Ein Zaun in einer Aufnahmeeinrichtung in Rheinland-Pfalz.
kommentar

Arbeitspflicht für Asylsuchende Hecken schneiden eröffnet keine Chancen

Stand: 29.02.2024 22:11 Uhr

Die Debatte über eine Arbeitspflicht für Asylsuchende übersieht wichtige juristische Grundsätze und schafft keine fairen Chancen auf Zugang zum Arbeitsmarkt, meint Max Bauer. Und manche Aussage verrät, dass es vor allem um Symbolik geht.

Von Max Bauer, ARD-Rechtsredaktion

"Wer in Deutschland die Solidarität der Gemeinschaft erfährt, muss dafür auch etwas zurückgeben." Mit diesem Satz verteidigt Thüringens CDU-Chef Mario Voigt die Arbeitspflicht für Asylbewerber. Das klingt griffig. Und schon lange, schon seit 1993, steht eine entsprechende Regelung auch im Gesetz: Asylsuchenden können Tätigkeiten in ihrer Unterkunft und bei staatlichen, kommunalen oder gemeinnützigen Trägern zugewiesen werden. Es gibt sogar eine Arbeitspflicht. Und wird die Arbeit unbegründet abgelehnt, können Leistungen deutlich gekürzt werden.

Doch das ist nur die eine Seite. Denn was der Sozialstaat für das Existenzminimum des einzelnen - auch des einzelnen Asylsuchenden - tun muss und was der einzelne selbst dafür tun muss, ist eine grundsätzliche Frage. Und damit eine Frage des Verfassungsrechts.

Menschenwürde muss nicht erarbeitet werden

Erster wichtiger Grundsatz: Existenzsicherung ist erst einmal eine Pflicht des Staates, weil die Achtung der Menschenwürde das verlangt. Und die Menschenwürde, so lautet ein wichtiger Satz aus Karlsruhe, "muss nicht erarbeitet werden, sondern steht jedem Menschen aus sich heraus zu." Das heißt, die Menschenwürde wird nicht geachtet, weil ein Betroffener sich wunschgemäß verhält. Sondern sie ist ganz grundsätzlich zu achten. Eine Werteentscheidung unserer Gesellschaft.

Aber weil sich das Grundgesetz den Menschen als freien Menschen vorstellt, darf der Sozialstaat auch an die selbstbestimmte Sorge um die eigene Existenz appellieren. Soziale Sicherung darf nachrangig sein, also daran anknüpfen, dass der einzelne seine Existenz nicht selbst sichern kann.

Sozialstaat darf Mitwirkung verlangen

Sprich: Fördern und Fordern ist ok. Der Sozialstaat darf verlangen, dass der einzelne aktiv mitwirkt, aus der Hilfsbedürftigkeit rauszukommen. Das gilt auch für Asylsuchende. Aber hier liegt genau das Problem bei der Arbeitspflicht. Migrationsrechtsexperten weisen immer wieder darauf hin, dass Geflüchtete nicht arbeiten, hängt meist nicht an ihrem Arbeitswillen, sondern am fehlenden Recht, zu arbeiten.

Geduldete Geflüchtete sind da zum Beispiel weiterhin vom Ermessen der Behörden abhängig. Aber nur wenn Asylsuchende überhaupt eine Chance bekommen, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, wäre eine Arbeitspflicht überhaupt verfassungsgemäß.

Das Fördern und Fordern ist heute nicht im Gleichgewicht. Die eigene Unterkunft zu saugen oder Hecken zu schneiden, eröffnet keine Chancen auf dem regulären Arbeitsmarkt. Mehr Investitionen in die Jobcenter, in Einstiegsjobs und Ausbildungschancen wären der bessere Weg als eine symbolische Arbeitspflicht.

Eigentlich geht es um Zuwanderungsbegrenzung

Und dass es in der Debatte vor allem um Symbolik geht, verrät ein anderer Satz des thüringischen CDU-Vorsitzenden: Die Arbeitspflicht sei ein "Zeichen für notwendige Begrenzung von Zuwanderung". Darum geht es also. Hier sollen nicht Menschen integriert und ermutigt werden, sondern werden als Belastung und Bedrohung wahrgenommen, als Menschen, die man zur Arbeit verpflichten muss. Das zeugt von wenig Einblick in die Lebenswelt der Menschen, die kommen.

Wer mit Geflüchteten spricht, weiß, viele wollen arbeiten und ihren Teil zur Gesellschaft beitragen. Deswegen ist die Alternative: Fördern und Fordern auch für Asylsuchende endlich ins richtige Verhältnis zu setzen. Und das heißt, endlich faire Chancen für Geflüchtete auf Zugang zu richtiger Arbeit. Nur dann kann man von den Menschen, die zu uns kommen, auch das fordern, was die meisten von ihnen eh wollen, ein selbstbestimmtes und selbstverantwortetes Leben.

Max Bauer, SWR, tagesschau, 29.02.2024 22:09 Uhr
Redaktioneller Hinweis
Kommentare geben grundsätzlich die Meinung des jeweiligen Autors oder der jeweiligen Autorin wieder und nicht die der Redaktion.