Spekulationen über Austritt Wie Wagenknecht die Linke nicht loslässt
Bleibt sie, geht sie und wenn ja, wann? Der öffentlich ausgetragene Konflikt zwischen Sahra Wagenknecht und ihrer Linken ähnelt zunehmend einem Rosenkrieg. Bei der Parteispitze wächst die Wut.
Martin Schirdewan gilt in Berlin als Mann des Ausgleichs und der leisen Töne. Doch bei dieser Pressekonferenz im Karl-Liebknecht-Haus, der Parteizentrale der Linken, platzt es aus ihm heraus: "Stinksauer" sei er wegen der andauernden Spekulationen über eine Parteiabspaltung, sagt der Co-Chef der Linken. Das jüngste Interview von Sahra Wagenknecht zum Thema nennt er "verantwortungslos", "parteischädigend" und "respektlos gegenüber den vielen Tausend Mitgliedern vor Ort, die sich tagtäglich für die Linke einsetzen".
Bemühungen, die die prominente Bundestagsabgeordnete aus Sicht von Schirdewan mit ihrem Verhalten untergräbt. "Das muss sofort beendet werden." Wagenknecht ruft er dazu auf, "sich jetzt eindeutig von ihrer Idee der Gründung einer Konkurrenzpartei" zu distanzieren oder die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen - sprich: von sich aus der Linken den Rücken zu kehren.
Natürlich weiß Schirdewan, dass solche Forderungen Wagenknecht bisher eher nicht beeindruckt haben. Deshalb schiebt er diesen Satz nach: Es könne nicht angehen, dass die Ressourcen von Partei und Fraktion für Pläne zur Gründung einer konkurrierenden Partei genutzt werden. Ein solches Vorgehen sei "mit der Ausübung eines Mandats für die Partei nicht vereinbar. Und das kann und wird die Partei auch nicht zulassen", so Schirdewan.
Hohe Hürden für Parteiausschluss
Noch deutlicher wird einer seiner Vorgänger. Bernd Riexinger verlangt einen Parteiausschluss, falls auf die jüngsten Ankündigungen von Wagenknecht konkrete Schritte hin zu einer Neugründung folgen. Auf Twitter schreibt er, dann dürfe es für Wagenknecht "keinen Platz mehr in Partei und Fraktion geben".
Die Hürden für einen Parteiausschluss sind allerdings hoch. Laut Bundessatzung der Linken setzt ein solcher Schritt voraus, dass das betreffende Mitglied "vorsätzlich gegen die Satzung oder erheblich gegen Grundsätze oder Ordnungen der Partei verstößt und ihr damit schweren Schaden zufügt". Die Entscheidung darüber liegt bei einer Schiedskommission.
Wie schwer der Vorwurf parteischädigenden Verhaltens zu begründen ist, zeigt beispielsweise der Fall von Gerhard Schröder. Der Altkanzler wehrt sich dagegen, wegen seiner engen Verbindungen zu Russland aus der SPD geworfen zu werden - bisher mit Erfolg. Anders als Wagenknecht hat Schröder aber nie damit geliebäugelt, eine neue Partei zu gründen, die in Konkurrenz zu seiner bisherigen stünde.
Noch Monate der Ungewissheit?
Insofern hat Wagenknecht mit ihrem jüngsten Interview zu einer etwaigen Neugründung ihren innerparteilichen Gegnern im Karl-Liebknecht-Haus durchaus Argumente geliefert. Noch zu Monatsbeginn beantwortete sie die Frage nach einer neuen Partei im Interview mit der Zeitung "Rheinpfalz" eher ausweichend: "Darüber wird an vielen Stellen diskutiert."
Doch am Wochenende wurde ein ZDF-Interview bekannt, in dem sie offen über ihre Pläne spricht - und erstmals einen Zeitplan nennt: "Ich gehe davon aus, dass innerhalb des nächsten Dreivierteljahres - maximal eines Jahres - die Entscheidung […] fallen wird." Das allerdings könnte bedeuten, dass sich der Streit zwischen Wagenknecht und großen Teilen ihrer Partei noch monatelang hinzieht. Dabei hat die Abgeordnete längst klargestellt, dass sie bei der nächsten Bundestagswahl nicht mehr für die Linke kandidieren wird.
Wagenknecht will auf Nummer sicher gehen
Wagenknecht begründet ihr Zögern damit, dass eine Parteigründung an bestimmten Voraussetzungen hänge - etwa an funktionierenden Strukturen und einem "verlässlichen Team", das den Aufbau organisiert. "Die Erwartung, man könnte, selbst wenn man sich entschieden hätte, mal eben so eine Partei aus der Taufe heben, […] das wäre zum Scheitern verurteilt."
Und Scheitern - daran lässt Wagenknecht keinen Zweifel - will sie diesmal nicht. Anders als vor einigen Jahren, als sie versuchte, unter der Überschrift "Aufstehen" eine neue linke Sammlungsbewegung zu initiieren. Das 2018 gestartete Projekt kam nie wirklich in Fahrt. Deshalb geht sie in diesem Jahr auf Nummer sicher, die Möglichkeit eines Scheiterns vor Augen: "Ich möchte meine politische Laufbahn nicht mit einem Flop abschließen."
Fraktionsstatus der Linken gefährdet
Ob Wagenknechts jüngste Äußerungen für eine Neugründung die Stimmung in der Partei zu ihren Ungunsten dreht, ist noch nicht abzusehen. Das Verhältnis zur Parteispitze ist ohnehin zerrüttet, und auch auf Funktionärsebene hat Wagenknecht keinen großen Rückhalt mehr. Doch große Teile der Parteibasis halten nach wie vor zu ihr. Und ihre mediale Strahlkraft ist ungebrochen.
Falls Wagenknecht die Partei nach einer Neugründung von sich aus verlässt, hätte das möglicherweise auch Konsequenzen für die Linke im Bundestag: Gingen nur drei weitere Abgeordnete mit, wäre der Fraktionsstatus verloren. Dann könnte die Linke im Parlament nur noch als Gruppe agieren - mit weniger Geld und Ressourcen. Die Partei hatte bei der vergangenen Wahl zwar die Fünf-Prozent-Hürde gerissen, aber drei Direktmandate gewonnen. Nur die sogenannte Grundmandatsklausel - bisher noch Teil des Wahlrechts - sicherte ihr den Einzug in Fraktionsstärke, mit 39 Mandaten.
Die Existenz der Bundestagsfraktion sei ein hohes Gut, betonte Wagenknecht im Interview vom vergangenen Wochenende. "Sie ohne Not zu gefährden, wäre unverantwortlich", sagte sie mit Blick auf die Frage, warum sie trotz aller Differenzen noch nicht ausgetreten sei.
Zwischen den Zeilen lässt sich das als Warnung verstehen: an all jene, die meinen, ein endgültiges Zerwürfnis könne es für die Partei zum Nulltarif geben. Der Streit zwischen Wagenknecht und ihrer Partei trägt immer mehr die Züge eines Rosenkriegs. Ausgang: offen.