Martin Schirdewan und Janine Wissler
analyse

Nach den Landtagswahlen Die Linke hat nicht nur ein Wagenknecht-Problem

Stand: 10.10.2023 16:29 Uhr

Die Linke hat nun auch in Hessen und abermals in Bayern die Fünf-Prozent-Hürde verfehlt. Jetzt sucht die Partei nach Ursachen. Da ist zum einen das Hick-Hack um Wagenknecht - aber es gibt auch andere Baustellen.

Eine Analyse von Alexander Budweg, ARD Berlin

Die Landtagswahlen in Bayern und Hessen sind zum erwartbaren Debakel für die Linke geworden. In beiden Ländern ist die Partei an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert. Damit ist die Linke nur noch in zwei westdeutschen Parlamenten vertreten - darunter ist allerdings kein einziges Flächenland mehr. Mit Hamburg und Bremen bleiben lediglich noch zwei Stadtstaaten. Der Traum von einer gesamtdeutschen Partei scheint spätestens jetzt ausgeträumt.

Dabei mangelt es der Linken auch im Westen nicht an Themenfeldern, mit denen sie Wähler punkten könnte. Steigende Mieten, hohe Energiekosten, Inflation - die soziale Frage stellt sich auch in westdeutschen Ländern und das nicht nur in den Großstädten. Zudem fehlen Lehrer und Kitaplätze, worunter zumeist auch eher Kinder aus armen Familien leiden. Doch mit all diesen Themen wird die Linke offensichtlich nicht mehr verbunden.

So meinen in Hessen nur sieben Prozent der Wähler, dass die Linke Kompetenzen im Bereich soziale Gerechtigkeit habe. In Bayern sind es sogar nur fünf Prozent. Für eine Partei, die sich als Anwältin der "kleinen Leute" versteht, ist das eine Bankrotterklärung. Stattdessen überwiegt bei Wählern der Eindruck, dass die Linke vor allem mit sich selbst beschäftigt ist.

Immer wieder Wagenknecht

Grund dafür ist der seit Jahren andauernde Streit um Sahra Wagenknecht und die Spekulationen, sie könne eine neue Partei gründen. Zwar hatten die beiden Parteivorsitzenden Janine Wissler und Martin Schirdewan gehofft, das Problem per Vorstandsbeschluss aus der Welt zu schaffen. Doch der Versuch, die prominente Noch-Linke damit zur Persona non grata zu erklären und selbst zum Rückzug aus der Partei zu bewegen, ist gescheitert. Auch, weil Wagenknecht darauf nicht reagiert und die Parteiführung keine weiteren Konsequenzen daraus gezogen hat.

Stattdessen sitzt Wagenknecht weiterhin für die Linke im Bundestag - auch wenn sie dort eher durch ihre Abwesenheit auffällt. In der Öffentlichkeit genießt sie dafür umso mehr Aufmerksamkeit, ist gern gesehener Talkshow-Gast und befeuert immer wieder Spekulationen um die Gründung einer eigenen Partei.

Schlussstrich durch Parteiausschluss?

Dass es nun einer Gruppe aus mehr als 50 Parteimitgliedern aus mehreren Landesverbänden reicht und sie mit einem Parteiausschlussverfahren einen Schlussstrich unter das Kapitel Wagenknecht ziehen wollen, wirkt da schon fast wie Mut der Verzweiflung. Zwar wäre dieser Schritt auch schon früher denkbar gewesen, sagt eine der Initiatoren. Doch man habe versucht, das Thema aus den Landtagswahlen in Hessen und Bayern herauszuhalten. Genutzt hat es jedoch nichts.

Wissler und Schirdewan wollten um ein Ausschlussverfahren gegen Wagenknecht herumkommen. Zu langwierig und zu viel Ablenkung von der Sacharbeit, hieß es zur Begründung. Stattdessen überwog wohl die Hoffnung, Wagenknecht würde von ihren Plänen doch noch ablassen. Immer wieder konnte man von Parteivertretern hören, dass sie nicht an eine Parteineugründung glauben würden, weil es Wagenknecht dafür an Unterstützern fehle und der Aufwand zu groß sei.

Zudem fürchtet die Linke um die Existenz ihrer Bundestagsfraktion. Diese könnte durch einen Rauswurf von Wagenknecht ihren Status verlieren, wenn neben ihr noch zwei weitere Personen die Fraktion verlassen sollten. 37 Mitglieder muss eine Bundestagsfraktion haben, noch hat die Linke 39.

Nachdem der saarländische Bundestagsabgeordnete Thomas Lutze nun am Wochenende angekündigt hat, aus der Linken austreten und in die SPD-Fraktion wechseln zu wollen, bräuchte es neben Wagenknecht sogar nur noch eine weitere Abgeordnete oder einen weiteren Abgeordneten. Der Verlust des Fraktionsstatus würde für die Linke auch ein Verlust an Einfluss, Mitarbeiter und Geld bedeuten.

Probleme in der Fläche

Dass die Partei vor allem ein Problem in der Fläche hat - diese Erkenntnis scheint nun auch in der Berliner Zentrale gereift zu sein. So haben etwa in Hessen zwar noch sieben Prozent der Wähler in Großstädten ihr Kreuz bei der Linken gemacht. In kleinen Gemeinden sind es aber gerade einmal zwei Prozent gewesen.

Parteichef Schirdewan will deshalb nun mit einer "Mitgliederoffensive" die Umkehr schaffen. Die Linke soll damit stärker in der Fläche vertreten sein und Menschen direkt erreichen.

Bis zu den Europawahlen und den Landtagswahlen in Brandenburg, Thüringen und Sachsen im kommenden Jahr bleibt der Partei dafür auch noch ein wenig Zeit. Jedoch würde sich die Ausgangslage für die Linke wohl nicht sonderlich verbessern, sollte Wagenknecht tatsächlich ernst machen. In Umfragen können sich bis zu 20 Prozent der Wähler vorstellen, eine Wagenknecht-Partei zu wählen. Im Osten sind es noch mehr. Den meisten Zuspruch bekommt sie demnach von den Anhängern der Linken.

Uwe Jahn, ARD Berlin, tagesschau, 09.10.2023 06:40 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Inforadio am 10. Oktober 2023 um 16:03 Uhr.