Trotz "Raser-Paragraf" Zahl illegaler Autorennen nimmt zu
Bundesweit hat die Zahl illegaler Autorennen zugenommen - obwohl härtere Strafen genau das verhindern sollen. 2017 wurde dafür der sogenannte "Raser-Paragraf" eingeführt. Für Experten geht das aber nicht weit genug.
Wenn Michael Weyde seine Arbeit beginnt, versucht er, in die Vergangenheit zu blicken. Weyde ist Sachverständiger bei der Unfallforschung Berlin. Anhand von Fahrzeugdaten rekonstruiert er Autounfälle: Was in den letzten Sekunden vor einem Aufprall passiert ist, ob der Fahrer zu schnell um die Kurve gefahren ist - oft kann Weyde das anhand des Bordcomputers nachvollziehen.
Um Hilfe gebeten wird er zum Beispiel, wenn Polizei und Staatsanwaltschaft ein illegales Autorennen als Ursache für den Unfall vermuten. Und das passiert immer öfter: In den vergangenen Jahren hat sich die Zahl illegaler Autorennen und Raserfahrten in Deutschland mehr als verdoppelt. Das geht aus einer Recherche der Team UPWARD-Redaktion des ARD-Mittagsmagazins hervor. Während die Polizei im Jahr 2019 noch 2163 illegale Autorennen erfasste, waren es 2021 schon 5674.
Nordrhein-Westfalen und Berlin sind Hotspots
Besonders auffällig sind dabei Nordrhein-Westfalen und Berlin. In Nordrhein-Westfalen hat sich die Zahl der illegalen Autorennen von 2019 bis 2021 von 766 auf 2037 fast verdreifacht. Berlin folgt direkt dahinter, mit 362 erfassten Rennen im Jahr 2019 und 562 im Jahr 2021.
Die Zahlen umfassen jeweils illegale Autorennen mit mehreren Beteiligten, aber auch einzelne Raser, die mit dem gefährlichen Ziel, Maximalgeschwindigkeit zu erreichen, auf der Straße unterwegs sind - zum Beispiel bei der Flucht vor der Polizei.
Weil Baden-Württemberg und Saarland illegale Autorennen für diesen Zeitraum nicht vollständig erfasst haben, blieben sie in dieser Recherche unberücksichtigt. Einige andere Bundesländer weisen darauf hin, dass die gestiegene Zahl der erfassten Autorennen auch an verstärkten Kontrollen liegen könnte.
Rasern drohen bis zu zehn Jahren Haft
Eigentlich wollten die Gesetzgeber die illegalen Autorennen mit härteren Strafen eindämmen. 2017 wurde dafür der sogenannte "Raser-Paragraf" im Strafgesetzbuch eingeführt. Anlass dafür war unter anderem ein illegales Autorennen zweier junger Männer auf dem Berliner Kurfürstendamm im Februar 2016. Damals starb ein unbeteiligter Fahrer.
Mittlerweile gelten Autorennen nicht mehr als eine Ordnungswidrigkeit, die mit Bußgeld geahndet wird, sondern als Straftat - bis zwei Jahre Haft drohen allein für die Teilnahme. Kommt dabei ein Mensch zu Tode, sieht der Paragraf 315d Haftstrafen bis zu zehn Jahren vor.
Justizministerium wertet Raser-Paragraf als Erfolg
Obwohl die Raserfahrten massiv zugenommen haben, zum Teil mit Verletzten und sogar Toten, wertet das Bundesjustizministerium die Einführung des "Raser-Paragrafen" vor gut fünf Jahren als Erfolg. Es verweist dabei auf die zunehmende Strafverfolgung: Von 2018 bis 2020 gab es nach Angaben des Ministeriums 917 Verurteilungen in Deutschland, davon 71 Freiheitsstrafen. Eine "Abschreckungswirkung" sei "angesichts der verhängten Strafen und der Zahl der Verurteilungen plausibel".
Der Berliner Amtsanwalt Andreas Winkelmann vertritt in vielen Gerichtsprozessen zu illegalen Autorennen die Seite des Staates. Er warnt davor, sich auf dem "Raser-Paragrafen" auszuruhen. "Der Paragraf hat schon seine Wirkung, aber es muss mehr passieren. Die Politik muss tätig werden."
Bundesländer gehen unterschiedlich vor
Die Landesregierungen haben ganz unterschiedliche Strategien, um gegen illegale Autorennen vorzugehen. Die Team UPWARD-Recherchen bei allen 16 Bundesländern zeigen, dass viele versuchen, die Rasereien mit Geschwindigkeitskontrollen einzudämmen.
In Baden-Württemberg etwa setzt die Polizei auf sogenannte "Enforcement-Trailer", ein in einem Anhänger verbautes, digitales Geschwindigkeitsmessgerät, das ohne Personal auskommt. Auch Hessen verwendet spezielle Videotechnik.
Bremen, Nordrhein-Westfalen und Hessen setzen speziell ausgebildete Beamte ein. Andere Bundesländer, darunter Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt, arbeiten zudem mit Präventionsprogrammen, zum Beispiel mit Social-Media-Videos und Plakaten.