Kohleausstieg im Osten Warten auf den Wegweiser für 2030
Kommt der vorgezogene Kohleausstieg auch für die ostdeutschen Reviere? Manche würden die Diskussion gern beenden. Andere fordern mehr vom Tempo vom Bund.
Eigentlich sollte das Papier längst vorliegen. Als sich Bund und Länder auf den Kohleausstieg bis 2038 einigten, wurde gesetzlich festgelegt, diesen Ausstieg und seine Rahmenbedingungen regelmäßig zu überprüfen. Eine erste Evaluation sollte im August 2022 erscheinen. Doch die fehlt bis heute.
Das federführende Wirtschafts- und Klimaministerium hatte sie in Folge von Ukrainekrieg und Energiekrise verschoben. Neue Termine im Frühjahr und dann im Herbst dieses Jahres wurden verpasst. Derzeit heißt es, der Bericht solle "schnellstmöglich fertiggestellt werden", so ein Ministeriumssprecher.
Sorge um "marktgetriebenen" Ausstieg
Damit schwelt die Diskussion weiter, ob der Ausstieg auf 2030 vorgelegt werden kann und sollte. Für das rheinische Braunkohlerevier ist das bereits beschlossen. Gespräche für das Lausitzer und das Mitteldeutsche Revier scheiterten aber am Widerstand der betroffenen Länder Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt - und am tschechischen EPH-Konzern, dem die Betreiber LEAG und MIBRAG gehören.
Die Evaluation könnte einem neuen Anlauf den Weg ebnen. Schließlich hatte die Ampel entschieden, so auch zu prüfen, ob ein Ausstieg 2030 umsetzbar ist. Etwa dann, wenn der Strukturwandel vorankommt und die Versorgungssicherheit gewährleistet ist. Ein früherer Ausstieg sei zudem "zur Einhaltung der Klimaschutzziele nötig", so das Wirtschaftsministerium.
Der parlamentarische Staatssekretär Michael Kellner sieht die Kohle schon heute auf dem Rückzug. Verschiedene Prognosen legen nahe, dass sie etwa 2030 unrentabel wird. Dann käme der Ausstieg nicht geplant, sondern "marktgetrieben" früher, sagte der Grünen-Politiker Kellner zuletzt im Bundestag. Dafür müsse man "Vorsorge treffen".
Auch Kraftwerksstrategie fehlt
Der Brandenburger Linken-Bundestagsabgeordnete Christian Görke teilt zwar Kellners Analyse, verlangt aber mehr Tempo, etwa bei der Evaluation. Görke zu tagesschau.de: "Nur so bekommt man Klarheit für die Menschen und Unternehmen." Derzeit seien etwa die Leute in der Lausitz "pappsatt" über "diese Amateure in der Bundesregierung".
Görke weist auf weitere Probleme hin: Wie ihm das Verkehrsministerium mitgeteilt hat, wurde die Planungsphase für ein wichtiges Strukturwandelprojekt, den Ausbau der Bahnstrecke Berlin-Cottbus-Görlitz, gerade um drei Jahre verlängert. Fertigstellung: nach 2040.
Und es gibt noch keine Kraftwerksstrategie des Bundes. Auch diese musste zuletzt verschoben werden. Ein Grund dafür: Das Wirtschafts- und Klimaministerium war mit den Folgen des Karlsruher Verfassungsurteils zum Klima- und Transformationsfonds beschäftigt.
Die Strategie soll unter anderem regeln, wie in Deutschland schnell mehrere wasserstofffähige Gaskraftwerke gebaut werden können. Diese sollen künftig die Grundlast eines ansonsten vor allem mit Wind- und Solarstrom betriebenen Netzes stellen. Für den Kohleausstieg wäre das eine wichtige Voraussetzung.
Union für Stopp der Diskussion
Die Union im Bundestag hingegen fordert ein Ende der Diskussion. Im November beantragte sie, die Bundesregierung solle "die Verunsicherung der Menschen in den Regionen durch widersprüchliche politische Signale" beenden.
"Im Großen und Ganzen läuft der Strukturwandel gut", sagte der Brandenburger CDU-Bundestagsabgeordnete Knut Abraham tagesschau.de. Es gebe keinen Grund, die Zeiträume "mutwillig" um acht Jahre zu verkürzen. Ähnlich äußern sich Vertreter der Lausitzer Kommunen.
Ampel geht teilweise auf Distanz
Derweil kommt in der Ampel Druck nur noch von den Grünen. Die Koalitionspartner schlagen andere Töne an. Im Bundestag erklärte Hannes Walter für die SPD, ein vorzeitiger Ausstieg stehe "politisch zurzeit überhaupt nicht zur Debatte".
Der parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Torsten Herbst sagte, mit dem Ende russischer Gaslieferungen und dem Atomausstieg sei "ein früherer Kohleausstieg unrealistisch" geworden. Zuvor hatte schon Finanzminister Christian Lindner das Ziel 2030 infrage gestellt.
Der grüne Wirtschaftspolitiker Bernhard Herrmann gibt sich dennoch gelassen. Er rechnet damit, dass die Kohleausstiegsevaluation und die Kraftwerksstrategie nun im ersten Quartal 2024 kommen. "Es ist komplex, und diese Dinge müssen verlässlich sein", sagte Herrmann tagesschau.de. In der Bundesregierung seien jetzt alle gefragt, die Energietransformation und den Strukturwandel zu beschleunigen.
Änderungen bei Milliardenhilfen
Einigkeit herrscht bei der Flexibilisierung der Strukturwandelhilfen. Das Wirtschaftsministerium will, dass die Milliarden unabhängig vom Ausstiegsdatum freier eingesetzt werden dürfen. Die Kohleländer wollen das auch. Derzeit prüft das Ministerium auf ihren Wunsch hin, ob dies ohne eine Änderung der Gesetze möglich ist.
Zudem hängen 1,75 Milliarden Euro in einer Beihilferechtsprüfung der EU-Kommission. Mit dem Geld will der Bund den Kohlekonzern LEAG für den Ausstieg in der Lausitz entschädigen. Die Mittel sollen der Sanierung der alten Tagebaue dienen.
Ein Grund für die seit zwei Jahren andauernde Prüfung: Die Kommission zweifelt, ob die Höhe der Entschädigung gerechtfertigt ist. So verliere ein Konzern, der erst aus der Kohle aussteigt, wenn diese sich nicht mehr rentiert, keine Einnahmen, für deren Verlust er entschädigt werden müsste. Eine ähnliche Zahlung an RWE wurde hingegen gerade von der Kommission freigegeben.