsatz gibt es nun einen Preis. Den Wettbewerb "Toiletten machen Schule" hat die German Toilet Organization (GTO) ausgeschrieben. Prämiert werden heute die besten Konzepte für hygienische Schultoiletten, insgesamt gibt es dafür Preisgelder in Höhe von 50.000 Euro.
Schlechte Noten für den Zustand von Schultoiletten
Wie groß der Bedarf ist, zeigt eine Studie, für die der Verein im vergangenen Jahr fast tausend Schülerinnen und Schüler an 17 weiterführenden Schulen in Berlin befragt hat. Die Durchschnittsnote: eine 4-. Das ist kurz vorm Durchfallen.
46 Prozent der Schülerinnen und Schüler vermeiden das Urinieren, beim großen Gang zum Klo sind es sogar 85 Prozent. "Dies hat gravierende Auswirkungen auf das Ess- und Trinkverhalten: Mehr als ein Viertel der Schülerinnen und Schüler trinkt und isst in der Schule weniger, um nicht gehen zu müssen", so Svenja Ksoll, Projektkoordinatorin Schulen bei der German Toilet Organization.
Als Gründe nennen die Schülerinnen und Schüler vor allem Gestank, fehlende Privatsphäre und das Fehlen von Klopapier. "Wir haben festgestellt, dass mehrheitlich nahezu alle Objekte und Spendersysteme in ihrer Funktion eingeschränkt sind. Beispielsweise lassen sich Türen nicht abschließen, es gibt Löcher in Kabinenwänden oder Spendersysteme waren nicht befüllt", so Ksoll.
Damit die Mädchen nicht mehr bis zu Hause warten müssen, wurden die Schultoiletten der Hellweg-Realschule umgestaltet.
Bauchschmerzen und Harnwegsinfektionen
Der Preis soll Schulen motivieren, an der desaströsen Lage etwas zu ändern. Die Resonanz ist laut GTO riesig. Demnach haben insgesamt 135 Schulen aus 14 Bundesländern an dem Wettbewerb teilgenommen. Das seien rund 60 Prozent mehr als beim vergangenen Wettbewerb in 2019. Die meisten Einsendungen kommen dem Verein zufolge aus Nordrhein-Westfalen.
Svenja Ksoll liegen Daten aus der Kindermedizin vor, die zeigen, welche Risiken es birgt, wenn Schülerinnen und Schüler Schultoiletten vermeiden. "Halten Kinder den ganzen Tag ein, können die Folgen von Bauchschmerzen über Verstopfung bis hin zu Harnwegsinfektionen führen. Betrachtet man das Thema Menstruation, sind viele Schülerinnen sehr gestresst, wenn sie ihre Periode in der Schule haben. Für manche kommt sie das erste Mal, mitten im Unterricht. Nun gibt es keine Produkte, es fehlen Seife und Entsorgungsmöglichkeiten und man kann die Kabinentür nicht abschließen. Das muss dringend ernster genommen werden", so ihre Forderung.
Weniger Vandalismus
Auf der Mädchentoilette der Hellweg-Realschule gibt es nun kostenlos Tampons. Die Tatsache, dass alle in das "Projekt Toilette" eingebunden wurden, hat ganz andere unerwartete Effekte.
Hendrik Simon aus der 8a zeigt stolz die Jungentoilette. Das Design: natürlich Fußball, in den Pissoirs sind sogar kleine Tore angebracht.
Toiletten mit Fußballflair - hier bleibt es sauberer und es wird weniger kaputt gemacht.
Hendrik berichtet, dass inzwischen viel weniger kaputt geht. "Das kann dadurch sein, dass es jetzt viel heller hier drin ist, dass man nicht so ein depressives Gefühl hat und dass man einfach keine Wut auf die Toilette hat. Dann möchte man das ja auch nicht kaputt machen", so seine Erklärung.
Kathrin Vöing, die als Lehrerin für die Schulgestaltung zuständig ist, bemerkt weitere positive Effekte: "Die ganze Schule hat ja irgendwie an dieser Toilette mitgewirkt und hat bis ins kleinste Detail darüber abgestimmt, was da passieren soll. Und das merkt man jetzt. Die Schüler fühlen sich von uns ernst genommen, sprechen untereinander ganz anders, gehen auf Lehrer anders zu und merken auch, dass Schulleitung eben nicht weit weg ist, sondern ganz nah an Schülern dran", so ihr Fazit.
Fußballdesign in der Jungetoilette - ein Volltreffer in der Hellweg-Realschule in Unna.
Neues Lebensgefühl an der Schule
Ihr Kollege Martin Borchers ergänzt, dass das Projekt auch gut für das Selbstbewusstsein der Schülerinnen und Schüler sei. "Wir haben die Schüler mit reingenommen in die ganze Planung, in die ganze Organisation. Und dadurch fühlen sie sich für diese ganze Sache extrem verantwortlich und gehen ganz anders mit um", so der Deutschlehrer.
Die Achtklässlerin Agata Koszucka ist jedenfalls erleichtert: "Wenn es warm wird, und ich viel trinke, dann muss ich mir keine Sorgen mehr machen: Ach nee, ich will nicht auf die Toilette gehen. Sondern ich kann in Ruhe gehen und alles ist gut, weil es schön bunt ist und schön sauber."
Über den Preis freuen sich hier alle sehr. Doch viel wichtiger als das ist ein völlig neuartiges Lebensgefühl an dieser Schule.
Schultoiletten sind auch Thema im Podcast "15 Minuten. Der tagesschau-Podcast am Morgen".