Grimme-Preis für den "Marhaba"-Macher Videoclips, die Deutschland erklären
Das Thema: Integration. Die Zielgruppe: arabische Flüchtlinge. Die Methode: Videoclips im Netz. Constantin Schreiber erklärt das Leben in Deutschland: von Ampelregelungen über Religion bis zu Geschlechterfragen. Eine Begnung mit dem Grimme-Preisträger.
Er ist eine Art Integrationsfigur für viele arabische Flüchtlinge. Constantin Schreiber, Journalist beim Nachrichtensender n-tv, ist gerade mal 36 Jahre alt. Seine Serie "Marhaba - Ankommen in Deutschland“ erreicht die, die sich in Deutschland noch fremd fühlen. Die hohen Klickzahlen im Internet sprechen für sich: Hunderttausende sehen seine Videos jede Woche.
Die fünfminütigen Videoclips gibt es seit Herbst 2015. Die Zuschauer und Zuschauerinnen lernen dabei Aspekte kennen, die in der deutschen Gesellschaft anders sind als in ihrer alten Heimat.
Kenner der arabischen Welt
Wer Schreiber auf das Thema Integration von Flüchtlingen anspricht, kommt schnell mit ihm ins Gespräch. Er spart dabei auch nicht mit Kritik an Kanzlerin Merkel und der Regierung. "Erst ein Deutschkurs, dann ein Integrationskurs und dann ein Job - wer glaubt, dass Integration so einfach geht, ist schlecht beraten.“
Schreiber ist ein Kenner der arabischen Welt. Insgesamt sechs Jahre hat er in Syrien und im Libanon gelebt. Er hat als Korrespondent der Deutschen Welle in Dubai gearbeitet und auch für die libanesische Zeitung "Daily Star“ geschrieben. Schon seine Eltern hatten ihn als Kind mit in die arabische Welt genommen.
"Wir beachten üblicherweise rote Ampeln"
Schnörkellos spricht er seine Zuschauer an. Und in fließendem Arabisch, versteht sich. Fast so, als würde er schon immer mit ihnen via Internet kommunizieren. In der ersten Folge ging es zunächst um ganz praktische Themen wie den Umgang mit Handys oder Straßenverkehrsregeln. "Wir beachten üblicherweise rote Ampeln", sagt er zum Beispiel. In späteren Folgen geht er auf die Rolle der Religion ein: "Vielen Menschen in Deutschland ist unwohl, wenn sie an strenge islamische Regeln denken." Und immer wieder taucht das Thema Gleichberechtigung von Mann und Frau auf. So heißt es in Folge zwölf: "Auf gar keinen Fall sind Frauen 'Schlampen‘, weil sie sich kleiden, wie es ihnen gefällt."
Dabei spart Schreiber nicht mit Selbstkritik. Nicht jedes Wort würde er heute noch einmal genau so wählen wie in den ersten Folgen, sagt er. Vielleicht hätte man auch hier und da einen noch geeigneteren Gesprächspartner finden können. Doch es sei ihm darum gegangen, nicht allzu viel Zeit verstreichen zu lassen. Er wollte Flüchtlingen möglichst schnell ein Angebot machen, eine erste Orientierungshilfe geben.
Diskussion im Wohnzimmer
Auslöser für sein Projekt war eine Talkshow. Politiker forderten in dieser Sendung, dass Menschen, die nach Deutschland kommen, erst mal das Grundgesetz lesen sollten. Bei ihm und seiner Frau löste das sofort Diskussionen im Wohnzimmer aus. Das Grundgesetz lesen - als Integrationsmaßnahme? Seiner Frau und ihm war klar, dass die meisten Flüchtlinge ein Handy haben, erzählt Schreiber. Mit Video-Botschaften im Internet müsste man sie doch erreichen können, so der Gedanke.
Am Montag drauf präsentierte er die Idee seiner Redaktion, am Ende der Woche war der erste Clip im Netz abrufbar. Schreiber reißt die Themen dabei einfach nur an, ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit. "Es geht mir darum, Interesse zu wecken", sagt er. Klar, dass er ein Thema in fünf Minuten nicht vollständig aufarbeiten könne. "Das wär doch vermessen."
"Ohne moralischen Überlegenheitssound, aber auch ohne gefühlsduselige Sozialromantik erklärt Constantin Schreiber in klarem Arabisch unsere Werte, Gesetze und Regeln des Miteinanders, während andere 'wurzeldeutsche' Moderatoren gerne schon einmal an ihrer Muttersprache scheitern."
Brückenbauer oder Überkorrekter?
Die Reaktionen auf "Marhaba" könnten unterschiedlicher kaum sein. Die einen loben ihn als "Brückenbauer". Andere stören sich an seiner Überkorrektheit. Der Verweis auf die in Deutschland geltenden Regeln klängen wie das von der CSU geforderte Integrationsfernsehen, hieß es in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung".
Doch all das ist harmlos im Vergleich zu den Mails, die er teilweise eben auch zu lesen bekommt. Da gebe es viel "rechten Schlamm", sagt der Journalist. Aber ebenso Mails von Salafisten. Nach den Anschlägen von Paris hätten sie ihm schadenfreudige Emails geschrieben. "Das geschieht Euch recht", hieß es zum Beispiel. Kalt lässt ihn das nicht. "Das hat mich erschreckt."
"Marhaba" wird fortgesetzt
Und jetzt? "Marhaba" wird er bis auf Weiteres fortsetzen. Die ursprünglich angestrebte Zahl von zehn Videos ist eh längst überschritten, der Kommunikationsbedarf noch immer groß. Darüber hinaus hat Schreiber ein Buch geschrieben - ein Kapitel heißt "Deutschland in zehn Punkten". Für ihn hat das Flüchtlingsthema die Frage aufgeworfen: Wer sind wir eigentlich? Wie wollen wir leben?
Jetzt sei die Politik gefordert. Und die komme kaum voran, kritisiert der frisch gekürte Grimme-Preisträger. Unter den Flüchtlingen gebe es eben auch solche, die „nicht ankommen oder nicht ankommen wollen", zum Beispiel "weil sie nach wie vor in ihren alten Konflikten verhaftet" seien. Da müsse die Regierung etwas tun. Doch abgesehen vom Streit über die Finanzierung der Flüchtlingsaufgabe - neue Konzepte zur Integration bleiben zumindest bislang aus, sagt Schreiber. Dabei wäre gerade ein schnelles Vorgehen wichtig.