Beleidigungen im Bundestag Immer mehr Ordnungsrufe
Im Bundestag geht es mitunter hoch her, aber Beleidigungen haben im Parlament nichts verloren. Und doch: Die Zahl der Ordnungsrufe steigt massiv. Woran liegt das?
Beleidigungen haben nichts im Bundestag verloren. Daran mussten in den vergangenen Monaten die Bundestagspräsidentin und ihre Stellvertreterinnen und Stellvertreter aber zunehmend erinnern: Egal ob als Zwischenruf oder am Rednerpult - insgesamt 19 Ordnungsrufe haben sie seit Beginn der Legislaturperiode im Oktober 2021 ausgesprochen. Das sind fast dreimal so viele wie im gleichen Zeitraum der vergangenen Legislaturperiode 2017-2021.
Doch es gehe nicht nur um die Zahlen, stellt Bundestagspräsidentin Bärbel Bas im Interview mit dem ARD-Hauptstadtstudio klar. Seit die AfD 2017 in den Bundestag eingezogen ist, sei der Ton im Plenum generell rauer geworden. "Das merken wir schon." Mit der AfD gebe es eine Fraktion, die "sehr bewusst auch mit Sprache umgeht und spielt". Auf der anderen Seite ließen sich aber auch die anderen Fraktionen vieles nicht gefallen, sagt Bas. "Insofern haben sich seit 2017 die Fraktionen auch gegenseitig ein bisschen hochgepeitscht."
"Wir möchten keine Hitlisten"
Die meisten Ordnungsrufe gingen seit 2017 an die AfD: rund zwei Drittel - genauso in der aktuellen wie auch in der vorigen Legislaturperiode, wie aus Zahlen des Bundestags hervorgeht.
Bas will verhindern, dass Ordnungsrufe gezielt provoziert werden: "Wir möchten auch nicht, dass es Hitlisten gibt, wer die meisten Ordnungsrufe bekommen hat." Stattdessen sieht sie es als die Aufgabe ihres Präsidiums, die Würde des Hauses zu wahren und im Sinne der Bürgerinnen und Bürger eine politische, fachliche Diskussion zu ermöglichen: "Die Menschen sollen wissen, worum es bei dem Thema geht. Das ist das Entscheidende."
"Das ist ja Kindergarten"
Die Bundestagspräsidentin berichtet auch von Beschwerdebriefen, die sie erhalte. Tenor: "Das ist ja ein Kindergarten. Da will ich gar nicht mehr zuhören." Die negativen Rückmeldungen wertet Bas auch als Warnsignal. Denn das Präsidium wolle einerseits Debatte zulassen: "Sie soll auch gerne hitzig sein." Aber wo sie in Beleidigungen übergingen oder Begriffe in Anspielung auf die Zeit des Nationalsozialismus verwendet würden, müssten sie Sanktionen aussprechen. "Damit es am Ende nicht eskaliert."
Die Mitglieder des Bundestags können nicht nur für persönliche Beleidigungen sanktioniert werden, sondern für alles, wodurch sie "die Ordnung oder die Würde des Bundestages verletzen". So steht es in der Geschäftsordnung des Bundestags. Ein Ordnungsruf wirkt vor allem im Moment und hat kaum offizielle Konsequenzen - lediglich bei drei Ordnungsrufen zum gleichen Thema darf das entsprechende Bundestagsmitglied nicht mehr dazu reden.
Auch festgelegte Eskalationsstufen gibt es im Bundestag nicht. Deshalb ist es Aufgabe der Sitzungsleitung, aufmerksam zu sein, die Situation einzuschätzen und gegebenenfalls mit den verschiedenen Mitteln zu sanktionieren: mit Ordnungsrufen oder Rügen. In drastischeren Fällen ist ein Ausschluss von der Sitzung möglich und seit vergangenem Jahr auch ein Ordnungsgeld. Verhängt wurde bisher allerdings keines.