Fachkräftemangel Warum in die Ferne schweifen?
Das medienwirksame Anwerben von Fachkräften aus dem Ausland hat bisher wenig gebracht. Sinnvoller wäre es ohnehin, sich den Potenzialen in Deutschland zuzuwenden.
Es war vor einem Jahr. An den deutschen Flughäfen blieb massenhaft Gepäck liegen, weil die Bodendienstleister nicht genug Leute hatten. Arbeitsminister Hubertus Heil wollte das Problem schnell lösen - durch Fachkräfte aus der Türkei. Eine vierstellige Zahl an neuen Mitarbeitern sollte möglichst zügig Arbeitsvisa bekommen. Wenn auch nur befristet, um die Lücken zu füllen.
Das Ganze erwies sich als Flop. Statt ein paar Tausend kamen nicht mal einhundert Kräfte. Der Frankfurter Flughafen verzichtete ganz. Zu aufwendig die Verfahren, zu gering die Qualifikation der Bewerber, hieß es damals.
Anspruch und Wirklichkeit
Die Aktion Gepäckband machte vor allem die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit deutlich. Seit Jahren propagieren Arbeitsmarktpolitiker, dass dringend Fachkräfte aus dem Nicht-EU-Ausland angeworben werden müssen, um hierzulande die Lücken zu füllen. Ob bei IT-Experten, Handwerkern oder Pflegekräften. Arbeitsminister Heil reist medienwirksam um die Welt, preist die Fachkräfte in Ghana oder Brasilien, die man nach Deutschland locken müsse. EU-Bürger können sowieso hierzulande arbeiten und machen es millionenfach.
Allerdings sind nicht nur die Erfahrungen an den Flughäfen ernüchternd. Obwohl die Pflegebranche seit zehn Jahren intensiv um Nicht-EU-Bürger wirbt, sind nur ein paar Tausend nach Deutschland gekommen. Und obwohl Arbeitsminister Heil mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz 2020 die Hürden für ausgebildete Beschäftigte aus den sogenannten Drittstaaten deutlich gesenkt hat, sind seitdem laut Arbeitsministerium gerade mal 130.000 Fachkräfte mit solchen Visa eingereist. Das hing zwar auch mit der Pandemie zusammen. Aber die Bundesregierung will die Hürden nun weiter senken, weil bislang aus ihrer Sicht zu wenige Fachkräfte kommen.
Für High Potentials nur mäßig interessant
Das dürfte oft sehr viele praktische Gründe haben. Für sogenannte High Potentials ist Deutschland nur mäßig interessant, weil sie in den USA oder der Schweiz mehr verdienen und gleichzeitig weniger Steuern zahlen können. Andere werden Deutschland schon wegen der komplizierten Sprache nicht weit oben auf ihre Liste haben. Und auch bürokratische Hindernisse dürften weiter eine Rolle spielen.
Natürlich ist es gut, wenn es Deutschland schafft, mehr qualifizierte Kräfte ins Land zu holen, die hier Steuern zahlen und den Bedarf in vielen Betrieben decken. Und wahrscheinlich kann Deutschland auch noch mehr tun, um für solche Arbeitskräfte attraktiver zu werden.
Potenzial in Deutschland fördern
Aber die medienwirksame Fokussierung auf die vermeintliche Heilwirkung durch Fachkräfte-Zuwanderung geht an den Erfahrungen der letzten Jahre vorbei. Arbeitsminister Heil sollte sich stattdessen verstärkt den Potenzialen in Deutschland zuwenden. 2,5 Millionen Menschen sind derzeit arbeitslos, knapp eine Million davon schon lange.
Von den Erwerbsfähigen aus den größten Asylherkunftsländern beziehen laut Bundesagentur für Arbeit 40 Prozent Leistungen aus der Grundsicherung. Viele von ihnen könnten also besser in den Arbeitsmarkt integriert werden. Und nach wie vor haben viele ältere Arbeitnehmer große Probleme, bei Jobverlust etwas Neues zu finden. Da müsste sich eigentlich viel Potenzial auftun. Vielleicht sollte Hubertus Heil statt nach Ghana oder Brasilien öfter mal nach Gelsenkirchen, Bremerhaven oder Stendal fahren.
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