Wirtschaft gegen Unions-Forderung Unruheherd Neuwahl
Angesichts des Ampel-Frusts und der eigenen Stärke fordert die Union eine vorgezogene Bundestagswahl. Die Parteichefs Söder und Merz haben auch schon einen Terminvorschlag. Wirtschaftsverbände halten davon nichts. Nötig sei etwas anderes.
Der Unmut über die Ampel-Performance ist riesig - und so macht man sich hier und da Gedanken über ein vorzeitiges Aus der Dreier-Koalition und damit über vorgezogene Neuwahlen. Etwa in der Union. CDU-Chef Friedrich Merz schaute vorsorglich schon mal in den Kalender und schlug einen Termin vor: den Tag der Europawahl am 9. Juni 2024. Den Termin findet auch CSU-Chef Markus Söder sinnvoll, wie dieser bereits im November mitteilte.
"Hängepartie und Unsicherheiten"
Teile der Wirtschaft halten von diesen Überlegungen jedoch nichts. "Durch Neuwahlen würde nach meiner persönlichen Einschätzung vor allem viel Zeit ins Land gehen durch eine Hängepartie, Wahlkampf und wachsende Unsicherheiten", sagte der Präsident der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), Peter Adrian, der Nachrichtenagentur Reuters.
"Es braucht nicht noch mehr Unruhe durch Neuwahlen, sondern eine Regierung, die sich der Realität stellt", meinte auch der Präsident des Bundesverbandes Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA), Dirk Jandura. Und er fügte hinzu: "Mit Wahlen werden unsere aktuellen Herausforderungen - geopolitische Konflikte, hohe Staatsschulden, geringe Investitionstätigkeit, gravierende Mängel in der Infrastruktur, sinkende Wettbewerbsfähigkeit, Digitalisierungsdefizite usw. - nicht gelöst."
"Union wäre sofort regierungsfähig"
Bei CDU und CSU ist man hingegen überzeugt, dass eine unionsgeführte Bundesregierung es besser machen würde. Die Menschen trauten CDU und CSU am besten zu, die Probleme des Landes zu lösen, diagnostizierte CSU-Chef Söder. "Die Union wäre sofort regierungsfähig."
Das bezweifelt allerdings die Hälfte der Wahlberechtigten in Deutschland. Zwar kommt die Union in der Sonntagsfrage auf 32 Prozent - mehr als die Ampelkoalition zusammen, da die FDP mit vier Prozent gar nicht mehr im Bundestag vertreten wäre. Und die Zufriedenheit mit Ampel und Kanzler ist auf einem Rekordtief. Doch aus dem Frust über die derzeitige Bundesregierung lässt sich anhand dieser Zahlen kaum ein Vertrauensvorschuss in eine unionsgeführte Regierung ableiten.
Probleme anpacken
Auch der Zentralverband des Deutschen Handwerks äußerte sich zurückhaltend zu einer möglichen Neuwahl. "Das ist eine Frage, die politisch entschieden werden muss", hieß es dazu. Zentral sei, dass Probleme anpackt werden - etwa Fachkräftesicherung, Bürokratieabbau, bezahlbare und verlässliche Energie oder eine geringere Steuer- und Sozialabgabenbelastung.
Nach Ansicht des Verbands der Familienunternehmer kommt es auf die nächsten Wochen an. Dann werde sich zeigen, ob die derzeitige Koalition auf Bundesebene noch über genügend gemeinsamen Gestaltungswillen verfüge. "Eigentlich hat Deutschland mit Blick auf die diversen großen Aufgaben keine zwei Jahre mehr zu verschenken, in denen Stillstand nur verwaltet wird", sagte Verbandspräsidentin Marie-Christine Ostermann. Sie wies aber darauf hin, dass das Grundgesetz aus guten Gründen hohe Hürden für ein vorzeitiges Ende der Wahlperiode gesetzt habe. "Da sehe ich derzeit nicht, wie Neuwahlen möglich werden könnten", sagte Ostermann.
"Macker-Geste" und "Bodenturnen"
Der Weg zu einer vorgezogenen Wahl ist in der Tat kompliziert: Unter anderem müsste Kanzler Scholz im Parlament die Vertrauensfrage stellen und verlieren. Das ist derzeit nicht absehbar - auch wenn die Union darauf hofft und daher auch genau das verlangt. Von einer "missglückten Macker-Geste" sprach Scholz denn auch mit Blick auf die Merz-Forderung nach der Vertrauensfrage. FDP-Chef Christian Lindner wählte ein anderes Sprachbild: "Oppositionelles Bodenturnen" sei das, was Merz da mache. Regulär findet die nächste Bundestagswahl im Herbst 2025 statt.
Bei der Union will man aber vorbereitet sein, falls die Ampel doch vorzeitig scheitert. In Bayern versetzte Söder die Mitarbeiter seiner CSU in den "Bereitschaftsmodus". Die CSU bleibe "jederzeit einsatz- und kampagnenbereit", so der Parteichef.
Auch bei der CDU trifft man Vorkehrungen: Er stelle die Parteizentrale wegen der Europawahl bereits so auf, dass die CDU in der Lage sei, diese bundesweite Wahl zu bestreiten, ließ Merz wissen. Das Adenauerhaus werde dann so aufgestockt, dass parallel der Wahlkampf für den Bundestag geführt werden könne.
Bliebe noch eine Frage: Wer wird Kanzlerkandidat?