Anfeindungen im Amateurfußball Warum Stine trotzdem Schiri sein will
Stine Fiege aus Nordhessen zählt zu den wenigen Frauen in der schwarz-weißen Schiri-Kluft. Von Beleidigungen auf dem Platz will sich das Nachwuchstalent nicht einschüchtern lassen.
Stine Fiege kämpft. Die Abiturientin muss heute durch den "Schiri-TÜV" an der Sportschule in Grünberg, der Kaderschmiede des hessischen Leistungssports. Es geht um Fitness und Fußballwissen. Einmal im Jahr muss Stine hier beweisen, was sie als Schiedsrichterin auf dem Kasten hat und dass sie alle Normen erfüllt. Sonst darf sie nicht pfeifen.
Insgesamt sieben junge Frauen sind diesmal bei der Qualifikation dabei. Zwischen Sprintparcours und Schulbank sprechen sie auch über Pöbeleien auf dem Platz. Jede von ihnen musste sich schon gegen Respektlosigkeiten von Fans, Spielern oder Trainern zur Wehr setzen. Ein Spruch wie "Zurück an den Herd" sei da noch harmlos. Für Stine gehören Gefühlsausbrüche beim Fußball zwar dazu. Eskalationen aus der jüngsten Zeit lassen sie dennoch nicht kalt.
Zielscheibe Schiedsrichter
Immer öfter schlagen im Amateurfußball Emotionen in körperliche Angriffe gegen die Schiedsrichter um - quer durch alle Ligen und Altersklassen.
So endete gerade erst ein C-Jugend-Spiel in Frankfurt mit einem Eklat. Nach dem Kreispokalfinale zwischen dem FC Germania Enkheim und dem FC Kalbach stürmt ein aggressiver 48-jähriger Vater auf das Spielfeld und schreit den Schiedsrichter an. Er soll gedroht haben, ihn "zu köpfen". Der Unparteiische ist gerade einmal 15 Jahre alt.
Auch beim Drittligaspiel Zwickau gegen Essen eskaliert die Gewalt. Als der 31-jährige Schiedsrichter nach dem Abpfiff der ersten Halbzeit in die Kabine geht, bekommt er von einem "Fan" einen Becher Bier ins Gesicht. Nach diesem Vorfall wird das Spiel abgebrochen. Insgesamt zählt der DFB in der Saison 2021/2022 nach Beleidigungen, Beschimpfungen oder Übergriffen 911 Spielabbrüche. Trauriger Rekord.
"Schiri-TÜV" in Grünberg: Schiedsrichterinnen-Betreuer Patrick Werner erklärt Fußballregeln
Fußball als Persönlichkeitscoach
Man brauche beim Fußball schon ein dickes Fell, sagt Nachwuchs-Schiedsrichterin Stine. Schon seit Kindertagen spielt Fiege aktiv als Verteidigerin. Bereits mit zwölf Jahren wollte sie Schiedsrichterin werden. Weil es ihr unfassbar viel Spaß macht, auf dem Platz zu stehen. Ohne die Hilfe ihrer Familie würde es aber nicht gehen.
Oft muss sie sich mehr als 100 Kilometer zu Spielen oder Lehrgängen fahren lassen. Doch der ganze Aufwand zahlt sich aus. Das Pfeifen habe ihr Selbstbewusstsein gestärkt. Früher sei sie eher schüchtern und zurückhaltend gewesen. Jetzt trete sie ganz anders auf. Und ist eine der wenigen Frauen im Schiedsrichter-Amt.
Fokus mehr auf die Schiris lenken
Gerade mal vier Prozent. So wenig Frauen zählt der DFB bei den bundesweit 50.000 Unparteiischen. Nachwuchs im Amateurbereich dringend gesucht! Mit dem "Jahr der Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter" will der Deutsche Fußballbund mehr Nachwuchs gewinnen. Schiris brauchen mehr Anerkennung und Wertschätzung, fordert Patrick Werner vom Hessischen Fußballverband.
Es sei höchste Zeit, den Fokus mehr auf dieses Amt zu legen. Schiris wollen keine "Spielverderber" sein, sondern als "Dienstleister für das Spiel" wahrgenommen und anerkannt werden, so der Schiedsrichterinnen-Betreuer. Neben Spielern und Trainern müsse man auch die Spielleiterinnen und Spielleiter zu Wort kommen lassen und deren Meinung und Sichtweise hören.
Voller Einsatz: Schiedsrichterin Stine Fiege muss auch körperlich fit sein.
Mit Körpersprache und Fachwissen überzeugen
Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter stehen unter einem enormen Druck, nicht nur medial, sondern besonders von den Akteuren auf dem Platz und den Fans. Darauf versuchen die Ausbilder im Grünberger Leistungszentrum, Stine und die anderen Nachwuchskader möglichst gut vorzubereiten. "Körpersprache ist wichtig", sagt Fitnesscoach Claudia Demuth von der Frankfurter Schiedsrichtervereinigung. Mit der richtigen Haltung auf dem Platz kämen Diskussionen gar nicht erst auf. Außerdem dürfe man nicht nervös agieren, müsse zu seinen Entscheidungen stehen.
Nicht nur in der Praxis muss Stine auf diesem Lehrgang überzeugen, sondern auch in der Theorie. Beim Wissenstest schafft sie locker die Hessennorm, schrammt aber nur sehr knapp an den schärferen DFB-Vorgaben vorbei. "Den nächsten DFB-Test will ich aber schaffen", zeigt sich Stine ehrgeizig.
Stine Fiege und Schiedsrichter-Kolleginnen beim Wissenstest
Schiri-Karriere ja, aber nicht um jeden Preis
Ihr nächstes Ziel ist die Gruppen- und Verbandsliga. Und sie will in die Männerspiele reinschnuppern. "Jeder träumt von der Bundesliga", sagt sie. Aber das hätte noch Zeit. Erstmal das Abitur zu Ende machen, vielleicht studieren. Und dann mal sehen, "was in der Schiedsrichterei noch so geht". Anderen Frauen will sie Mut machen. "Als Schiedsrichterin kann man nichts verlieren, man kann eigentlich nur gewinnen".