Urteil des Bundesverfassungsgerichts Hartz-IV-Sätze sind verfassungswidrig
Die Hartz-IV-Regelsätze müssen neu berechnet werden - für Kinder ebenso wie für Erwachsene. Die bisherige Regelung verstoße gegen die Verfassung, urteilte das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Der Gesetzgeber wurde aufgefordert, bis Ende des Jahres eine Neuregelung zu schaffen.
Die seit 2005 geltenden Hartz-IV-Regelsätze für Erwachsene und Kinder verstoßen gegen das Grundgesetz. Das entschied das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Die Leistungen seien nicht korrekt ermittelt worden. Nach dem von Gerichtspräsident Hans-Jürgen Papier verkündeten Urteil genügten die gesetzlichen Vorschriften nicht dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nach Artikel 1 des Grundgesetzes. Zudem verstoßen sie gegen das in der Verfassung garantierte Sozialstaatsprinzip, hieß es zur Begründung.
Neuregelung bis Jahresende
Die bisherigen Regelungen dürfen aber bis zum Jahresende weiter gelten. Der 1. Senat gab dem Gesetzgeber auf, zum 1. Januar 2011 die Berechnungsgrundlage neu zu regeln. Die Richter ließen in ihrer Entscheidung aber ausdrücklich offen, ob das Arbeitslosengeld II erhöht werden muss oder nicht.
Zudem ordneten die Richter an, dass Hartz-IV-Empfänger ab sofort in seltenen Ausnahmefällen Zusatzleistungen erhalten müssen. Das gilt etwa bei Krankheiten, für die Kranken- und Sozialkassen keine Kosten übernehmen.
Regierung muss Hausaufgaben machen
Nach Ansicht des Verfassungsgerichts ist das zur Bedarfsermittlung von Hartz-IV-Empfängern gewählte "Statistikmodell" ein geeignetes Berechnungsverfahren. Allerdings sei in der Praxis immer wieder abgewichen worden. So sei die Koppelung an den aktuellen Rentenwert sachwidrig.
Die Karlsruher Richter bemängelten weiter, dass ein kinderspezifischer Bedarf überhaupt nicht ermittelt werde. Die Festsetzung des Sozialgelds für Kinder auf 60 Prozent der Erwachsenen beruhe auf keiner vertretbaren Methode zur Bestimmung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Dies umfasse neben der "physischen Existenz" auch ein "Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben". Für unabweisbare besondere Notwendigkeiten, etwa Kleidung in Übergröße oder Klassenfahrten, sei eine Härte-Klausel erforderlich.
Generell schreibe das Grundgesetz keine bestimmte Methode der Bedarfsermittlung für Hartz-IV-Bezieher vor, führte Gerichtspräsident Papier weiter aus. Der Gesetzgeber sei aber von Verfassungs wegen verpflichtet, alle existenznotwenigen Aufwendungen folgerichtig in einem transparenten und sachgerechten Verfahren nach dem tatsächlichen Bedarf, also realitätsgerecht, zu bemessen. Dem müssten verlässliche Zahlen und schlüssige Berechnungsverfahren zugrunde liegen.
Das Bundessozialgericht und das Landessozialgericht Hessen hatten Zweifel an der bisherigen Berechnungsmethode angemeldet und deshalb Karlsruhe zur höchstrichterlichen Klärung angerufen. Zugrunde lagen drei Verfahren von Langzeitarbeitslosen, die ihre Kinder mit den bisherigen Regelsätzen nicht ausreichend versorgt sahen. Bisher werden die Regelsätze für die Kinder von Hartz-IV-Beziehern rein prozentual von dem alleinstehender Erwachsener abgeleitet. Die Kläger und auch die gerichtlichen Vorinstanzen bemängelten, dass kein eigener Bedarf der Kinder errechnet werde, obwohl diese häufiger neue Kleidung bräuchten und für sie auch Bildungsausgaben anfielen.
Der monatliche Hartz-IV-Regelsatz für einen alleinstehenden Erwachsenen beträgt derzeit 359 Euro; Ehepaare oder Paare in eheähnlichen Beziehungen erhalten pro Person 323 Euro. Kinder bekommen davon je nach Alter 60 bis 80 Prozent. In Deutschland sind 6,7 Millionen Menschen auf das Arbeitslosengeld II angewiesen.
(Aktenzeichen: Bundesverfassungsgericht 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09 und 1 BvL 4/09)