Linksextremismus-Prozess Lina E. kommt vorerst frei
Lina E. kommt trotz einer mehrjährigen Freiheitsstrafe vorerst auf freien Fuß. Der Haftbefehl wurde gegen Auflagen außer Vollzug gesetzt - bis das Urteil rechtskräftig ist.
Die als linke Gewalttäterin zu fünf Jahren und drei Monaten Freiheitsstrafe verurteilte Lina E. kommt nach zweieinhalb Jahren in Untersuchungshaft vorerst frei. Der Haftbefehl gegen sie werde gegen Auflagen außer Vollzug gesetzt, sagte Hans Schlüter-Staats, Vorsitzender Richter der Staatsschutzkammer am Oberlandesgericht Dresden, zum Abschluss der Urteilsbegründung.
Die Reststrafe muss sie erst verbüßen, falls das Urteil rechtskräftig wird. Sie muss sich nun zweimal wöchentlich bei der Polizei melden, darf den in der Akte vermerkten Wohnsitz nur mit Zustimmung des Gerichts wechseln und muss nach ihrem Reisepass auch den Personalausweis abgeben.
Frenetischer Beifall im Gerichtssaal
Das Oberlandesgericht hatte die mutmaßliche Linksextremistin Lina E. wegen der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung verurteilt. Es ließ Revision zu. Die Entscheidung zum Haftbefehl löste vor allem bei der Mutter der 28-Jährigen freudige Überraschung aus, die in frenetischem Beifall und Gejohle der Unterstützer um sie herum gipfelte.
"Fünf Jahre und drei Monate ist für jemanden in ihrem Alter und auch sonst heftig und gravierend", hatte Schlüter-Staats einleitend zu der aus Kassel stammenden Studentin gesagt. Die "größte Hypothek des Verfahrens ist der Status, den sie hier erlangt haben", bemerkte er noch persönlich.
Verteidiger hatten Freispruch gefordert
Ebenfalls angeklagt waren mit Lina E. drei Männer. Sie erhielten Haftstrafen zwischen zwei Jahren und fünf Monaten sowie drei Jahren und drei Monaten. Einer wurde wegen Mitgliedschaft, die beiden anderen wegen Unterstützung einer kriminellen Vereinigung verurteilt.
Der Gruppe waren tätliche Angriffe auf Rechtsextreme in Wurzen, Leipzig und im thüringischen Eisenach mit Schwerverletzten zwischen 2018 und 2020 vorgeworfen worden. Zudem sollen die Angeklagten im Alter zwischen 28 und 37 Jahren eine kriminelle Vereinigung gegründet haben. E. sitzt seit November 2020 in Untersuchungshaft. Die drei anderen Beschuldigten sind auf freiem Fuß.
Mit dem Urteil blieb das Gericht unter der Forderung der Bundesanwaltschaft, die für E. acht Jahre Freiheitsstrafe gefordert hatte. Sie hatte der Studentin aus Leipzig "massive Gewalt" vorgeworfen. Lina E. und ihr untergetauchter Freund Johann G. gelten demnach als Rädelsführer. Die Verteidiger der aus Hessen stammenden Studentin hatten in fast allen Punkten Freispruch gefordert. Für die drei mitangeklagten Männer hatte die Bundesanwaltschaft zwischen zwei Jahren und neun Monaten sowie drei Jahren und neun Monaten Haft beantragt.
Der Verfassungsschutz sieht bei einigen Linksextremisten aktuell ein hohes Radikalisierungsniveau und sinkende Hemmschwellen, wenn es um den Einsatz von Gewalt geht. "Besorgniserregend ist auch, dass eine zunehmende Anzahl gewalttätiger Linksextremisten versucht, sich der Strafverfolgung zu entziehen und möglicherweise untergetaucht ist", sagte der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang.
Der Chef des Inlandsgeheimdienstes fügte hinzu: "Die Schwelle zum Terrorismus sehen wir aktuell noch nicht überschritten, aber wenn sich die Radikalisierungsspirale weiterdreht und die Taten immer brutaler und hemmungsloser werden, dann rückt der Moment näher, in dem man auch von Linksterrorismus sprechen muss."
Die Verteidigung hält den Prozess für politisch motiviert und am falschen Ort geführt. Allein der Umstand, dass die Generalbundesanwaltschaft die Ermittlungen an sich zog, habe zu höheren Strafanträgen geführt, argumentierten sie in ihren Plädoyers. Sie sahen ihre Mandanten einer Vorverurteilung ausgesetzt und warfen den Bundesanwälten vor, bei der Verurteilung rechter und linker Straftäter unterschiedliche Maßstäbe anzusetzen. Dem Gericht wurde unterstellt, voreingenommen zu sein.
Kronzeuge hatte die Beschuldigten belastet
Der unter hohen Sicherheitsvorkehrungen laufende Prozess hatte im September 2021 begonnen. Ein Kronzeuge hatte die Beschuldigten belastet. Laut Anklage wurden 13 Menschen verletzt, zwei davon potenziell lebensbedrohlich. Die Beschuldigten hätten den demokratischen Rechtsstaat ebenso abgelehnt wie das staatliche Gewaltmonopol, lautete eine weitere Anschuldigung. Bis auf Angaben zur Person schwiegen die Beschuldigten zu den Vorwürfen. Nur Lina E. ergriff beim "letzten Wort" die Chance und bedankte sich bei ihren Eltern, Angehörigen, allen Unterstützern und Verteidigern.
Faeser sieht wachsende Gefahr durch Linksextremismus
Das Urteil wurde im Gerichtssaal von etwa 100 Unterstützern der Angeklagten verfolgt. Sie hatten Lina E. und die drei Mitangeklagten mit langem Applaus begrüßt. Nach dem Urteil wurde der Prozess kurzzeitig wegen Unruhe unterbrochen. Vor dem Gericht demonstrierten mehrere Dutzend Anhänger vor allem aus Leipzig und bekundeten Solidarität mit Lina E.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser warnte mit Blick auf das Urteil vor einer zunehmenden Gefahr durch linksextreme Gewalttäter. "In linksextremistischen Gruppen sind Hemmschwellen gesunken, politische Gegner auch mit äußerster Brutalität anzugreifen", sagte die SPD-Politikerin. "Im demokratischen Rechtsstaat darf es keinen Raum für Selbstjustiz geben", hieß es in einer Mitteilung. Kein Ziel rechtfertige politische Gewalt.
Faeser mahnte, die Radikalisierungs- und Gewalt-Spirale dürfe sich nicht weiterdrehen. "Unsere Sicherheitsbehörden haben die gewaltbereite linksextremistische Szene sehr genau im Blick und werden weiter konsequent handeln", hieß es. Die Behörden würden zudem die linksextremistische Szene in den kommenden Tagen und Wochen weiter in den Fokus nehmen.