Josef Schuster und Olaf Scholz

Kritik an Berlin-Besuch "Erdogan darf kein Partner für deutsche Politik sein"

Stand: 15.11.2023 15:13 Uhr

Vor dem Erdogan-Besuch gibt es harsche Kritik. So sagte der Zentralratspräsident der Juden, Erdogan dürfe kein Partner Deutschlands sein. Dieser hatte Israel Faschismus vorgeworfen und die Hamas als Befreier bezeichnet.

Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, sieht im türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan keinen legitimen politischen Partner Deutschlands. "Wer das Existenzrecht Israels nicht nur leugnet, sondern aktiv bekämpft, darf kein Partner für die deutsche Politik sein", sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland vor dem für Freitag geplanten Besuch Erdogans in Berlin.

"Der Besuch des türkischen Staatspräsidenten muss vom Bundeskanzler dafür genutzt werden, Erdogan ganz klar deutlich zu machen, dass seine Relativierung des Hamas-Terrors unter keinen Umständen akzeptiert wird", so Schusters Forderung an Bundeskanzler Olaf Scholz.

Scholz will Erdogan am Freitagabend zu einem Arbeitsessen im Kanzleramt empfangen. Davor wird Erdogan Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier treffen.

Erdogan kritisiert Israel, verteidigt Hamas

Erdogan befeuere mit seiner Propaganda auch den Aufruhr auf deutschen Straßen und den psychischen Terror gegen Juden in Deutschland, sagte der Zentralratspräsident und ergänzte: "Eine klare Verurteilung Erdogans Verhaltens wäre also auch aus innenpolitischer Sicht im Sinne des Kanzlers."

Erdogan hatte Israel kürzlich auf einer Kundgebung "Faschismus" und "Kriegsverbrechen" vorgeworfen und die Legitimität des Landes in Frage gestellt. In der radikalislamischen Palästinenserorganisation Hamas hingegen sehe er keine Terrororganisation, sondern eine "Gruppe von Befreiern", die ihr Land verteidige.

Vor Mitgliedern seiner Partei AKP äußerte sich Erdogan heute ähnlich: Er bezeichnete Israel als "Terrorstaat". Dem Land gehe es darum, die Stadt Gaza und all ihre Einwohnerinnen und Einwohner zu zerstören. Die Türkei werde dafür sorgen, dass die politische und die militärische Führung Israels vor internationale Gerichte gestellt werde. Erdogan sagte, Israel setze "eine Strategie der kompletten Zerstörung einer Stadt und deren Menschen um".

Kurdische Gemeinde: Berlin sollte Besuch absagen

Auch der Vorsitzende der Kurdischen Gemeinde in Deutschland, Ali Ertan Toprak, hält den Berlin-Besuch Erdogans für falsch und hätte sich eine Absage gewünscht. "Es kann nicht sein, dass wir im Zusammenhang mit der Sicherheit Israels täglich von Staatsräson reden und dann einem der größten Antisemiten hier den roten Teppich ausrollen", sagte Toprak dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Er hätte sich gewünscht, dass Deutschland den Besuch absage, betonte er.

Erdogan unterstütze die radikal-islamistische Hamas seit Jahren politisch und habe sie gerade erst als "Befreiungsorganisation" bezeichnet, kritisierte Toprak. Dabei habe die Hamas bei ihrem Terrorangriff auf Israel am 7. Oktober den größten Massenmord an Juden seit der Shoa verübt. Das könne man in Deutschland nicht einfach ignorieren. Es sei anlässlich des Besuchs daher auf jeden Fall demokratischer Protest angesagt.

Bedenken in der Politik

Auch in der deutschen Politik gibt es gegen den Besuch Erdogans parteiübergreifend Bedenken. "Erdogan sollte ausgeladen werden", sagte etwa Linken-Parteichef Martin Schirdewan am Dienstag dem Portal t-online.de. Es sei "schizophren, wenn die Ampel einem Terror-Unterstützer den roten Teppich ausrollt".

Unions-Fraktionschef Friedrich Merz sagte, Scholz müsse Erdogan klar sagen, dass seine Äußerungen zu Israel "völlig inakzeptabel" seien. Allerdings bezeichnete er es als richtig, dass der Besuch stattfinde. Dabei solle Scholz sich bei Erdogan für eine Weiterführung des EU-Türkei-Abkommens einsetzen, um Einreisen Geflüchteter in die EU zu begrenzen.

CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sagte t-online.de, Scholz müsse Erdogan unmissverständlich deutlich machen, dass Deutschland engstens an der Seite Israels steht und jegliche Art von Relativierungsversuchen gegenüber dem Hamas-Terror als vollkommen inakzeptabel betrachtet.

"Wichtig, dass da Klarheit herrscht"

Scholz bekräftigte im Bundestag, dass er mit Erdogan Differenzen im Zusammenhang mit dem Gaza-Krieg deutlich ansprechen will. "Das ist in dieser Frage ganz wichtig, dass da Klarheit herrscht und man sehr deutlich seine eigene Position auch vorbringt", so Scholz

SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich sagte, Erdogan sei mit Sicherheit eine "herausfordernde Persönlichkeit". Allerdings sei die Türkei wichtig als ein Land an den Schnittstellen zwischen verschiedenen Regionen. Zudem könne Erdogan möglicherweise seinen Einfluss nutzen und die Hamas zur Mäßigung aufrufen oder zur Freilassung der von ihr verschleppten israelischen Geiseln.

Die Bundesregierung verteidigt den Besuch: "Wir haben immer wieder schwierige Partner, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen", sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit. Bei allen Differenzen gehe es nun aber darum, bei Themen von gemeinsamem Interesse weiterzukommen. Als Beispiel nannte Hebestreit den Krieg in der Ukraine, in dem Erdogan eine Vermittlerrolle eingenommen hat, oder den NATO-Beitritt Schwedens, der lange Zeit durch die Türkei blockiert worden war. Scholz hatte Erdogans Vorwürfe gegen Israel am Dienstag in Berlin als absurd zurückgewiesen.

Torben Ostermann, ARD Berlin, tagesschau, 15.11.2023 10:54 Uhr