Habeck unter Druck Charismatiker im Verteidigungsmodus
Er galt lange als der große Erklärer der Ampelkoalition. Jetzt kratzen die Energiekrise und deren Folgen an Robert Habecks Image. Ist der Stern des Vizekanzlers am Sinken?
Es läuft nicht gut für den grünen Vizekanzler der Ampelkoalition, wirklich nicht. War er gerade noch als Überflieger, bester Politikerklärer und eigentlich sogar als der bessere Kanzler gehandelt worden, scheint Vizekanzler Robert Habeck nun an Flughöhe zu verlieren.
Die Querelen und Nachbesserungen bei der Gasumlage und das undeutliche Herumreden bei "Maischberger", als es um mögliche Insolvenzen kleinerer Betriebe infolge der Wirtschafts- und Energiekrise ging, brachten den Minister ins Trudeln - und dann lieferte er der Opposition und der FDP am Montag auch noch mit seiner Entscheidung die perfekte Vorlage, zwei der drei noch laufenden Kernkraftwerke nur für einen Notreservebetrieb ab Januar vorzusehen.
Kein Wunder also, dass Oppositionschef Friedrich Merz in der vielbeachteten Generaldebatte des Bundestages am Mittwoch die Besetzung des Wirtschaftsministeriums mit Habeck an der Spitze als "Irrsinn" bezeichnete und die FDP lauthals nach einem deutlicheren und längeren Weiterbetrieb der AKWs ruft, inklusive des Einkaufs neuer Brennstäbe - und das als Habecks eigentlich zu einer gewissen Loyalität verpflichteter Koalitionspartner. Habeck bekommt derzeit sogar aus seiner eigenen Koalition heraus noch Gegenwind für seine Entscheidungen.
Fast vergessen scheint der harmonische Auftritt von Habeck und Lindner bei der Kabinettsklausur in Meseberg erst in der vergangenen Woche, in der die beiden zumindest ansatzweise versuchten, das Miteinander der Anfangsphase zu verkörpern. Offenbar nahezu wirkungslos verhallt sind die dortigen Worte des Bundeskanzlers, man müsse sich gemeinsam auch als Koalition in diesen Krisenzeiten "unterhaken".
Sicher, es lastet immenser Druck auf der Koalition, gegen die sogar die Finanzkrise 2008, die Angela Merkel und Peer Steinbrück bewältigen mussten, vergleichsweise harmlos erscheint. Aus den jetzt agierenden Ministern Christian Lindner (FDP) und Habeck sind über die "Zeitenwende" zwei zentrale Akteure geworden: In ihren Ressorts Finanzen, Wirtschaft, Energie und Klimaschutz müssen Lösungen erarbeitet werden, die die Krisen abfedern; multiple Krisen, die durch Putins Angriffskrieg ausgelöst wurden, sei es bei der Energiegewinnung, bei den Energiepreisen und der Inflation. Aber aus den beiden Protagonisten einer Reformkoalition ist spürbar eher ein Nebeneinander als ein Miteinander geworden.
Manager des Mangels statt Transformationstreiber?
Habeck mutiert immer mehr zum Manager des Mangels, statt strahlender Minister der Transformation hin zum klimaneutralen Deutschland zu sein, wie er es sich vermutlich vorgestellt hat. Gerade in dieser Woche kann man geradezu zuschauen, wie ihm die Sorgenfalten auf der Stirn wachsen. Wächst ihm auch die Aufgabe über den Kopf?
Als er am heutigen Donnerstag ans Rednerpult des Bundestages tritt, um seinen Haushalt zu verteidigen, wirkt er eher gefasst, wenngleich leicht genervt: "Eigentlich haben wir besseres und wichtigeres zu tun, als übereinander zu reden - die Wirklichkeit fordert unsere volle Konzentration." Und holt dann doch zum Gegenangriff gegen Merz und seine Union mit 16 Jahren "Verhinderungspolitik" bei Erneuerbaren Energien. Jetzt sei Krisenpolitik gepaart mit Transformationspolitik gefragt.
Seine eigentliche Botschaft: Die Zeiten seien zu ernst für dieses Kleinklein und Aufeinanderherumgedresche. Man befände sich schließlich in einer Energiekrise, deren Aufgaben weit komplexer und größer seien als die Ölkrise 1973. Und einmal scheint auch in dieser Woche der alte Politik-Philosoph Habeck durch: "Wir sollten vielleicht auch überdenken, in welcher Rolle sich Opposition und Regierung manchmal befinden."
Habeck geht auf die Kritik an Gasumlage, AKW-Laufzeit und Inflations-Talk einfach gar nicht mehr ein. Für ihn Schnee von gestern. Seine Haltung ist hier klar: Krisenbewältigungspolitik in dieser Geschwindigkeit - mit manchmal schlechten Ausgangsdaten wie beim Gasmarkt erforderten halt zuweilen das Nachsteuern bei unbeabsichtigten Fehlentwicklungen. Und das hat er gemacht, Thema abgehakt. Bei der Kernkraft hat er sich ja bewegt, so sieht es sein Ministerium und seine Parteispitze - die Kraftwerke liefen ja weiter, wenn Bedarf sei.
Bei der drohenden Insolvenz kleinerer Betriebe hatte er wohl gute Gründe dienstags bei Sandra Maischbergers ARD-Talkshow nicht deutlicher zu werden. Der dafür vorhergesehene Rettungsschirm war nach Informationen von tagesschau.de da noch nicht koalitionsintern abgestimmt. Wäre Habeck konkreter geworden, hätte Lindner noch ein Beispiel mehr gehabt zu sagen: War mal wieder nicht abgesprochen.
Führende Ökonomen springen ihm bei
Da zog er es vor, nebulös zu bleiben - mit anschließendem Twitter-Bashing. Zumal ihm führende Ökonomen wie etwa Marcel Fratzscher inhaltlich zur Seite sprangen. Zwei Tage später verkündete Habeck dann offiziell das Rettungsprogramm, um Insolvenzen im kommenden Herbst und Winter abzuwenden.
"Mehr Habeck wagen", war im ersten Halbjahr durchaus ein geflügeltes Wort im Regierungsviertel und darüber hinaus: Für direkte Ansprache, viel aktives Erklären der aktuellen politischen Entscheidungen und sie dadurch nachvollziehbar machen. Dafür scheint ihm momentan die Luft zu fehlen.