Interview

Fankultur-Experte zu Ausschreitungen in Köln "Neue Organisationsform rechter Hooligans"

Stand: 27.10.2014 17:41 Uhr

Nach den Ausschreitungen in Köln ist die Debatte über die Ursachen entbrannt. Rechte Hooligans erlebten schon länger eine Renaissance in Deutschland, sagt Fankultur-Forscher Robert Claus im Interview mit tagesschau.de. Einen generellen Rechtsruck in den Fankurven sieht er aber nicht.

tagesschau.de: Mindestens 4000 gewaltbereite Hooligans - offenbar mehrheitlich mit rechter Gesinnung - haben am Sonntag in Köln für Ausschreitungen gesorgt. Hat Sie diese Masse rechter Hooligans überrascht?

Robert Claus: Die Masse hat mich nicht überrascht. Wir beobachten seit zwei, drei Jahren eine Art Renaissance des rechtsextremen Hooliganismus in Deutschland. Die Veranstalter hatten international mobilisiert und es erstmals geschafft, dass Hooligangruppen von rivalisierenden Vereinen gemeinsam demonstrierten. Wir hatten verfeindete Hooligans unterschiedlicher Vereine, die sich normalerweise heftig bekämpfen, auf derselben Demo.

Zur Person
Robert Claus arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter der "Kompetenzgruppe Fankulturen und sportbezogene soziale Arbeit" (KoFaS) an der Leibniz-Universität Hannover. Im Oktober 2020 erschien sein neues Buch "Ihr Kampf: Wie Europas extreme Rechte für den Umsturz trainiert".

Zudem waren das am Sonntag nicht nur rechtsextreme Hooligans, sondern es hatten auch neu-rechte, rechtspopulistische und rechtsextreme Organisationen mobilisiert: Die Führungsspitze der Berliner NPD, Pro Köln und Pro NRW-Anhänger waren vor Ort, auch auf der Internetseite Politically Incorrect (PI-News), dem führenden Online-Medium für die Neue Rechte wurde für die Demo geworben..

tagesschau.de: Wie groß schätzen Sie den Anteil der Rechten in der Hooligan-Szene?

Claus: Das ist sehr schwer zu sagen, weil es hier keine verlässlichen Zahlen gibt. Jugendkulturen funktionieren ja nicht über Mitgliedschaften. Und auch die Zahlen der Polizei geben tendenziell nur die straffällig gewordenen Personen wider.

Generell kann man sagen, dass ein größerer Teil von Hooligans eine Affinität zu rechtsextremer Politik hat. Aber es sind auch nicht alle. Was wir am Sonntag gesehen haben, war nicht Hooligan-Deutschland, sondern der rechtsextreme Teil der Hooliganszene.

"Kein Rechtsruck in Hooliganszene"

tagesschau.de: Beobachten Sie einen Rechtsruck in der Hooligan- beziehungsweise den Fanszenen in Deutschland?

Claus: Ich würde sagen, nein. Man muss das, was Sonntag passiert ist, sehr ernst nehmen. Eine bundesweite Organisation von verschiedenen und auch rechtsextremen Hooligan-Szenen stellt eine Bedrohung dar. Gleichzeitig wäre es zu pauschal zu sagen, es gibt einen Rechtsruck in den Fankurven. Das ist von Stadt zu Stadt, von Verein zu Verein verschieden. Es gibt Kurven, in denen eher linke Ultras den Ton angeben. An anderen Orten beherrschen Bündnisse aus mit Rechten sympathisierenden Ultras, rechtsextremen Alt- und Junghooligans, aber auch rechtsextremen Kadern die Kurven.

Letzteres ist zum Beispiel in Aachen der Fall. Dort sind die eher linken Aachen-Ultras seit etwa zwei Jahren massiv Angriffen von drei rechten Hooligan-Gruppen ausgesetzt. Die Aachen-Ultras haben deshalb 2013 verkündet, nicht mehr bei Alemannia Aachen ins Stadion zu gehen, weil sie für ihre Sicherheit nicht mehr garantieren können.

tagesschau.de: Welche Verbindungen zwischen Hooligans und der rechten Szene gab es bislang?

Claus: Das reicht zurück bis in die 90er Jahre, wo Michael Kühnen, der Anführer der rechtsextremistischen Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei (FAP) die Parole ausgegeben hat, dass man in die Stadien gehen und die Fankulturen politisieren soll. Das tun Rechtsextreme nun seit vielen Jahren. Sie versuchen Jugendliche, vor allem junge Männer, in der ihnen bekannten Erlebniskultur der Fankurve abzuholen. Dort würde niemand mit einem NPD-Parteiprogramm auftauchen. Stattdessen locken sie mit gemeinsamen Auswärtsfahrten, viel Alkohol, der Aussicht auf Gewaltaktionen.

"Eine neue Art der Organisation"

tagesschau.de: Handelt es sich bei diesem am Sonntag in Erscheinung getretenen Bündnis "Hooligans gegen Salafisten" um eine neue Bewegung von Hooligans, mit der in Zukunft zu rechnen ist?

Claus: Wir haben es hier in der Tat mit einer neuen Art der Organisation zu tun. Erstmals ist ein übergreifendes Hooligan-Bündnis auf der Straße in Erscheinung getreten. Ähnliche Versuche konnten wir in den in den vergangenen Monaten in den sozialen Netzwerken bereits beobachten. Diese Vernetzungsversuche sind allerdings nie über die Sozialen Netzwerke hinaus gekommen und existierten nur wenige Wochen oder Monate.

Ob sich das Bündnis "Hooligans gegen Salafismus" lange halten wird, ist schwer zu sagen. Ich würde vermuten, dass ein Bündnis, das so stark rivalisierende Gruppen vereint, eine inhaltliche Gemeinsamkeit bräuchte. Die gibt es aber nicht. Bei anderen Gruppierungen hat man gesehen, dass alte Rivalitäten oder Eitelkeiten bestimmter Führungsfiguren bald wieder aufbrechen.

tagesschau.de: Was will dieses Bündnis? Welche Strategie steckt hinter dem gestrigen Aufmarsch?

Claus: Ich denke, das war der Versuch verschiedener Hooligans und rechter Gruppierungen auf dem Anti-Islamismus-Ticket mitzufahren und dadurch wieder eine Art gesellschaftlichen Einfluss zu erlangen. Vielleicht auch, um an gesamtgesellschaftliche Feindbilder anzuknüpfen. Man hat versucht, die emotionale und völlig berechtige Debatte um den IS und Salafismus für sich zu nutzen. Die gestrige Parole "Hooligans gegen Salafisten" war ja nur vordergründig, eigentlich ging es um eine Fundamentalopposition gegen den Islam in Deutschland.

Gleichzeitig sehe ich in den Ausschreitungen vom Sonntag eine Reaktion auf die Arbeit von Verbänden und Fanprojekten in verschiedenen Städten in den vergangenen Jahren. Durch deren Arbeit gegen Rechtsextremismus und Gewaltprävention sind Hooligans in deutschen Stadien so stigmatisiert wie noch nie.

"Größte rechtsextreme Hooligan-Demo seit Jahren"

tagesschau.de: Die Gewerkschaft der Polizei in Nordrhein-Westfalen warnt vor einer "neuen Qualität der Gewalt". Teilen Sie diese Einschätzung?

Claus: Ich glaube, es bringt uns nicht weiter, bei jeder Ausschreitung von einer neuen Qualität der Gewalt zu sprechen. Keine Frage, was Sonntag passiert ist, muss man ernst nehmen und genau beobachten. Wir hatten die größte rechtsextreme Hooligan-Demonstration seit Jahren.

Andererseits muss man sagen, dass der Besuch von Fußballstadien noch nie in der deutschen Fußballgeschichte so sicher war wie im Moment. Kameraüberwachung, Fanprojekte, Schulung der Ordner, die ganze Stadioninfrastruktur ist so professionell wie noch nie. Solche Gewalteskalationen betreffen einen kleinen Teil von Hooligans, die anschließend wieder auseinander gehen und in ihre Heimatorte zurückfahren. Man muss das genau beobachten, aber nicht überbewerten.

tagesschau.de: Welche Konsequenzen sollten aus den Ausschreitungen gezogen werden?

Claus: Die Diskussion über schärfere Sicherheitsvorkehrungen in Stadien geht auf jeden Fall an dem Problem vorbei. Am Sonntag haben sich Leute versammelt, die zum Teil seit Jahren Stadionverbot haben. Ich würde an die Vereine und Städte appellieren, die besonders große Probleme mit Rechten in den Fankurven haben. Sie sollten das Problem ernster nehmen und  Auseinandersetzungen zwischen Ultras und Hooligans nicht weiter als Konflikt von Jugendkulturen bagatellisieren.

Gleichzeitig können Städte und Vereine den gewaltlosen Teil ihrer Fankultur unterstützen und ein klares Bekenntnis zu ihnen abzugeben. Betroffene von rechter Gewalt dürfen nicht im Regen stehen gelassen werden.

Das Interview führte Sandra Stalinski, tagesschau.de.