ARD-Rechtsexperte zu Hoeneß-Prozess Freiheitsstrafe immer wahrscheinlicher
Die Steuerschuld von Uli Hoeneß scheint immer weiter zu wachsen. Problematisch sei außerdem, dass wichtige Unterlagen erst sehr spät geliefert wurden, sagt ARD-Rechtsexperte Frank Bräutigam gegenüber tagesschau.de. Eine Gefängnisstrafe werde immer wahrscheinlicher.
tagesschau.de: Uli Hoeneß wollte mit seinem Geständnis zum Prozessauftakt reinen Tisch machen, indem er angab, 15 Millionen Euro mehr an Steuern hinterzogen zu haben als bislang bekannt. Jetzt ergibt sich aus der Aussage der Steuerfahnderin, dass er sogar insgesamt 27,2 Millionen Steuern hinterzogen haben soll. Was ist da passiert?
Frank Bräutigam: Die Summe ist im Vergleich zu gestern nochmal deutlich nach oben geschossen, ja. Allerdings gehört das noch zu dem "Gesamtpaket" des Geständnisses gestern, meine ich. Verteidiger Hanns W. Feigen hatte gestern von "deutlich über" 15 Millionen gesprochen, um die sich die angeklagte Summe wohl erhöhen wird. Noch höhere Zahlen waren also schon angedeutet.
Die absoluten Experten für die genaue Berechnung sind aber nicht die Verteidiger, sondern die Finanzbehörden. Und entscheidend für das Urteil ist, welche Summen diese nennen. Man sollte sich also heute noch nicht auf eine absolute Summe festlegen, die dann Basis für das Urteil ist. Aber die Größenordnung ist jetzt offiziell umrissen, und die ist enorm hoch, vor allem im Vergleich zur angeklagten Summe von 3,5 Millionen.
tagesschau.de: Welche Strategie verfolgte Hoeneß seinem Geständnis zu Prozessbeginn?
Bräutigam: Das Ziel scheint zu sein, der Öffentlichkeit und vor allem dem Gericht zu zeigen: Wir planen eine vollständige Rückkehr zur Steuerehrlichkeit. Wir machen jetzt wirklich reinen Tisch, es werden keine Geheimnisse bleiben. Dieser Begriff "Rückkehr zur Steuerehrlichkeit" spielt auch in einem Urteil des Bundesgerichtshofs von 2010 zum Thema Selbstanzeige eine wichtige Rolle. Da dürfte die Strategie sein, falls die Selbstanzeige nicht zählen sollte, eine mildere Strafe rauszuholen. Die Verteidigung betont immer wieder - auch im Gerichtssaal - ohne die Selbstanzeige und auch die Nachlieferung wären die Steuerbehörden gar nicht so weit gekommen, diese Tat aufzudecken.
Zweifel, ob Selbstanzeige vollständig
tagesschau.de: Wie glaubwürdig ist es, dass jetzt tatsächlich reiner Tisch gemacht wurde? Entscheidende Unterlagen wurden ja erst jetzt, wenige Tage vor Prozessbeginn eingereicht.
Bräutigam: Dass nach der neuen Lieferung von Unterlagen kurz vor Prozess jetzt alles für die Berechnung der Steuerschuld auf dem Tisch liegt, das halte ich für wahrscheinlich. Zumindest wäre es ein enormes Risiko der Verteidigung, in dieser brisanten Lage noch weiteres Material zurückzuhalten. Damit würde man bei der Justiz und auch der Öffentlichkeit auf völliges Unverständnis stoßen, gerade weil der "reine Tisch" nun so betont wird.
Spannend war aber die Aussage der Steuerfahnderin heute, dass nach der Selbstanzeige im Januar 2013 die Behörden immer wieder gefordert haben, weitere Unterlagen nachzuliefern, immer wieder Fristen gesetzt haben, und dass die große Zahl der Dokumente aber jetzt erst kurz vor Prozessbeginn geliefert wurde. Das lässt Zweifel an dem Argument aufkommen, dass die Unterlagen von Anfang an vollständig waren. Da hat das Gericht auch kritisch nachgefragt.
tagesschau.de: Haben Sie eine Erklärung dafür, warum die Unterlagen so spät kamen?
Bräutigam: Da kann man nur Vermutungen anstellen. Es ist natürlich einfach viel Stoff, das ist klar. Die Verteidigung verweist auch immer wieder darauf, dass die Bank die Unterlagen nicht schnell genug geliefert hat. Aber auf eine wirklich schlüssige Erklärung warten viele noch.
"Bewährungsstrafe wird immer unwahrscheinlicher"
tagesschau.de: Die Bank soll die Dokumente aber schon vor einem Jahr erstellt haben.
Bräutigam: Da wäre ich vorsichtig mit schnellen Schlüssen. Vielleicht wurde das Dokument vor einem Jahr angelegt, dann aber fortgeschrieben. Darüber gibt es noch keine abschließenden Erkenntnisse, das werden die weiteren Prozesstage zeigen.
tagesschau.de: Wie wahrscheinlich ist es, dass Hoeneß einer Gefängnisstrafe jetzt noch entgehen kann?
Bräutigam: Wenn sich die Schätzungen der Steuerfahnderin von heute bestätigen, dann wird eine Bewährung wirklich immer schwieriger. Stets vorausgesetzt, die Selbstanzeige war nicht wirksam. Für die Chance auf Bewährung spielt die Höhe der hinterzogenen Steuern eine sehr wichtige Rolle. Der Bundesgerichtshof hat mal die Leitlinie aufgestellt: Ab einer Million Euro aufwärts braucht man für eine Bewährungsstrafe besonders gewichtige Milderungsgründe. Je weiter man sich von der Million entfernt, desto schwieriger wird es, nicht ins Gefängnis zu kommen.
Wichtig ist hierbei, dass laut Gesetz eine Aussetzung zur Bewährung nur bei einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren möglich ist. Alles, was darüber liegt, kann man nicht mehr zur Bewährung aussetzen.
"Ohne Hoeneß` Mitwirkung bliebe Ausmaß im Dunkeln"
tagesschau.de: Was könnte Hoeneß noch vor einer Gefängnisstrafe retten?
Bräutigam: Ob Milderungsgründe noch reichen, um auf eine Bewährung zu kommen, muss man abwarten: Es wird jedenfalls eng. Aber sie werden in jedem Fall im Urteil eine Rolle spielen. Einer der Milderungsgründe, die der Bundesgerichtshof anerkennt, ist die Lebensleistung des Angeklagten. Da wird es bei Hoeneß sicher massive Argumente von Seiten der Verteidigung geben, auch in Richtung soziales Engagement. Außerdem geht es darum, wie viel Steuern er auch gezahlt hat: Er betont ja immer wieder, dass er in großem Umfang steuerehrlich war und spricht von einer Summe von 50 Millionen im betreffenden Zeitraum. Wenn das im Verhältnis zu der hinterzogenen Summe extrem viel ist, kann das berücksichtigt werden. 50 Millionen im Vergleich zu 3,5 Millionen ist eine ganze Menge, im Vergleich zu den neuen Zahlen sieht das schon anders aus.
Ganz wichtig: Wenn die Selbstanzeige als ein Geständnis gewertet wird, ist das ein bedeutender Milderungsgrund. Und es stimmt auch, dass die Behörden ohne die Mitwirkung des Angeklagten das wahre Ausmaß wohl nicht entdeckt hätten.
tagesschau.de: Wie viele Jahre Haft könnten auf Uli Hoeneß zukommen?
Bräutigam: Das kann man heute seriös nicht sagen, da bin ich kein Freund von frühen Prognosen. Sollte eine Bewährung ausscheiden, hinge die konkrete Höhe am Ende immer davon ab, wie viele Milderungsgründe ein Angeklagter in die Waagschale werfen kann. Und da sind auch noch nicht alle Fragen abschließend geklärt, die eine Rolle für die Strafe spielen, etwa, wie freiwillig die Selbstanzeige wirklich war. Wie das Gericht die Milderungsgründe bei Herrn Hoeneß am Ende bewerten wird, kann man nicht genau vorhersagen, erst recht nicht heute.
tagesschau.de: Wann ist mit einem Urteil zu rechnen?
Bräutigam: Laut Aussage der Gerichtssprecherin könnte das Urteil jetzt doch schon am Donnerstag gefällt werden. Ganz sicher ist das aber noch nicht.
Das Gespräch führte Sandra Stalinski, tagesschau.de