Bericht des Ostbeauftragten Wenn der Osten selbst zu Wort kommt
Es sind Geschichten von Aufbrüchen, Erfolgen und bestandenen Herausforderungen. Der Ostbeauftragte der Bundesregierung hat seinen ersten Jahresbericht veröffentlicht - und dabei die Menschen auch selbst erzählen lassen.
Der erste Bericht des Ostbeauftragten beginnt mit einer Feststellung: Der Blick auf das, was im Vergleich mit dem Westen fehle, dominiere den Blick der Gesellschaft auf Ostdeutschland, findet Carsten Schneider (SPD) in seinem ersten Jahresbericht. Er will es anders machen. Deshalb gibt er im ersten Teil seines Berichtes denjenigen das Wort, die im Osten leben und auch andere Geschichten erzählen können.
Chemnitz
Wer will da schon leben - das mögen viele denken über die Stadt, die sich selbst wohl vor allem als Arbeiterstadt begreift. Die jungen Leute suchen nach dem Schulabschluss das Weite. Die Musikerin Nina Kummer ("Blond") nimmt eine andere Perspektive ein. Sie wollte immer schon in Chemnitz bleiben.
Ihre Beschreibungen der kulturellen Netzwerke, der günstigen Bedingungen für künstlerische Arbeit, aber auch der Selbstverständlichkeit, mit der sie und ihre Freunde schon lange und immer wieder gegen rechte Kundgebungen demonstrieren, setzen einen ganz anderen Ton als das Klagelied der Abgehängten, das vielen in den Ohren klingt. Als Chemnitz den Titel als Kulturhauptstadt Europas 2025 gewinnt, stellt Kummer nüchtern fest: "Wir wollten diesen Titel nicht gewinnen, weil wir so toll sind, sondern weil wir ihn bitter nötig haben."
Jena
Beim Beispiel Jena geht es vor allem um neugegründete oder unter anderen Bedingungen fortgeführte Unternehmen, um die Tradition eines Standortes, der immer schon technische Innovation und wirtschaftlichen Fortschritt zusammengebracht hat und der nun vor neuen Herausforderungen steht. Denn war Jena bei der niedrigen Gründungsneigung in Deutschland (im Osten ist sie noch niedriger) eher die Ausnahme von der tristen Regel, bedroht der Fachkräftemangel die Stadt besonders. Dennoch kommt der Autor des Kapitels zu dem Schluss: Jena biete beste Beispiele für das German Engineering, das den Markenkern des Made in Germany bilde.
Regionale Potenziale und Herausforderungen
Der Bericht widmet sich einer ganzen Menge von Orten, die zur gesamtdeutschen Gesellschaft beizutragen haben. Da ist das brandenburgische Städtchen Lebus, das besonders unter den letzten Schlachten des Zweiten Weltkriegs gelitten hat. Schon zu DDR-Zeiten stellten die Menschen sich der Geschichte, arbeiteten sie mit bürgerschaftlichem Engagement auf, anstatt zu verdrängen.
In Zollbrücke, ebenfalls Brandenburg, fand ein Theaterprojekt seine Heimat. Das Theater am Rand nahm ein ganzes Dorf mit, gemeinsam für eine Belebung des durch Abwanderung stiller werdenden Landlebens. Oder schließlich Buckow, wo es viele Zuzüge gibt und Stadtverwaltung und Stadtgesellschaft versuchen, Wachstumsschmerzen zu lindern. In den Beispielorten ist viel geschafft worden, aber es gibt auch noch viel zu tun. Außerdem schreiben Autoren über die Kinder der Wendezeit oder die Herausforderungen des Strukturwandels nach dem Abschied von der Kohle.
Einstellungen zu Demokratie und Politik in Deutschland
Der Deutschland-Monitor fragt Einstellungen zu Politik und Gesellschaft in Ost und West ab. Dabei tritt vor allem ein altbekannter Unterschied hervor: Im Osten wurde 1989 und in den Folgejahren alles anders. Im Westen blieb das meiste. Dadurch sind in den damals noch neuen Ländern die Biographien verändert, aber auch Vertrauen und Zuversicht erschüttert worden. Es scheint lange nachzuwirken. Und nicht nur das.
Noch immer bleiben Vermögens- und Einkommensverhältnisse in Ostdeutschland weit hinter denen im Westen zurück. Dazu kommen die infrastrukturellen Folgen der Abwanderung. Das alles bildet sich auch in Umfragewerten ab: Nur noch ein Viertel der Menschen im Osten ist mit der sozialen Gerechtigkeit zufrieden. Mit der Demokratie, so wie wir sie in Deutschland haben, geben dies nur noch 39 Prozent der Befragten an (im Westen 59 Prozent).
Vorhaben der Bundesregierung
Natürlich ist ein solcher Bericht immer auch PR für die Regierung. Mit dem dritten Kapitel unterstreicht der Ostbeauftragte Schneider, was die Bundesregierung heute schon für den Osten tut oder noch vorhat zu tun. Es geht unter anderem um mehr Ostdeutsche in Führungspositionen, Regionalentwicklung und Extremismusbekämpfung. Ein Vorhaben ist besonders konkret: das Zukunftszentrum für Deutsche Einheit und Europäische Transformation.
Mehr als 30 Jahre nach dem Mauerfall kommt eine solche Einrichtung wohl kaum zu früh. Sie soll Geschichte schreiben, in der auch der ostdeutsche Blickwinkel mehr vorkommt als bisher, soll Lehren ziehen, aus dem was war und Strategien entwickeln, für das was kommt. Denn eines lehrt der gesamtdeutsche Blick in die jüngere deutsche Geschichte: Ein Transformationsprozess mag vielleicht irgendwann mal abgeschlossen sein. Aber dann kommt schon der nächste. Ost- wie Westdeutsche erleben es in dieser Zeitenwende mit allen ihren Folgen besonders tiefgreifend. Das Zentrum soll 2028 eröffnet werden.