Christian Lindner
Analyse

FDP und die Ampel Die Last des Regierens

Stand: 29.10.2022 12:17 Uhr

Die Beteiligung an der Ampel-Koalition ist der FDP bislang nicht gut bekommen. Dabei schien der Koalitionsvertrag doch eigentlich wie für sie gemacht. Was ist passiert?

Eine Analyse von Hans-Joachim Vieweger, ARD-Hauptstadtstudio

Bei der Bundestagswahl konnte die FDP noch jubeln: Zum zweiten Mal hintereinander ein zweistelliges Wahlergebnis. Bereits am Wahlabend deutete sich an, dass die Partei zusammen mit den Grünen an der neuen Regierung beteiligt sein würde. Das berühmt gewordene Selfie mit der Grünen-Spitze wenige Tage später verhieß einen neuen Politikstil. Und der Koalitionsvertrag zwischen SPD, Grünen und FDP bekam von manchen den Titel "Gelbe Seiten" verpasst - so sehr schien sich die FDP in den Koalitionsverhandlungen durchgesetzt zu haben.

All das klingt wie Lichtjahre entfernt. In den vergangenen Monaten fuhr die Partei eine Pleite nach der anderen ein. Nach den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen flog sie aus den jeweiligen Landesregierungen, in Niedersachsen flog die Partei gar aus dem Landtag.

"Wie ein Mühlstein"

Offenbar belastet die Regierungsbeteiligung in Berlin die Partei. Er habe, so Partei-Vize Wolfgang Kubicki, im Wahlkampf in Niedersachsen erfahren, dass "ein wesentlicher Teil unserer Wählerinnen und Wähler nach wie vor mit der Ampel fremdelt, auch mit der Rolle der FDP in der Ampel".

Noch deutlicher wird der Bundestagsabgeordnete Frank Schäffler. Er schrieb nach der Niedersachsen-Wahl auf Twitter: "Die Ampel-Koalition hängt wie ein Mühlstein um unseren Hals. Wir verlieren zunehmend unsere marktwirtschaftliche Glaubwürdigkeit. Die FDP muss mutiger werden und den Rücken gerade machen." Ex-Staatssekretär Thomas Sattelberger spricht von "politischer Vergewaltigung der FDP" in der Ampel. Und der frühere "Focus"-Herausgeber Helmut Markwort, der für die Liberalen im bayerischen Landtag sitzt, ruft seine Partei dazu auf, "sich deutlich gegen linke Umverteiler zu positionieren. Den Ausstieg aus der Regierung sollte die FDP dabei nicht scheuen".

"Zwei linke Partner"

So weit würde Generalsekretär Bijan Djir-Sarai nicht gehen; bei der Berliner Runde nach der Niedersachsen-Wahl warb er für klare Kante innerhalb der Ampel. Eine Koalition, so der FDP-Politiker in Richtung von SPD und Grünen, könne nicht funktionieren, "wenn zwei Partner permanent Ideen entwickeln, wie man noch mehr Geld und noch mehr Geld ausgeben kann, und andere sich permanent beschäftigen müssen, wie man das Ganze organisiert und finanziert." Eine wesentliche Aufgabe der FDP in der Koalition mit "zwei linken Partnern" müsse nun sein, linke Projekte zu verhindern.

Für Ursula Münch, Direktorin der Akademie für politische Bildung Tutzing, deutet all das auf eine große Verunsicherung innerhalb der FDP: "Sie weiß nicht genau, welches die richtige Strategie ist." Und wenn man selbst verunsichert sei, könne man auch andere nicht davon überzeugen, warum man weiter in der Regierung sei.

Rückkehr zu liberalen Werten?

Auch an der FDP-Basis wird die Frage gestellt, wie die Partei auf die jüngsten Wahlpleiten reagieren soll. Der Kreisverband Stralsund in Mecklenburg-Vorpommern sorgte für Aufsehen, als er sich öffentlich "von der derzeitigen Regierungsarbeit der Ampelkoalition" distanzierte und "für eine Rückkehr zu den liberalen Werten" warb.

Ganz so kritisch ist Britta Hundesrügge, die die FDP im Landkreis Starnberg führt - eine Hochburg der Liberalen in Bayern - nicht. Trotzdem sagt sie: "Wir müssen jetzt unsere Kernthemen wieder in den Fokus stellen und sagen, wofür die FDP steht." Die Kommunalpolitikerin nennt: Freiheit und Menschenrechte, eine starke Wirtschaft, Bildung und Infrastruktur. Wenn wir das schaffen, wird die FDP wieder stark gewählt werden."

Vor Ort erlebe sie jedenfalls eine Jetzt-erst-Recht-Stimmung, die Zahl der Parteimitglieder steige nach wie vor. In der Ampel sollte die FDP selbstbewusst auftreten, aber auch dazu stehen, dass Kompromisse nötig sein: "Wenn man in einem Dreier-Bündnis ist, muss man sich auch trauen zu sagen, dass man es einfach nicht allen recht machen kann." Wichtig sei aber, dass die eigene Handschrift zu erkennen ist.

Die Gefahr des Bremser-Images

Doch wie viel Profil ist in der Regierung möglich? Und wie soll die FDP mit Konflikten innerhalb der Bundesregierung umgehen? Nach Einschätzung der Politikwissenschafterin Münch birgt das zu starke Betonen des eigenen Profils Risiken: Die FDP könne auch von der eigenen Wählerschaft schnell als Bremser innerhalb der Koalition wahrgenommen werden. Als Beispiel führt Münch im Gespräch mit dem ARD-Hauptstadtstudio das Veto der FDP zu einem Tempolimit an: Diese Position könne die Partei nur noch einem sehr kleinen Teil der Bevölkerung erklären: "Da steht sich die FDP selbst im Weg."

Mehr noch: Wenn die FDP versuchen sollte, in der Regierung zugleich Oppositionspolitik zu betreiben, stelle sie selbst ein Bein. "Man wird dann inkonsistent und hintertreibt im Grunde auch das Gemeinsame, das man vor der Regierungsbildung als so wichtig angekündigt hat", so Münch.  

Und Lindner?

FDP-Chef Christian Lindner versucht es als Finanzminister mit einer Kombination aus Pragmatismus und Profil. Einerseits stellt die Regierung 200 Milliarden Euro zur Bewältigung der Krise bereit - so wie er es vorgeschlagen habe, wie Lindner sagt. Andererseits betont der FDP-Minister wie bei der Vorlage der Steuerschätzung am Donnerstag, dass mit ihm die Schuldenbremse des Grundgesetzes im kommenden Jahr wieder eingehalten werden soll: Das sei "ein wichtiges Signal, dass wir weiter eine stabilitätsorientierte Grundlinie vertreten".

Konflikte innerhalb der Ampel, wie zuletzt beim Streit um die Atomkraft, solle man auch nicht überbewerten, meint der Parteichef gegenüber der "Neuen Zürcher Zeitung". Die Koalition verarbeite schließlich "gesellschaftliche Konflikte, die man nicht leugnen kann". An seinem Wort von 2017, es sei besser nicht zu regieren als falsch zu regieren - damals ließ die FDP die Jamaika-Verhandlungen platzen - will Lindner bei allen Konflikten in der Ampel nicht rütteln. Zugleich aber gelte für ihn: "Es ist besser ein Land aus der Mitte heraus nach vorne zu führen als von außen zu beobachten, wie es nach links gerückt wird."

Bei aller Profilsuche - ein Bruch der Koalition kommt für Lindner also nicht in Frage. Das aber nicht nur aus staatspolitischen Gründen, die der FDP-Vorsitzende gerne bemüht, sondern auch aus Sorge, dass Neuwahlen der FDP in der aktuellen Lage gar nicht bekommen dürften. Jubeln konnten die Liberalen nach Wahlen zuletzt ja nicht.

Hans-Joachim Vieweger, Hans-Joachim Vieweger, ARD Berlin, 29.10.2022 12:29 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete NDR Info am 28. Oktober 2022 um 11:05 Uhr.