Wartende Menschen vor der Ausländerbehörde in Stuttgart (Archiv)
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Zustände bei Ausländerbehörden An der Grenze der Belastbarkeit

Stand: 29.10.2023 06:53 Uhr

Effiziente Ausländerbehörden sind notwendig, um die Pläne der Bundesregierung zur Einwanderung und auch Abschiebungen umzusetzen. Doch die Probleme sind gewaltig, zeigt eine neue Studie.

Von Nadine Bader, ARD-Hauptstadtstudio

Für Melanie Schmickler ist ihr Beruf zugleich Berufung. Sie leitet die Ausländerbehörde in Dortmund. Ihr ist wichtig, dass die Behörde gut aufgestellt ist, um die zahlreichen Aufgaben bewerkstelligen zu können. Denn die nehmen durch immer neue Gesetze weiter zu, etwa bei der Fachkräfteeinwanderung, bei Einbürgerungen oder auch Abschiebungen.

Die Anforderungen an ihre Mitarbeiter sind hoch, die sich stetig verändernden rechtlichen Regelungen komplex. 2012 waren es noch 80 Mitarbeiter in der Dortmunder Behörde, sagt Schmickler. Mittlerweile sind es 180. Der Bedarf steigt. Die Behördenleiterin spricht von einem "enormen Handlungsdruck" in allen Bereichen. Das Personal reiche nicht aus. "An allen Stellen gärt und brennt es", sagt sie.

Arbeitsbelastung stark erhöht

Der Kanzler setzt große Hoffnung in die Ausländerbehörden. "Wir müssen endlich im großen Stil diejenigen abschieben, die kein Recht haben, in Deutschland zu bleiben", sagte Olaf Scholz kürzlich im "Spiegel". Oftmals geht das gar nicht, etwa weil die Papiere abgelehnter Asylbewerber fehlen oder ihre Heimatländer sie nicht zurücknehmen.

Zudem sind die Ausländerbehörden, die prüfen müssen, ob ausreisepflichtige Asylbewerber abgeschoben werden können, nicht gut aufgestellt. Woran das liegt, haben Migrationsforscher in einer neuen Studie im Auftrag der Bertelsmann Stiftung untersucht, die dem ARD-Bericht aus Berlin exklusiv vorliegt.

Dafür haben die Wissenschaftler von der Universität Hildesheim und der Universität Duisburg-Essen eine Umfrage unter 90 Ausländerbehörden durchgeführt und Interviews mit Mitarbeitern geführt. 92 Prozent der Befragten sagen, dass die Arbeitsbelastung sich in den vergangenen Jahren stark erhöht hat. Acht Prozent machten dazu keine Angaben. Die Frustration ist demnach groß. 72 Prozent gaben an, dass neue Mitarbeiter aus ihrer Ausbildung oder ihrer vorherigen Tätigkeit keine ausreichenden Vorkenntnisse mitbringen. Der Rest beurteilte das mit "teils/teils" oder machte keine Angaben.

Viele Mitarbeiter überfordert mit Entscheidungen

Vor allem im rechtlichen Bereich reichten die Kenntnisse nicht aus, um die Aufgaben in der Behörde zu bearbeiten. Keiner der Studienteilnehmenden hatte den Eindruck, dass neue Mitarbeiter gut vorbereitet sind. Dabei müssen sie weitgehende Entscheidungen treffen, etwa ob Menschen in Deutschland bleiben dürfen oder das Land verlassen müssen. Der Ermessensspielraum überfordert viele und führt dazu, dass sie sich allein gelassen fühlen. In der Folge lassen sich viele nach wenigen Jahren auf andere Stellen in anderen Ämtern versetzen.

Studienleiter und Migrationsforscher Hannes Schammann warnt vor den Folgen, wenn Ausländerbehörden nicht funktionieren: Dinge bleiben länger liegen, Anträge werden nicht bearbeitet und im Kern werden Gesetze nicht vernünftig umgesetzt. Etwa die Vorhaben auf Bundesebene zur Einwanderung von Fachkräften einerseits und zur zügigen Abschiebung von abgelehnten Asylbewerbern auf der anderen Seite. Der Frust in der Bevölkerung werde dann noch steigen, sagt der Professor für Politikwissenschaft.

Die Wissenschaftler empfehlen, die Arbeit der Ausländerbehörden zu entschlacken. Das betrifft unnötige Prüfaufträge. Ein Beispiel: Wenn das Jobcenter ein Dokument schon genehmigt hat, prüft die Ausländerbehörde das häufig noch einmal. Wenn solche unnötigen Vorgänge wegfielen, hätten die Mitarbeiter mehr Zeit für andere Dinge.

Bessere Ausbildung, bessere Bezahlung, Digitalisierung

Außerdem müsse die Arbeit in Ausländerbehörden attraktiver werden. Durch mehr Personal, das eine bessere Ausbildung sowie Fortbildungen erhält und besser bezahlt wird. Auch die Digitalisierung der Ausländerbehörden lasse noch zu wünschen übrig. Derzeit gebe es häufig "Insellösungen", sagt Schammann. Das heißt, digitale Prozesse sind nicht mit anderen Behörden oder gar bundesweit abgestimmt. Das müsse sich ändern.

Außerdem müssten neue digitale Workflows entwickelt werden, die tatsächlich Erleichterung bringen, etwa automatisierte digitale Vorgänge und eben nicht nur das Einscannen von Dokumenten. Nur 24 Prozent der Ausländerbehörden verfügen laut der Studie über die Möglichkeit digitaler Antragstellung.

Viel Luft nach oben

In Dortmund ist das bereits der Fall. Die Arbeit wird dadurch aber nicht erleichtert, sagt Teamleiterin Laura Hinteresch. Denn digitale Antragstellung bedeute bei ihnen: Eine E-Mail mit PDF-Anhang gehe ein. Die Informationen daraus müssten dann händisch abgetippt und in ein anderes System eingegeben werden. Am Ende werde der Vorgang ausgedruckt und in einer Papierakte abgeheftet. E-Akten haben sie hier bislang nur für aus der Ukraine Geflüchtete angelegt.

Bei der Digitalisierung gibt es also noch Luft nach oben, sagt Behördenleiterin Schmickler. Sie hofft, dass sich die Arbeitsbedingungen für ihre Mitarbeiter bald verbessern - auch, damit sie länger in der Behörde bleiben. Derzeit würden die wenigsten dort mehr als drei bis fünf Jahre arbeiten. Doch die Behördenleiterin braucht mehr Planstellen und gut ausgebildete Fachkräfte. Ansonsten werden die Wartezeiten noch länger. Wer sich in der Stadt einbürgern lassen will, wartet derzeit zwölf Monate - allein, um einen Termin für die Antragstellung zu bekommen.

Christopher Jähnert, ARD Berlin, tagesschau, 29.10.2023 11:30 Uhr

Den "Bericht aus Berlin" zu diesem Thema sehen Sie heute um 18 Uhr in der ARD.