Fragen und Antworten zum Steuerstreit mit der Schweiz Wirtschaftsspionage oder berechtigte Fahndung?

Stand: 02.04.2012 18:28 Uhr

Die Haftbefehle gegen deutsche Steuerfahnder haben den Steuerstreit zwischen Deutschland und der Schweiz verschärft. Das neue Steuerabkommen beider Länder droht zu kippen. Was für Konsequenzen würde dies haben? Und wie kam es zu den Haftbefehlen? tagesschau.de beantwortet die wichtigsten Fragen.

Welche Vereinbarungen gibt es zwischen Deutschland und der Schweiz in Steuerfragen?

Am 21. September 2011 unterzeichneten die Finanzminister von Deutschland und der Schweiz, Wolfgang Schäuble und Eveline Widmer-Schlumpf, ein neues Steuerabkommen. Diese werde "die offenen Fragen zur Besteuerung von Kapitalerträgen deutscher Anleger in der Schweiz" lösen, heißt es auf der Homepage des Bundesfinanzministeriums. Das Abkommen soll zum 1. Januar 2013 in Kraft treten. Zuvor müssen aber noch die Parlamente beider Länder sowie der Bundesrat zustimmen. Solange gilt das alte Doppelbesteuerungsabkommen zwischen beiden Ländern, nach dem Deutschland keine Informationen über Schweizer Bankkonten erhalten kann.

Was soll sich durch das neue Abkommen ändern?

Das neue Steuerabkommen sieht vor, dass bislang unversteuerte Vermögen deutscher Staatsbürger in der Schweiz einmalig mit pauschalen Steuersätzen zwischen 19 und 34 Prozent belegt werden. In Nachverhandlungen erklärte sich die Schweiz bereit, diesen Satz auf bis zu 39 Prozent zu erhöhen.

Notwendig wird auch die steuerliche Abgeltung von Einkommen-, Umsatz-, Gewerbe-, Erbschafts- und Schenkungssteuer. Im Gegenzug müssen die Kontoinhaber nicht mit einer Strafverfolgung rechnen. Auch die Anonymität wird gewährleistet. Zukünftige Kapitalerträge sollen mit einer Abgeltungssteuer in Höhe von rund 26 Prozent besteuert werden, also zu ähnlichen Konditionen wie in Deutschland. Die Bundesregierung erhofft sich von der nachträglichen Besteuerung Einnahmen in Höhe von mindestens zehn Milliarden Euro. Davon stünden dem Bund drei Milliarden Euro zu, die Länder erhielten sieben Milliarden Euro.

Weiterhin hätten deutsche Behörden durch das Abkommen die Möglichkeit, bei begründetem Verdacht von der Schweiz Auskünfte zu den Bankdaten konkreter Personen zu erhalten. Von diesem Recht dürfte Deutschland jedoch nur begrenzt Gebrauch machen. Möglich sind maximal 999 Gesuche in einem Zeitraum von zwei Jahren.

Im Gegenzug bietet Deutschland an, auf den Ankauf weiterer Daten-CDs mit Informationen zu Schweizer Konten zu verzichten. Zudem soll keine Strafverfolgung Schweizer Bankmitarbeiter erfolgen.

Welche Kritik gibt es an dem Steuerabkommen?

SPD und Grüne werfen der Bundesregierung vor, die vereinbarten Regelungen für das Steuerabkommen gingen nicht weit genug. Sie halten die pauschale Besteuerung in Höhe von maximal 39 Prozent für zu niedrig und für ungerecht gegenüber ehrlichen Steuerzahlern. Zum Vergleich: Der Spitzensteuersatz liegt derzeit bei 45 Prozent, also deutlich höher als die geplante Nachversteuerung. SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier nannte das Abkommen eine "Beihilfe zur Steuerhinterziehung". Es könne nicht sein, "dass Steuerhinterzieher anonym bleiben und dass wir uns vertraglich verpflichten, Hinweisen der Strafverfolgung nicht nachzugehen", sagte er.

Der geplante Verzicht auf den Ankauf weiterer Daten-CDs stößt bei der SPD ebenfalls auf wenig Zustimmung. Wer die Gesellschaft um seinen Anteil an der Finanzierung betrüge, müsse "damit rechnen, dass wir versuchen, ihm auf die Schliche zu kommen", sagte der nordrhein-westfälische Finanzminister Norbert Walter-Borjans: "Die entsprechenden Informationen müssen wir uns bisher auch mit den Ankauf von Daten-CDs beschaffen."

Auch der ehemalige Chef der Steuergewerkschaft, Dieter Ondracek, hält wenig von dem Steuerabkommen. Dieses sei nur in die Zukunft gerichtet, eine Aufarbeitung der Steuerhinterziehung aus der Vergangenheit finde aber nicht statt, sagte er im Gespräch mit tagesschau.de. Deutschland solle daher lieber die Finger von einer solchen Vereinbarung lassen.

Insgesamt hat die Schweiz mehr als 100 unterschiedliche Steuerabkommen mit anderen Staaten. Den USA räumten die Schweizer dabei größere Zugeständnisse für Ermittlungen wegen Steuerhinterziehung ein. Vorausgegangen war unter anderem die Ankündigung der USA, den Schweizer Banken ansonsten die US-Lizenz zu entziehen. "Deutschland war für die Schweiz kein starker Verhandlungspartner", kritisiert Ondracek.

Wie kam es zu dem Haftbefehl gegen die deutschen Steuerbeamten?

Im Februar 2010 gab der damalige nordrhein-westfälische Finanzminister Helmut Linssen den Ankauf einer CD mit Namen und Kontodaten von deutschen Steuerbetrügern in der Schweiz bekannt. Für diese CD hätte seine Behörde 2,5 Millionen Euro bezahlt. Nach Ansicht der Schweizer Ermittler beschränkten sich die Steuerfahnder aber nicht nur auf den Ankauf von Daten. "Es besteht der konkrete Verdacht, dass aus Deutschland klare Aufträge gegeben worden sind zum Ausspionieren von Informationen der Crédit Suisse", sagte der Schweizer Bundesanwalt Michael Lauber im Schweizer Radio DRS.

So sollen die zuständigen Beamten der Steuerfahndung in Nordrhein-Westfalen sich mehrfach mit dem Datendieb getroffen haben und ihm Geld für weitere Informationen geboten haben. Neben Kontodaten von deutschen Bankkunden handelte es sich dabei auch um interne Papiere der Schweizer Bank Crédit Suisse, unter anderem eine Powerpoint-Präsentation über den Umgang mit deutschen Kunden. Damit war für die Ermittler der Verdacht der wirtschaftlichen Nachrichtenspionage gegeben.

Am 20. März ersuchten die Schweizer Ermittlungsbehörden die deutsche Justiz um Rechtshilfe, um die Beamten zu den Tatvorwürfen zu befragen. Als diese Bitte unbeantwortet blieb, wurden die Haftbefehle erlassen.

Welche Konsequenzen hat dies für die betroffenen Fahnder?

Die Haftbefehle gelten bislang nur für die Schweiz. Die Fahnder müssen also mit ihrer Verhaftung rechnen, sobald sie die schweizerische Grenze überschreiten. Ob den drei Betroffenen auch im Ausland außerhalb der Schweiz eine Verfolgung droht, ist davon abhängig, ob gegen sie noch ein internationaler Haftbefehl erwirkt wird. Bislang ist dies nicht der Fall.

Allerdings haben die Schweizer Ermittlungsbehörden die deutsche Justiz um Rechtshilfe ersucht, um die Beamten zu den Tatvorwürfen zu befragen. Ein entsprechendes Ersuchen sei bereits am 20. März gestellt worden, teilte eine Sprecherin des Bundesjustizministeriums mit. Die Anfrage werde derzeit geprüft.

Da im konkreten Fall die Vorwürfe über den Ankauf von illegalen Daten hinausgehen, könnte es sich tatsächlich um einen Fall von wirtschaftlicher Nachrichtenspionage handeln. Das verstößt gegen internationales Recht. Nach Artikel 16, Absatz 2 des Grundgesetzes dürfen deutsche Staatsbürger jedoch nicht an Nicht-EU-Staaten ausgeliefert werden.

In einem ähnlichen Fall kam die Berliner Staatsanwaltschaft bereits zu dem Urteil, dass Steuerfahnder nicht für den Ankauf von Bankdaten haftbar gemacht werden könnten. Geklagt hatte damals ein deutscher Rechtsanwalt gegen Beamte des Bundesfinanzministeriums, die eine CD mit Bankdaten deutscher Anleger aus Liechtenstein gekauft hatten. An der Straftat des Informanten, also am Datendiebstahl, hätten deutsche Amtsträger nicht teilgenommen, heißt es in der Begründung. Die Fahnder hätten vielmehr die Pflicht, zur Aufklärung von Steuerhinterziehung auch Betriebsgeheimnisse und Informanten zu nutzen.

Drohen weitere Haftbefehle, auch gegen Landespolitiker?

Außer Nordrhein-Westfalen haben auch andere Bundesländer CDs mit Bankdaten deutscher Anleger gekauft. Nach geltendem Schweizer Recht haben sich damit auch die Fahnder strafbar gemacht, die an diesen Ankäufen beteiligt waren. Weitere Haftbefehle sind daher nicht auszuschließen. Allerdings hängt dies von den individuellen Umständen der Käufe ab. Der Haftbefehl gegen die drei nordrhein-westfälischen Steuerfahnder bezieht sich explizit nicht nur auf den Kauf von Daten, sondern auf die Anstiftung zu weiteren Diebstählen.

Möglich wäre theoretisch auch ein Haftbefehl der Schweiz gegen einen Landesfinanzminister. Voraussetzung wäre aber auch hier, dass ihm eine konkrete Anstiftung zum Datendiebstahl nachgewiesen werden könnte.

Wie ist der Ankauf gestohlener Bankdaten in Deutschland juristisch geregelt?

Die Verwendung von illegal erworbenen Bankdaten für Steuerverfahren verstößt in Deutschland nicht gegen die Verfassung. Zu diesem Urteil kam das Bundesverfassungsgericht im November 2010.

Ein "absolutes Beweisverwertungsverbot" werde nur in solchen Fällen anerkannt, in denen der "absolute Kernbereich privater Lebensgestaltung" betroffen sei, heißt es in der Begründung der Richter. Auf Bankdaten treffe dies nicht zu, diese seien "lediglich geschäftliche Kontakte der Kläger mit Kreditinstituten".

Diese Ansicht ist in Deutschland nicht unumstritten. So hatte das Land Baden-Württemberg auf den Kauf von illegal erworbenen Bankdaten aufgrund "juristischer Bedenken" verzichtet. Auch der ehemalige Verfassungsrichter Paul Kirchhof bezeichnete den Kauf der CDs als rechtswidrig.

Welche Bundesländer haben wie viele Daten angekauft?

Der erste und bislang wohl spektakulärste Ankauf von Steuerdaten ereignete sich im Januar 2006. Damals bot ein Ex-Mitarbeiter der Liechtensteiner Bank LGT dem Bundesnachrichtendienst Bankdaten von rund 800 Personen an, darunter auch von Ex-Post-Chef Klaus Zumwinkel. Infolge der Auswertung der Daten wurde Zumwinkel 2009 wegen Steuerhinterziehung von knapp einer Million Euro zu zwei Jahren auf Bewährung und einer Geldbuße von einer Million Euro verurteilt.

Die meisten Daten kaufte bislang Nordrhein-Westfalen. Neben der CD vom Februar 2010 bezahlten die Steuerfahnder auch im Oktober 2010 für Bankdaten der Schweizer Bank Julius Bär und im Oktober 2011 für rund 3000 Kontoinformationen aus Luxemburg. Die Ermittlungen gegen Julius Bär wurden im April 2011 eingestellt, nachdem sich die Bank zu einer Zahlung von 50 Millionen Euro bereit erklärt hatte.

Auch Niedersachsen bezahlte für Daten-CDs. Im Juni 2010 erhielten niedersächsische Steuerfahnder Zugang zu 20.000 Datensätzen mutmaßlicher Steuerbetrüger.