Therapieplätze Viel Nachfrage, wenig Angebot
Die Zahl der Arbeitsausfälle wegen psychischer Erkrankungen hat 2021 einen Höchststand erreicht. Der Bedarf an Therapieplätzen in der Pandemie steigt. Doch für Betroffene gestaltet sich die Suche schwierig.
Celine holt einen Zettel aus ihrer Manteltasche. Handschriftlich hat sie darauf eine Liste mit Telefonnummern und Adressen von Psychotherapeuten notiert. Die 23-jährige Berlinerin leidet an Depressionen und sucht inzwischen seit mehr als drei Monaten nach einem Therapieplatz.
Doch wer, wie Celine, in Deutschland einen Therapieplatz sucht, muss Geduld haben. Und das in einer Situation, in der eigentlich schnelle Hilfe gebraucht wird. "Dir fehlt eigentlich die Kraft für alles und dann sollst Du noch einen Therapeuten suchen", erzählt Celine.
Bedarf deutlich gestiegen
Wenn Celine die Kraft hat, telefoniert sie die Praxen ab, schreibt E-Mails und lässt sich auf Wartelisten setzen. Bisher hat sie nur Absagen bekommen. Dabei bräuchte sie dringend Hilfe. Schon vor der Pandemie warteten Betroffene im Schnitt fünf Monate auf einen Therapieplatz. Während der Pandemie ist der Bedarf an Psychotherapieplätzen weiter gestiegen.
Im Januar 2020 erhielten niedergelassene Psychotherapeuten im Schnitt fünf Anfragen pro Woche, im Januar 2021 waren es laut Bundespsychotherapeutenkammer im Schnitt sieben Anfragen pro Woche. Diese Zahlen liegen dem Reportageformat Team Upward des ARD-Mittagsmagazins vor.
Arbeitsausfälle auf Höchststand
Celine war bereits mit 18 Jahren für zwei Monate in einer Klinik in Behandlung, später musste sie wegen der Depression zwei Mal eine Lehre abbrechen und ist nun arbeitslos. Eine Situation, mit der sie nicht alleine ist. Wie stark die Zahl von Menschen mit Depressionen in der Pandemie gestiegen ist, ist noch unklar, denn die Datenlage ist noch nicht so weit.
Aber erste Studien geben Hinweise darauf: Laut einer aktuellen DAK-Untersuchung hat die Zahl der Arbeitsausfälle wegen psychischer Erkrankungen 2021 einen neuen Höchststand erreicht. Das Niveau lag um 41 Prozent über dem von vor zehn Jahren.
Zu wenig Kassensitze
Zwar steigt die Zahl der zugelassenen Psychotherapeutinnen und Therapeuten, aber nur etwas mehr als die Hälfte wird auch von der gesetzlichen Krankenkasse bezahlt. Damit klafft eine Lücke zwischen Bedarf und Angebot.
Wie viele dieser Kassensitze nötig sind, legt der Gemeinsame Bundesausschuss fest. Ein Gremium, in dem neben Kliniken und Patientenvertretern auch die Kassen sitzen. 2400 Kassensitze bräuchte es bundesweit zusätzlich, so das letzte vom Ausschuss in Auftrag gegebene Gutachten. Tatsächlich geschaffen worden sind seitdem aber nur rund 800.
Koalitionsvertrag verspricht bessere Versorgung
Ein Problem, das die aktuelle Bundesregierung zumindest erkannt hat. Laut Koalitionsvertrag ist eine bessere psychotherapeutische Versorgung geplant, um Wartezeiten zu reduzieren. Doch wann, ist offen.
Auf eine Anfrage der Redaktion des Reportageformats Team Upward des ARD-Mittagsmagazins teilt das Bundesgesundheitsministerium mit: "Sie greifen ein wichtiges Thema auf in dieser Pandemie." Man müsse sich aber "zurzeit auf die Gesetzgebung und die Erarbeitung von Verordnungen zu anderen Themen konzentrieren".