Jahrelange Verzögerungen Ärger um das Abhörzentrum Ost
Fünf ostdeutsche Bundesländer bauen in Leipzig ein gemeinsames Abhörzentrum der Polizei auf. Doch das Projekt verzögert sich - und könnte sehr viel teurer werden als geplant.
Wer den langen Gang des Leipziger Abhörzentrums entlanggeht, kommt an Türen mit den Wappen von fünf ostdeutschen Bundesländern vorbei: Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Brandenburg und Berlin. Für jedes Land gibt es einen einzelnen Raum. Dort sollen einmal Mitarbeiter des Abhörzentrums sitzen. Doch Anfang dieses Jahres waren die Räume noch immer verwaist - obwohl dort schon seit Jahren Betrieb sein sollte.
Das "Gemeinsame Kompetenz- und Dienstleistungszentrum auf dem Gebiet der polizeilichen Telekommunikationsüberwachung", kurz GKDZ, befindet sich auf einem Gelände der Polizei im Leipziger Norden. Irgendwann wurde das GKDZ nur noch Abhörzentrum genannt. Der Name ist seither gesetzt.
Gemeinsames Rechenzentrum
Das Abhörzentrum ist eine Anstalt öffentlichen Rechts und soll auch in Zeiten von Messenger-Diensten die Telekommunikationsüberwachung sicherstellen. Der Plan: Die fünf Bundesländer bündeln mit dem gemeinsamen Rechenzentrum ihre Ressourcen, lassen die neue Technik im Verbund entwickeln und sparen so letztlich Geld. Denn noch unterhalten die Länder jeweils eigene Rechenzentren.
Konkret sollen künftig die Polizeien der Länder Anfragen an das GKDZ stellen, die wiederum die Daten bei den Telekommunikationsunternehmen anfordern. Beim Abhörzentrum sollen die Daten zentral verarbeitet und wiederum an die Polizei weitergeleitet werden.
Aus 2021 wird 2024
Eine erste Grobplanung für das Abhörzentrum stammt aus dem Jahr 2013. Vier Jahre später schlossen die beteiligten Länder dann einen Staatsvertrag und bildeten eine Anstalt öffentlichen Rechts. Eigentlich sollte die Anlage zur Telekommunikationsüberwachung spätestens 2021 ihren Betrieb aufnehmen.
Auf MDR-Nachfrage teilte das Land Brandenburg, das derzeit den Verwaltungsrat-Vorsitz innehat, kürzlich mit, dass die stufenweise Umsetzung und Inbetriebnahme "nach aktuellen Planungen" im Jahr 2024 erfolgen könne. Dies stehe aber auch "in Abhängigkeit zur Leistungsfähigkeit des Marktes". Bei weiteren Lieferverzögerungen könnte es also auch noch länger dauern.
Probleme mit Hard- und Software
GKDZ-Vorstandsvorsitzender ist Ulf Lehmann. Er hatte dem MDR im November mitgeteilt, dass alle bautechnischen Voraussetzungen hinsichtlich der Serverräume für die Rechenzentren abgeschlossen seien. "Die weitere Zeitschiene hängt nicht unwesentlich von den aktuell schwer kalkulierbaren Lieferzeiten der benötigten Hardware ab", erklärte Lehmann.
Nicht nur an der Hardware mangelt es. Auch bei der Software müssen sich die GKDZ-Verantwortlichen gedulden. Nach Angaben eines Sprechers des Brandenburger Innenministeriums läuft derzeit die technische Umsetzungsphase für die Telekommunikationsüberwachung. Auch an der Software wird also noch gearbeitet.
Genaue Kosten werden seit 2018 nicht veröffentlicht
Die Ausgaben für das Projekt sind schon jetzt hoch. Allein für die Jahre 2017 und 2018 zahlten die beteiligten Bundesländer insgesamt fast 16 Millionen Euro. Seit 2017 stellen die beteiligten Länder die Finanzmittel zur Verfügung - aufgeteilt nach einem modifizierten Königsteiner Schlüssel.
Doch wie viel Geld das Projekt seither gekostet hat und welche finanziellen Mittel die Bundesländer bis zur Inbetriebnahme voraussichtlich noch in den Aufbau stecken müssen, ist öffentlich nicht nachlesbar. Denn der genaue Wirtschaftsplan ab 2019 ist als Verschlusssache eingestuft und darf nicht veröffentlicht werden.
Wer herausfinden will, was das Projekt kostet, muss einen Umweg gehen. Denn teilweise gehen die Finanzierungsbeiträge aus den Haushalten der Länder hervor.
Sachsen geht am transparentesten damit um und hat Zahlen für alle Jahre vorgelegt - auch bereits für den Doppelhaushalt 2023/2024. Im laufenden und kommenden Jahr sind vom Freistaat rund 3,6 (Jahr 2023) beziehungsweise rund 3,9 Millionen Euro (Jahr 2024) veranschlagt. Von 2017 bis 2024 weist Sachsen demnach insgesamt knapp 20 Millionen Euro an Investitionen für den Aufbau des gemeinsamen Abhörzentrums aus.
Blick in einen Serverraum des Gemeinsamen Kompetenz- und Dienstleistungszentrums (GKDZ) in Leipzig
Abhörzentrum könnte rund 70 Millionen Euro kosten
Doch wie viel wird der Aufbau des GKDZ in den Jahren 2017 bis voraussichtlich 2024 insgesamt kosten? Das derzeit federführende Innenministerium in Brandenburg verwies auf eine MDR-Anfrage Ende vergangenen Jahres darauf, dass noch nicht alle europaweiten Vergabeverfahren abgeschlossen seien. Daher könne man noch keine validen Aussagen hinsichtlich der Gesamtkosten treffen. Thüringen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Berlin nannten auf MDR-Anfrage keine genauen Kosten für alle Jahre.
Doch mit den anteiligen Zahlen für alle Länder für die Jahre 2017 und 2018 und dem bekannten Anteil Sachsens für alle Jahre bis 2024 kann man sich den theoretischen Gesamtkosten annähern - vorausgesetzt, die prozentuale Verteilung der ersten beiden Aufbaujahre wird weiter angewendet.
Dann zeigen die Zahlen aus Sachsen im Folgeschluss die Kosten, die bei allen fünf beteiligen Bundesländern zusammen für den GKDZ-Aufbau bis 2024 auflaufen würden: mehr als 70 Millionen Euro. Zwar hat sich der Königsteiner Schlüssel, der festlegt, welches Land wie viel zahlt, seit 2017 leicht verändert - große Auswirkungen auf die Gesamtsumme dürfte dies aber nicht gehabt haben. Beim GKDZ wollte man die Summe von rund 70 Millionen Euro nicht bestätigen.
Ein externes Unternehmen hatte die Investitionskosten für das GKDZ im Jahr 2013 in einer Grobplanung auf 15,8 Millionen Euro geschätzt. Unklar ist, ob dabei auch laufende Personalkosten abgedeckt waren.
Thema im Innenausschuss
Wegen der Verzögerungen bei der Inbetriebnahme des GKDZ könnte nun auch der parlamentarische Druck steigen. Sebastian Striegel ist innenpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt. Er sagte dem MDR, das Projekt glänze aktuell durch Verzögerungen und Intransparenz. Auf Antrag der Grünen-Fraktion sollte sich der dortige Innenausschuss heute mit dem GKDZ befassen. Der Tagesordnungspunkt wurde allerdings kurzfristig gestrichen.
Wie schwierig der Aufbau einer zentralen Infrastruktur bei der Telekommunikationsüberwachung offenbar ist, zeigt ein Blick nach Norddeutschland. Dort läuft ein ähnliches Projekt unter Beteiligung von Niedersachsen, Bremen, Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern. Das in Hannover angesiedelte Projekt startete 2016, fertig sein sollte es 2020. Bis jetzt ist die Anlage nicht in Betrieb. Die "Bild"- Zeitung zitierte Anfang 2023 einen Sprecher des Landeskriminalamtes Niedersachsen mit den Worten, dass "keine valide Aussage über die Wirkbetriebaufnahme getroffen werden" könne.