Feier zur Deutschen Einheit "Weniger Wut und mehr Respekt"
Zusammenstehen auch in Krisenzeiten, Lösungen finden und respektvoll miteinander umgehen: Beim zentralen Festakt zum Tag der Deutschen Einheit in Erfurt klang der Wunsch nach mehr Zusammenhalt durch - nicht nur bei Bundestagspräsidentin Bas.
Appelle zum Zusammenhalt am Tag der Deutschen Einheit: Bundestagspräsidentin Bärbel Bas hat an die Menschen in Deutschland dazu aufgerufen, in der Krise zusammenzuhalten und Streit demokratisch auszutragen. In ihrer Rede bei den zentralen Feierlichkeiten in der thüringischen Landeshauptstadt Erfurt verwies Bas auf die Stärke der Demokratie in Deutschland: "Diese Stärke kann sie aber nur entfalten, wenn wir zusammenstehen", mahnte die Politikerin.
Bas forderte, sich an Mut und Zusammenhalt der Wendezeit zu erinnern. Sie zeigten, wie viel bewegt werden könne, auch in Zeiten großer Unsicherheit. Demokratie lebe vom Streit, auch über Reizthemen wie Impfpflicht oder Waffenlieferungen. Ziel müsse aber die Suche nach gemeinsamen Lösungen sein. Dafür wünsche sie sich "weniger Wut und mehr Respekt, weniger Rechthaberei und mehr Neugier, weniger Vorurteile und mehr Empathie".
Bundeskanzler Olaf Scholz nannte die Feiern zum Tag der Deutschen Einheit "ein gutes, ein wichtiges Zeichen zur richtigen Zeit". In Europa gebe es heute eine Einheit demokratischer Rechtsstaaten, die auf soziale Marktwirtschaft setzten. "Das wird uns stark machen, auch in der Zukunft", sagte er am Rande der Feierlichkeiten unter dem Motto "zusammen wachsen".
Ramelow sieht "unglaublich guten Entwicklungsprozess"
Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow sagte, insgesamt habe der Osten - an "harten Kriterien" wie etwa der Wirtschaftskraft gemessen - einen "unglaublich guten Entwicklungsprozess genommen". Zugleich sei das Ost-West-Verhältnis "bis heute keineswegs spannungsfrei". Das habe auch mit Enttäuschungen, Missverständnissen und Verletzungen auf beiden Seiten zu tun, "die viel zu selten in den Blick genommen werden". Die gegenwärtige Stärke Deutschlands resultiere aus gemeinsamer Solidarität, aber auch aus Unterschieden, die man sich zugestanden habe.
Ramelow warb dafür, stärker jüdische und migrantische Perspektiven seit 1990 in den Blick zu nehmen. Angesichts von anhaltendem Rassismus und Antisemitismus "sollten wir ehrlich sein und uns die Frage stellen: Können wir uns an einem Tag wie heute euphorisch sein und auf die Schulter klopfen, wenn so etwas in unserem Land immer noch möglich ist."
"Viele Geschichten des gelingenden Wachsens"
Eingeläutet wurden die Feiern am Morgen mit einem Gottesdienst im Erfurter Dom. Der Landesbischof der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland, Friedrich Kramer, erinnerte an die Veränderungen, die Ostdeutschen nach 1989 viel abverlangt hätten: "Für Viele hier im Osten Deutschlands und in Thüringen schmeckten die Jahre nach der Vereinigung nicht nach Milch und Honig, sondern gerade die Zeit der Deindustrialisierung und Massenarbeitslosigkeit lässt heute noch vielen hier in Thüringen die Galle aufstoßen", sagte Kramer. Jedoch gebe es auch "viele Geschichten des gelingenden Wachsens".
Kramer warb in seiner Predigt für ein Miteinander ohne Gewalt, Bosheit und üble Nachrede. "Keine Gewalt - das ist der Konsens, der durch die friedliche Revolution in das neue Deutschland eingebracht wurde. Und es ist die Grundlage der Demokratie, denn nur in gewaltfreien Diskursen lassen sich sinnvolle Lösungen finden. Und das ist in diesen Tagen wahrlich nicht einfach", so Kramer.
Bis heute "nicht wirklich" zusammengewachsen
Erfurts katholischer Bischof Ulrich Neymeyr sagte, dass am 3. Oktober 1990 wohl nur wenigen Menschen bewusst gewesen sei, "welch große Aufgabe vor unserem Volk lag". Bis heute seien die Deutschen "nicht wirklich" zu einem Volk zusammengewachsen. Vor Vertretern der Spitzen des Staates bat er um Gottes Beistand für weiteres Zusammenwachsen und ein "Wachsen an den Herausforderungen der Zeit".
Seit Samstag schon wird in Erfurt der 32. Jahrestag der Einheit gefeiert. Mit dem Gottesdienst im Dom der thüringischen Hauptstadt begann der offizielle Teil der Feierlichkeiten. An dem Gottesdienst und dem anschließenden Festakt nahmen unter anderem Bundeskanzler Olaf Scholz, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Bundestagspräsidentin Bärbel Bas und Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow teil.