Interview

Meinungsforscher Hilmer zum Unions-Wahlkampf "Das Programm heißt Merkel"

Stand: 23.06.2013 20:29 Uhr

Das Wahlprogramm der Union steht. Es enthält wenig Neues. Viele Themen sind von der SPD übernommen. Genau dies sei das Erfolgsrezept, glaubt Meinungsforscher Hilmer. Im Interview mit tagesschau.de erklärt er, warum die Union keine Inhalte braucht.

tagesschau.de: Wie bewerten sie das Wahlprogramm der Union?

Richard Hilmer: Die einzige Überraschung ist die Mietpreisbremse. Aber selbst die hatte die Bundeskanzlerin schon vorweggenommen.

tagesschau.de: In vielen Punkten bleibt das Programm schwammig. Dennoch liegt die Partei im jüngsten DeutschlandTrend bei 41 Prozent. Wie ist das zu erklären?

Hilmer: Das Wahlprogramm ist für die Union gar nicht so wichtig, weil sie mit der Kanzlerin in den Wahlkampf geht. Das Programm der Union heißt "Angela Merkel". Sie steht für eine erfolgreiche Kanzlerschaft. Sie findet große Zustimmung in der Bevölkerung - weit über die Unionsanhängerschaft hinaus. Vor diesem Hintergrund kann sich die Union eine gewisse programmatische Schwammigkeit erlauben. Die Partei ist inhaltlich gewissermaßen entkernt.

Zur Person
Richard Hilmer ist Geschäftsführer des Berliner Meinungsforschungsinstitutes Infratest dimap. Seit 1997 liefert sein Institut Zahlen und Analysen für die ARD-Wahlberichterstattung. Hilmer wird auch "öffentlich-rechtlicher Volksvermesser" genannt.

Sozialdemokratische Themen verhelfen der Union zum Erfolg

tagesschau.de: Viele Themen, wie etwa die Mietpreisbremse, wurden von SPD und Grünen übernommen. Wählen da die Bürger nicht lieber das Original?

Hilmer: Bei der Mietpreisbremse hat die Kanzlerin meiner Meinung nach ein wenig überzogen. Merkel hat ja explizit betont, dass sie dies von der SPD übernimmt. Das hat der Union nicht geholfen. Im DeutschlandTrend haben wir nach den Kompetenzen gefragt im Hinblick auf Begrenzung von Mietausgaben. Die SPD hat ihren Vorsprung gegenüber der CDU noch ausbauen können. Also man kann es auch ein Stück weit übertreiben.

Insgesamt ist die Intention erkennbar, dass man die SPD dort schlägt, wo sie vermeintlich am stärksten ist: beim Thema soziale Gerechtigkeit. Das ist für die SPD-Wähler ein ganz wesentlicher Inhalt und eine Erwartung an ihre Partei. Wenn Merkel auch dort punkten kann, dann macht sie das nochmal ein Stück weit unangreifbarer. Und in der Tat hat sie den Abstand zwischen CDU und SPD in diesem einen Punkt verringert.

Logo CDU / CSU

Sozialdemokratische Themen unter dem Logo der CDU/ CSU - Meinungsforscher Hilmer sieht darin eine erfolgreiche Strategie.

Viel erstaunlicher aber ist noch ein anderer Punkt: die Arbeitsmarktpolitik. Sie steht ja für den Ausgleich zwischen wirtschaftlichem Erfolg und sozialer Gerechtigkeit, der sozusagen für beide große Volksparteien wichtig ist. Da hat die Union die SPD in letzter Zeit regelrecht abgehängt. Die Menschen trauen der CDU weit eher als den Sozialdemokraten zu, die Arbeitslosigkeit zu senken und neue Jobs zu schaffen.

tagesschau.de: Das heißt, Merkel betreibt eine Sozialdemokratisierung der Union und feiert damit Erfolge?

Hilmer: Die CDU liegt bei 41 Prozent, die SPD bei 26. Deutlicher kann man es ja nicht ausdrücken. Bislang konnte die Union die SPD sozusagen auf Distanz halten, sie hat aber nicht selbst dazugewonnen. Jetzt gewinnt sie erstmals auch wieder an Stimmen. Das ist relativ sicher. Die 33 Prozent von der vergangenen Wahl sollten den jetzigen Prognosen nach zu übertreffen sein. Möglicherweise - die Zahlen deuten darauf hin - könnte die CDU sogar wieder mehr als 40 Prozent einfahren. Das war früher mal ein Ausweis für eine Volkspartei.

Angesichts der Schwäche der FDP ist das zwar noch nicht ausreichend für einen Wahlerfolg, denn zu einer Mehrheit reicht es derzeit immer noch nicht ganz. Aber zumindest hält die Union die SPD auf Distanz. Merkel erreicht mit ihrer Strategie bislang, dass Rot-Grün keine Mehrheit hat.

"Die CDU hat schon lange keine Wahlen mehr gewonnen"

tagesschau.de: Braucht nicht jede Partei auf Dauer ein erkennbares Profil?

Hilmer: Das gilt sicherlich für die SPD und für linke Parteien. Sie müssen Alternativen und Ziele definieren. Die CDU war schon immer eine pragmatische Partei, aber sie hat sich noch deutlicher in diese Richtung entwickelt. Merkels Stärke besteht darin, dass sie sehr pragmatisch und frei von Ideologie auf Probleme reagiert und bisherige Positionen aufgeben kann. Die Euro-Krise und der Atomausstieg sind gute Beispiele dafür. Sie schafft es, ihre Positionen kontinuierlich und wenn es sein muss auch schlagartig zu modifizieren, ohne dass es innerparteilich zu Verwerfungen kommt. Das ist ein ganz wesentlicher Punkt für den Erfolg der Kanzlerin. Und der Erfolg der Kanzlerin ist im Wesentlichen auch der Erfolg der CDU.

tagesschau.de: Was ist die Union außerhalb ihrer Vorsitzenden Merkel?

Hilmer: Die CDU ist zurzeit wenig erkennbar. Eine CDU ohne Merkel steht derzeit wohl kaum an, aber für die Partei dürfte dies noch einmal eine echte Herausforderung werden. Es ist bezeichnend, dass die CDU schon lange keine Wahl mehr gewonnen hat. Sie hat viele Landtagswahlen verloren und auch in den Städten war sie in den vergangenen Jahren wenig erfolgreich. Das ist der Preis für die Profillosigkeit: Merkel gewinnt, die CDU als Partei droht darüber aber zu verblassen. Für die Gestaltung von Politik auf Landesebene reicht es eben nicht aus, damit zu werben, dass man eine Bundeskanzlerin Merkel an der Spitze hat.

"Die Zeit der Volkstribune und Selbstdarsteller ist vorbei"

tagesschau.de: Liegt das auch daran, dass es neben Merkel kaum noch andere bekannte Führungsfiguren gibt? Müsste die Union sich personell und inhaltlich nicht mehr um ihre Zukunft kümmern?

Hilmer: Es gibt den konservativen Kreis in der CDU, der immer mal wieder programmatische Arbeit anregt. Allerdings fällt diese Gruppe nicht gerade durch überzeugende Alternativen auf. Ansonsten, da haben Sie recht, gab es zuletzt auf Landesebene schmerzliche Abgänge: Roland Koch ist weg, Christian Wulff ist weg, und auch Petra Roth und Ole von Beust, die der CDU den Zugang zu großstädtischen Milieus erleichterten. Es gibt auf Landesebene nicht mehr viele herausragende Persönlichkeiten - am ehesten noch innerhalb des Kabinetts: von der Leyen, Schäuble.

Das gilt übrigens auch für die SPD. Generell ist ein anderer Politikertyp gefragt, der den Stil von Merkel repräsentiert: Die Zeit der Volkstribune und Selbstdarsteller ist vorbei. Erfolgreich sind pragmatische, sachliche Politiker wie Sellering, Scholz, Kraft. Die zu Guttenbergs und Schröders sind nicht mehr gefragt.

tagesschau.de: Ist das Wahlprogramm auch so eine Art Koalitionsangebot? Hält sich die Union damit angesichts der schwächelnden FDP andere Optionen offen?

Hilmer: Merkel will die bisherige Koalition fortführen, so sagt sie. Schwarz-Gelb ist aber bei den Bürgern nicht sonderlich beliebt. Das Parteiprogramm lässt sowohl die Große Koalition als auch Schwarz-Grün zu. Mit dem Ausstieg aus der Atomenergie und der Abschaffung der Wehrpflicht hat Merkel die beiden großen Steine aus dem Weg geräumt, die einer Koalitionen mit den Grünen entgegenstanden. Es gibt allerdings noch einen sehr großen Stein, der im Weg steht: die CSU. Zwischen CSU und Grünen gibt es eine ganze Reihe von erheblichen Reibungspunkten und Differenzen. Eine Koalition mit den Grünen wäre schon aus diesen Gründen sehr schwierig umzusetzen. Außerdem hätte Schwarz-Grün keine einzige Stimme im Bundesrat, was das Regieren im Bund schwierig machen würde. Auch das gehört ins Kalkül der Kanzlerin.

tagesschau.de: Wie sind die Wahlversprechen der Union zu bewerten, die allesamt unter Finanzierungsvorbehalt stehen? Überzeugt das die Wähler?

Hilmer: Das könnte schon dem alten Klischee neue Nahrung geben, dass die Parteien vor der Wahl versprechen, was sie wollen. Nach der Wahl fühlen sie sich nicht daran gebunden. Gerade die Äußerungen aus dem CDU-Wirtschaftsflügel, die die Versprechen selbst in Frage stellen, dürften die Zweifel daran befördern.

Das Interview führte Simone von Stosch, tagesschau.de.