Neun-Euro-Ticket Beginn einer Verkehrswende?
Nach der Zustimmung des Bundesrats kann das 9-Euro-Ticket kommen. Aber ist das auch eine Wende in der Verkehrspolitik? Wohl kaum, sagen Kritiker.
Der Bundesrat hat der Finanzierung des 9-Euro-Tickets zugestimmt. Nach drei Monaten soll der Rabatt wieder vorbei sein - und erst lange danach wird klar sein, ob die Kritiker recht hatten oder die Befürworter.
Letztere hoffen, mit dem 9-Euro-Ticket ein Symbol für die notwendige Verkehrswende zu setzen. Als Grund für das Ticket nannte die Bundesregierung die sich überschlagenden Benzinpreise, für die sie einen Ausgleich schaffen wollte, der gleichzeitig so viele Pendler wie möglich langfristig vom Auto in den ÖPNV bringen soll.
Ist das gerecht?
"Gute Idee", sagt der Fahrgastverband Pro Bahn; sie sei "aber nicht zu Ende gedacht". Das Ticket sei ungerecht, argumentiert Karl Peter Naumann, Ehrenvorsitzender des Verbandes. Langstreckenpendler, die auf den ICE angewiesen seien, profitierten ebensowenig wie Wochenendheimfahrer, die möglichst schnell und über weite Strecken ins Wochenende kommen wollen. Dafür könnten Touristen und Tagesausflügler mit viel Zeit sogar weite Strecken mit Regionalzügen zurücklegen und so, obwohl das Ticket eigentlich nicht in erster Linie für sie gedacht war, Pendlerzüge zusätzlich verstopfen.
Wird es voll?
Dass es voll werden könnte, bestätigt Horst Stammler, Geschäftsführer des Verkehrs- und Tarifverbundes Stuttgart (VVS). Der Verbund hat als einer der ersten bereits diese Woche angefangen, das Ticket zu verkaufen. Die meisten anderen, wie auch die Deutsche Bahn, starten den Verkauf am Montag.
Der Forderung, während der Gültigkeit des Tickets mehr Busse und Bahnen einzusetzen, erteilt Stammler eine Absage: "Bahnen und Busse fahren bei uns von Juni bis August im ganz normalen Takt. Züge häufiger fahren zu lassen ist oft nicht möglich, weil die Streckeninfrastruktur durch das bestehende Angebot weitgehend ausgelastet ist."
Dauerhafte Verbesserungen gefordert
Nicht um einen vorübergehenden, sondern um einen dauerhaften Netzausbau geht es dem Deutschen Städte- und Gemeindebund. Sprecher Alexander Handschuh verweist vor allem auf den ländlichen Raum, wo oft nur einmal in der Stunde ein Bus kommt, aber auch auf überlastete Streckennetze in Metropolen: "Das geht nur mit einer soliden und dauerhaften Finanzierung durch Bund und Länder. Der Bundestag sollte daher im gleichen Atemzug mit der Ticketaktion auch die Grundfinanzierung für den ÖPNV erhöhen. Das ist auch vor dem Hintergrund der gestiegenen Energie- und Spritkosten bei den Verkehrsunternehmen mehr als notwendig."
Zudem befürchtet der Städte- und Gemeindebund einen hohen bürokratischen Aufwand bei der Rückerstattung der Differenz zwischen dem 9-Euro-Ticket und den Normalpreis, die der Bund den Verkehrsverbünden versprochen hat. Kompliziert wird es vor allem, wenn Pendler durch verschiedene Verkehrsbezirke fahren. Außerdem wisse heute niemand, ob die Annahme stimme, mit 2,5 Milliarden Euro sei die Differenz ausgeglichen.
Nachfolgeangebote gefordert
Vor allem für die Zeit nach der Aktion brauche es Nachfolgeangebote, um den Anreiz in den ÖPNV umzusteigen nachhaltig zu machen, so Handschuh. Von Bus oder Bahn ließen sich Kunden nur überzeugen, wenn diese Verkehrsmittel für sie bequem und bezahlbar seien, sagt auch Pro Bahn.
Wer allerdings entgegen der Pendlerrichtung unterwegs ist, sagt Pro-Bahn-Sprecher Naumann, also von den großen Arbeitszentren weg, "der wird den Umstieg in Erwägung ziehen, vor allem wenn das Ticket ab September nicht wieder zehn Mal so teuer ist wie das 9-Euro-Ticket".
Das sieht Horst Stammler vom VVS anders. "Die Spritpreise sind explodiert. Daher sind - relativ gesehen - die Preise für Bahnen und Busse günstiger geworden. Wir denken, dass die Fahrgäste verstehen, dass die Neun-Euro-Aktion eine einmalige Aktion des Bundes ist und mit realen Preisen für ein gutes Verkehrsangebot wenig zu tun hat."
Autofahren muss unbequemer werden
Um die Menschen doch nachhaltig zum ÖPNV zu holen, fordert der Fahrgastverband Pro Bahn das sogenannte Wiener Modell, ein 365-Euro-Jahresticket, verbunden mit dem konsequenten Ausbau des ÖPNV. Rheinland-Pfalz hat am Donnerstag angekündigt, ein solches Ticket, wie schon im Koalitionsvertrag verankert, im Jahr 2024 für junge Leute einführen zu wollen.
Noch in diesem Jahr wird das Land dazu ein Gutachten in Auftrag geben, um die finanzielle Belastung für Land und Kommunen zu errechnen. Im Vergleich zu drei Monaten 9-Euro-Ticket sei das sicher ein wirksamerer Schritt hin zu einer Verkehrswende, wie ihn Pro Bahn fordert.
Doch dafür fehlten weitere Schritte in einer Gesellschaft, in der das Auto noch viel zu oft als Prestigeobjekt benutzt werde und der Bequemlichkeit diene. "Autofahren muss durch höhere Parkgebühren unangenehmer gemacht, der ÖPNV konsequent weiter ausgebaut und Konzepte zu Rad- und Fußverkehr endlich umgesetzt werden", so Karl-Peter Naumann.