Demos gegen die Energiepolitik Wer steckt hinter den Protesten im Osten?
Die hohen Energiepreise und die Sorge um die eigene Zukunft treiben die Menschen im Osten auf die Straße. Welche Rolle spielt dabei die AfD, welche die Linke - und wer mischt sonst noch mit?
Die Innenstädte werden wieder in Beschlag genommen. Spätestens seit September demonstrieren jeden Montag Menschen gegen die Haltung der Bundesregierung. Statt um Corona geht es nun um die Energie- und Russlandpolitik, um Krieg und horrende Nebenkostenabrechnungen. Allein in Sachsen-Anhalt versammelten sich im September wöchentlich mehr als 10.000 Menschen in über 30 Städten.
Ein zentraler Akteur ist wie schon im Corona-Winter 2021/22 die AfD. Die Landespartei, in Sachsen-Anhalt unter Beobachtung des Verfassungsschutzes, will die Krise nutzen. Sie gibt ihren Kreisverbänden Geld, wenn sie Proteste veranstalten.
AfD sucht erneut Anschluss an das Protest-Milieu
Die AfD-Landtagsfraktion wiederum hielt selbst einen der ersten großen Energieproteste in diesem Herbst ab. Auf dem Magdeburger Domplatz, gegenüber des Landtags, warf Fraktionschef Oliver Kirchner der Bundesregierung vor, mit den Russland-Sanktionen einen "Wirtschaftskrieg gegen das eigene Volk" zu führen.
Was der Zweck der mit Fraktions- und damit Steuergeldern finanzierten Aktion war, sagte Kirchner im Anschluss einer ZDF-Reporterin: Er hoffe, "dass sich die Montagsdemonstrationen etablieren werden". Seitdem meldet nicht die Fraktion, sondern die AfD als Partei die wöchentlichen Kundgebungen unter dem gleichen Titel an. Bislang kamen stets mehr als 2000 Menschen.
Dabei hilft es offenbar, dass die Partei ein Einvernehmen mit der zentralen Corona-Protestgruppe in Magdeburg gefunden hat. Noch Anfang Januar scheiterten Gespräche für die Organisation einer gemeinsamen Großdemo. Mittlerweile ist man weiter: Protestler und AfD halten montags getrennt voneinander Kundgebungen ab, anschließend demonstriert man gemeinsam.
Sie hätten ihren Kopf rausgestreckt, als es besonders schwer war, sagt etwa der ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete Frank Pasemann über die Gruppe, die regelmäßig "Querdenker"- und Reichsbürger-Thesen verbreitet und die teilweise ebenfalls im Visier des Verfassungsschutzes steht. Durch ein offenes Mikrofon versucht die AfD zudem ihren Protest zu öffnen. Offen geht es dabei mittlerweile auch gegen ukrainische Geflüchtete.
Proteste verteilen sich landesweit
Nicht immer organisiert die AfD die Proteste selbst. In Aschersleben etwa läuft sie nur mit, ohne Banner. Die ehemalige Kreisstadt am Fuße des Harzes erlebt mit Beginn der Energieproteste einen der größten wöchentlichen Aufläufe in Sachsen-Anhalt. Die Demonstration, hinter der ehemalige Organisatoren von Neonazi-Demos und ein Immobilienverwalter stehen, ist nicht als Versammlung angemeldet. Eine offizielle Organisation gibt es nicht.
Am Montag dieser Woche laufen Arbeiter, Rentner und Familien hinter dem Banner "Wir sind der Antikörper gegen dieses System" her; friedlich, aber auch mit Schildern wie "Deutschland säubern - weg mit dem grünen Dreck". Nicht alle denken derart radikal. Eine Laborantin, heute Rentnerin, fürchtet die immensen Energiepreissteigerungen. Diese würden den Osten Deutschlands besonders stark treffen. Sie will die Angleichung der Ost-Löhne an Westniveau. An den Corona-Protesten habe sie nicht teilgenommen, Waffenlieferungen an die Ukraine hält sie für nachvollziehbar.
Protestforscher: Bislang handelt es sich noch um einen Protestkern
Auch wenn neue Menschen zu den Protesten fänden, sehe man im Osten Deutschlands derzeit vor allem noch einen "Protestkern" auf der Straße, sagt der Magdeburger Protestforscher David Begrich vom Verein "Miteinander".
Die derzeitigen Proteste bewegten sich noch weit unter der Hochphase der Corona-Proteste, als in Sachsen-Anhalt zwischenzeitlich knapp 19.000 Menschen demonstrierten. Die Wahrnehmung sei dennoch eine andere, so Begrich: "Es ist ein Unterschied, ob in Berlin 2000 Menschen auf die Straße gehen oder in einer Kleinstadt in Sachsen-Anhalt."
Die AfD sei dabei ein Multiplikationsfaktor. Als Partei, sagt Begrich, könne sie ähnlich wie die Linke nicht die "dynamische Situation" herstellen, die von vielen in der Protestszene herbeigesehnt wird. Anders verhalte es sich mit einem neuen Akteur, der aus Sachsen-Anhalt kommt und der "voranging für das Allgemeinwohl und eigene wirtschaftliche Interessen auftreten": die Handwerker-Proteste. Begrich nennt sie einen möglichem "Game-Changer".
Russlandfreundliche Handwerker begeistern Querfront-Aktivisten
Diese Handwerker-Proteste sind eng verbunden mit Karl Krökel aus Dessau. Im Juni hat der 73-jährige Handwerksmeister gemeinsam mit anderen Meistern einen offenen Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz geschrieben. Man fürchte einen wirtschaftlichen Zusammenbruch und fordere deshalb die Rücknahme aller Russland-Sanktionen, die Inbetriebnahme der Gaspipeline Nord Stream 2 und ein Ende der Waffenlieferungen an die Ukraine.
"Das ist nicht unser Krieg", so die Handwerker, die für diese Haltung eine Mehrheit in der Region hinter sich wissen dürften. Der Brief provozierte bundesweit Ablehnung wie Unterstützung. Krökel sieht sich bestätigt. Es sei aber eine Schande, dass ausgerechnet Handwerker die Politik "auf diese Zusammenhänge" hinweisen müssten, sagt er. Für eine erste größere Demo in Dessau mobilisierten Ende August die örtliche AfD, die Linke und "dieBasis".
Träume von der "Querfront"
Krökel selbst warb für Unterstützung auf der örtlichen Corona-Mahnwache. So wurde der Handerwerksmeister auch für jene Akteure interessant, die seit Jahren von einer "Querfront" von rechts und links außen träumen: Jürgen Elsässer, Chef des vom Verfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestuften "Compact Magazins" traf Krökel zum Interview.
Krökel spricht von "modifizierten Vorstellungen", wenn er über das Milieu spricht, das ihn nun umarmt. Er selbst komme aus der Friedensbewegung und wolle keinen Umsturz, noch nicht mal unbedingt einen Rücktritt der Bundesregierung. Dennoch: Er rede "mit allen", weist die Umarmung nur vorsichtig zurück.
Dass "Compact" seitdem für die mögliche Großdemo werbe, die Krökel für diesen Samstag auf dem Alexanderplatz in Berlin angemeldet hat, geschehe aber nicht in seinem Einvernehmen. Zu den zerstörten Gaspipelines Nord Stream 1 und 2 hat der ehemalige SED- und PDS-Funktionär Krökel derweil weiterhin eine eindeutige Meinung. Diese müssten sofort repariert werden, und zwar vom Verursacher. Der wird gerade zwar noch gesucht, Experten halten einen russischen Angriff für wahrscheinlich. Krökel aber weiß: "Russland war es nicht."