SPD-Spitzenkandidatin Giffey Bitte recht freundlich
Für Franziska Giffey geht es bei dieser Wahl um alles oder nichts. Die SPD-Politikerin kämpft um ihre Macht in Berlin - und zugleich um ihr politisches Überleben. Aber bitte recht freundlich.
Franziska Giffey steht in einer Einkaufsmeile. Es ist schon wieder Wahlkampf in Berlin und das heißt bei ihr: reden, reden, reden. Nicht von einer Bühne herab sondern im direkten Kontakt. Eine Frau erzählt ihr von der schwierigen Lage für Studierende. Giffey, eingepackt in einen leuchtend roten Mantel, nickt pausenlos, hört zu, stellt Nachfragen. Die Botschaft: Hier ist eine, die sich kümmert und die Sorgen der Menschen ernst nimmt. Das haben ihr viele schon immer abgenommen, womöglich, weil es auch so ist.
Die 44-jährige gebürtige Brandenburgerin gilt als bodenständig: die Mutter Buchhalterin, der Vater Kfz-Meister. Giffey ist studierte Verwaltungswirtin. Irgendwann habe sie nicht nur verwalten, sondern auch etwas bewirken wollen, erzählte sie einmal. Sie ging in die Politik.
Die "Marke Giffey"
Das war in Berlin-Neukölln. In dem sogenannten sozialen Brennpunktbezirk wurde die SPD-Politikerin 2010 Bildungsstadträtin und fand schnell ihren eigenen Stil: Bürgernähe und Null-Toleranz. Oder auch: Ja zu Integration und Chancengleichheit, Nein zum Kopftuch im Staatsdienst. Klar in der Sache, freundlich im Ton - geboren war die "Marke Giffey". Immer wieder betonte sie, dass ihr die Zukunft jedes einzelnen Kindes am Herzen liege. Das kam an: eine, die sich tatsächlich kümmert.
Schnell ging es für Giffey nach oben. 2015 wurde sie Bezirksbürgermeisterin von Neukölln, 2018 zog sie als Bundesfamilienministerin ins Kabinett von Kanzlerin Angela Merkel. Giffey schob Gesetze an, die allein schon durch schöne Namen auffielen: Das "Gute-Kita-Gesetz" oder das "Starke-Familien-Gesetz" gehörten dazu.
Dann kam ihre Plagiatsaffäre und damit die Frage: Hatte Giffey in ihrer Doktorarbeit im Jahr 2010 abgeschrieben? Nach zähem Hin und Her und langem Schweigen trat Giffey schließlich im Mai 2021 von ihrem Ministeramt zurück - und konzentrierte sich voll darauf, Regierende Bürgermeisterin von Berlin zu werden.
Die Fehler der Dr. Giffey
Wie es zu den Plagiaten gekommen ist, hat sie nie wirklich erklärt. Stattdessen sprach sie von "Fehlern", die sie gemacht habe und für die sie die Verantwortung trage. Die Doktorarbeit ist bis heute ein Makel in ihrer Biographie, ein schmutziger Fleck, der so gar nicht zu ihrem sonstigen Image zu passen scheint.
Geschadet hat ihr die Affäre aber in Berlin kaum: Knapp drei Viertel der Wähler gaben 2021 an, dass die Aberkennung des Doktorgrads für ihre Wahlentscheidung keine große Rolle spielte.
Wahlkämpferin Giffey präsentiert sich volksnah und zupackend.
Für die Wahlpannen kann sie nichts
So wurde nicht Dr. Franziska Giffey sondern eben nur Franziska Giffey neue Regierende Bürgermeisterin von Berlin. Sie übernahm eine Stadt, die seit Jahren von SPD-Bürgermeistern regiert wird. Auf Klaus Wowereit folgte Michael Müller und nun Giffey. Sie übernahm aber auch eine Stadt, die immer schlechter funktioniert: Miet- und Eigentumspreise steigen rasant, die öffentliche Verwaltung versagt regelmäßig - und dann schaffte es die Hauptstadt nicht einmal, im September 2021 eine ordnungsgemäße Wahl durchzuführen. Super-Wahlchaos am Super-Wahltag, Berlin blamierte sich vor aller Augen.
Für all das kann Giffey nichts, aber die Wahlpannen von damals könnten ihr jetzt großen Kummer bereiten. Denn die Wiederholungswahl, die jetzt notwendig geworden ist, kann für sie nach hinten losgehen. In Umfragen liegt ihre SPD hinter der CDU. Und nur knapp vor den Grünen.
SPD-Landesverband fremdelt mit Giffey
Sollte Giffey ihre SPD nicht erneut zum Wahlsieg führen, ist offen, ob die Genossen weiter zu ihr halten. Vielen im eher linken SPD-Landesverband ist sie nicht links genug. Giffey steht für einen Kurs der Mitte, sie ist Pragmatismus pur. Viele Sozialdemokraten wollen etwa, dass große Wohnungsunternehmen in der Hauptstadt verstaatlicht werden. Ein erfolgreicher Volksentscheid dazu liegt vor.
Giffey aber hat erst einmal eine Kommission eingesetzt, die prüfen soll, ob das Vorgehen verfassungskonform wäre. Sie selbst könne es nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren, sich für Enteignungen einzusetzen, sagte sie auch noch. Die Herzen der Basis hat sie damit nicht erobert. Ihre persönlichen Zustimmungswerte sinken laut Umfragen.
"Nee", sagt Giffey. Wer CDU wähle, kriege die Grünen
Zurück im Berliner Straßenwahlkampf. Ein Mann ruft ihr zu: "Wissen Sie, was ich wählen werde? Die CDU!" Giffey nickt, lächelt und fragt dann mit sanfter Stimme, ob er wisse, wer dann wahrscheinlich ins Rathaus einziehe? "Wegner", antwortet der Mann und meint CDU-Spitzenkandidat Kai Wegner. "Nee", sagt Giffey und gibt selbst die Antwort: "Frau Jarasch. Wenn Sie die CDU wählen, dann wird die SPD geschwächt."
Fast beiläufig und mit einem freundlichen Lächeln malt sie so das Schreckgespenst vieler Unionsanhänger an die Wand: Die grüne Spitzenkandidatin Bettina Jarasch ist derzeit noch Giffeys Koalitionspartnerin im rot-grün-roten Bündnis. Für solche Spitzen auf Kosten der Noch-Regierungspartner ist sie sich im Wahlkampf nicht zu schade. Giffeys Wahlarithmetik: Wer eine grüne Bürgermeisterin verhindern will, muss SPD wählen - so einfach ist das. Auch das ist eine zutiefst pragmatische Sichtweise.