Ausrüstung der Bundeswehr Zeitenwende in Zeitlupe
100 Milliarden Euro stehen Verteidigungsministerin Lambrecht für die Modernisierung der Bundeswehr zur Verfügung. Doch die Beschaffung neuer Ausrüstung kommt nur langsam voran. Vor allem Munition wird dringend benötigt.
Modern und attraktiv - so zeigt sich die Bundeswehr in einem kurzen Werbefilm und verspricht: "Wir schützen Deutschland." Doch viele treibt die Frage um, ob sie dazu überhaupt in der Lage ist. Die von Bundeskanzler Olaf Scholz immer wieder beschworene Zeitenwende scheint für die Soldatinnen und Soldaten bisher keine großen Veränderungen bewirkt zu haben.
Klage über langsame Beschaffung
Am 27. Februar hatte Scholz die Herausforderung beschrieben, die der Angriff auf die Ukraine für die Bundeswehr bedeutet: "Wir brauchen Flugzeuge, die fliegen, Schiffe, die in See stechen, Soldatinnen und Soldaten, die für ihre Einsätze optimal ausgerüstet sind. Und das ist ja wohl erreichbar für ein Land unserer Größe und unserer Bedeutung in Europa."
Für das 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen musste das Grundgesetz geändert werden. Außerdem wurde Anfang Juli das Bundeswehr-Beschaffungsbeschleunigungsgesetz verabschiedet. Monate gingen ins Land. Immer wieder wurden Klagen laut, die zuständige Verteidigungsministerin rufe zu wenig aus dem Sondervermögen ab, sie werde ihrer Aufgabe nicht gerecht, es dauere alles zu lange. Am 23. November hielt Christine Lambrecht in der Haushaltsdebatte dagegen: "Sie werden manche Systeme nicht einfach im Baumarkt aus dem Regal holen können, jetzt mal im Ernst."
Rufe nach "Kriegswirtschaft"
Doch die Frage bleibt, ob Beschaffungen nicht schneller gehen könnten, vor allem bei der dringend erforderlichen Ausrüstung der Soldaten - darunter auch Alltägliches, wie Wehrbeauftragte Eva Högl beschreibt: "Helme, Rucksäcke, Schutzwesten, Kälte und Nässeschutz, Stiefel, Socken und dann das kleinere Gerät. Die Funkgeräte sind sehr wichtig. Unsere Funkgeräte sind 30 Jahre alt. Deswegen mahne ich an, dass es flott geht."
Doch flott ist im militärischen Beschaffungswesen ein Begriff, der nur selten zutrifft. In der Regel müssen viele Instanzen überwunden werden. Die Kontrolle durch das Parlament ist zentral für die Beschaffung. Doch das dauert - trotz des neuen Bundeswehr-Beschaffungsbeschleunigungsgesetzes.
Wolfgang Ischinger, der frühere Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz, hat daher den, wie er selbst sagt, provozierenden Begriff der "Kriegswirtschaft" in die Diskussion geworfen. "Wir können den normalen friedensmäßigen Beschaffungsprozess der Bundeswehr so nicht weiterführen", sagt Ischinger. "Das soll heißen, dass die Regierung die Beschaffung des notwendigen Materials mit Priorität behandelt." Man müsse endlich realisieren, "hier herrscht Krieg. Deswegen kann es nicht so weitergehen wie in normalen Friedenszeiten", auch angesichts der Inflation. Beschaffungen aus dem Sondervermögen werden zu einem Rennen gegen die Zeit.
Munitionsvorräte für Friedenszeiten
Die bisherige Bilanz des Verteidigungsministeriums ist gemischt: Manche Großprojekte sind auf den Weg gebracht, wie der Kauf von US-amerikanischen F-35-Kampfflugzeugen. Doch zugleich hapert es an Grundsätzlichem wie der Beschaffung von Munition. Im Ernstfall hätte man gerade mal genug für ein paar Tage, warnen Angehörige der Bundeswehr.
"Wir haben uns in Deutschland innerlich darauf eingestellt, keine großen Munitionsvorräte zu brauchen", beschreibt Sara Nanni, Verteidigungspolitikerin der Grünen, die Situation vor dem Krieg in der Ukraine. Das sei eine Fehleinschätzung aller Parteien gewesen. Nanni denkt an die Annexion der Krim. "Seit 2014 hätte bei uns in Deutschland Alarmstufe Rot gelten müssen. Wir haben die Sorgen und Ängste der Osteuropäer nicht ernst genommen. Die Bedrohungswahrnehmungen unserer Partner müssen eine größere Rolle spielen."
Bereits vor einem halben Jahr warnte Generalinspekteur Eberhard Zorn, der Bundeswehr fehle Munition im Wert von 20 Milliarden Euro. Viele fragen sich, warum das Ministerium da nicht ganz schnell neue Munition bestellt habe. "Die wohlwollende Erklärung ist, dass das Ministerium natürlich seit der Zeitenwende enorm gefordert ist", räumt Nanni ein. "Ich sehe auch, dass dort sehr, sehr viel gearbeitet wird. Und vielleicht ist es mit der Priorisierung an der einen oder anderen Stelle nicht ideal gelaufen."
Wettrennen um Rüstungsgüter
Die Opposition fürchtet, dass alles deutlich teurer werden könnte - wegen der Inflation, aber auch wegen der Konkurrenz mit anderen Staaten. "Alle Nationen haben Munition in der Wehrtechnik bei den entsprechenden Firmen bestellt und mussten erleben, dass sich der Preis für bestimmte Dinge verdoppelt hat, weil die Materialien, die Ressourcen auch knapp sind, und das bestimmt ja am Ende den Preis", sagt CDU-Haushaltspolitiker Ingo Gädechens. Er geht daher davon aus, dass die erforderliche Munition nicht 20 Milliarden, sondern gar 40 Milliarden Euro kosten könnte.
Das Wettrennen um die Produkte der Rüstungsindustrie hat längst eingesetzt. Der Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie versichert, die Bundeswehr solle bekommen, was sie brauche, aber dafür benötige die Industrie Planungssicherheit.
"Wir können schnell liefern", verspricht Hauptgeschäftsführer Hans-Christoph Atzpodien, "wir sind auch durchaus in der Lage, Kapazitäten aufzubauen. Aber die Erfahrung zeigt eben: Man muss vorher eine Bestellung haben. Und jetzt einfach nur in Vorlage zu gehen, das wäre zu viel verlangt." Atzpodien plädiert für ein geschlossenes Vorgehen aus Politik und Industrie: "Man sollte jetzt nicht wechselseitig mit dem Finger auf irgendwen zeigen, sondern wir müssen gemeinsam daran arbeiten, dass wir diesen Prozess wirklich in Gang kriegen."
Dazu haben alle an diesem Montag Gelegenheit, wenn im Kanzleramt ein Treffen mit Vertretern der Rüstungsindustrie stattfindet. Dabei soll vor allem ein Weg aus der Munitionsmisere gefunden werden. Wie hatte es der Kanzler in seiner Rede zur Zeitenwende noch einmal formuliert? Für ein Land wie die Bundesrepublik mit seiner Größe und Bedeutung in Europa müsse es ja wohl erreichbar sein, seine Soldatinnen und Soldaten optimal auszurüsten.
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