Mütter mit Zuwanderungsgeschichte "Diese Frauen brauchen jemanden, der sie ermutigt"
Rund 2,2 Millionen Mütter haben einen Migrations- und Fluchthintergrund. Sie arbeiten deutlich seltener als Mütter ohne Zuwanderungsgeschichte. Doch das muss nicht so sein, zeigt ein Projekt in Berlin.
Wenn Günseli Karaman über ihren Berufsweg erzählt, spürt man, wie stolz sie ist. Und man spürt förmlich, wie hart dieser Weg war. 1994 kommt sie aus der Türkei nach Deutschland. "Es gibt natürlich das Arbeitsamt, das Berufsinformationszentrum, aber man muss schon wissen, wohin man gehen kann."
Für die alleinerziehende Mutter war es schwierig sich im deutschen Zuständigkeitsdschungel zurechtzufinden. Die Sprache war ebenfalls eine hohe Hürde. So hat sie sich am Anfang allein durchgebissen und scheiterte. Ihr Studium an einer Berliner Fachhochschule musste sie abbrechen - mit zwei Kindern und Teilzeitarbeit war das für sie nicht leistbar.
Ihr Weg in den deutschen Arbeitsmarkt hätte dort enden können. Doch Günseli Karaman gab nicht auf und fand Unterstützung. Bei den "Stadtteilmüttern" fand sie einen Job und ihre Berufung. "So viele Frauen kommen zu mir in die Beratung, weil ich türkisch sprechen kann. Ich zeige ihnen den Weg."
Beratung und Ermutigung
Für die Projektleiterin der Stadtteilmütter beim Diakonischen Werk Berlin Stadtmitte, Ulrike Koch, ist das der Kern des Projektes. Das, was die Stadtteilmütter ausmacht. "Diese Frauen brauchen, eine Beratung in ihrer Sprache und jemanden, der sie ermutigt, sich auch in Deutschland zu trauen, erwerbstätig zu sein." Also Menschen, wie Günseli Karaman und ihre Kolleginnen. Menschen, die die Möglichkeiten aufzeigen, sich zu qualifizieren.
Die Stadtteilmütter seien Vorbilder und Brückenbauer in die Gesellschaft. "Sie erreichen andere Frauen und die schaffen es dann auch", sagt Ulrike Koch.
Viel Potenzial, wenig Chancen
Jede vierte Mutter mit minderjährigen Kindern ist nach Deutschland zugewandert. Tendenz steigend. In der Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik spielen sie aber - trotz Fachkräftemangel in vielen Bereichen - kaum eine Rolle. Sie haben, wenn man sie als Gruppe betrachtet, im Durchschnitt niedrigere Bildungsabschlüsse und sind seltener berufstätig als Mütter ohne Zuwanderungshintergrund.
Das zeigt ein aktuelles Forschungsprojekt des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) und der Stiftung Ravensburger Verlag. "Die Erwerbsbeteiligung liegt um 35 Prozentpunkte niedriger als bei Müttern ohne Zuwanderungsgeschichte", heißt es in der Studie. Das habe Folgen, auch für die Kinder. "Die Studie zeigt deutlich, dass wir Mütter mit Zuwanderungsgeschichte stärker unterstützen müssen", sagte der Vorstand der Stiftung Ravensburger Verlag, Johannes Hauenstein.
Vom Modellprojekt zum Regelangebot
Die Stadtteilmütter tun genau das. Ihre Beratung, ihre Angebote richten sich an Mütter und kommen von Müttern. 2004 wurde in Berlin Neukölln das Pilot-Projekt gestartet. Die Idee: Frauen mit Migrationshintergrund beraten Frauen, helfen bei der Kitaplatzsuche, beim Sprachkurs, bei Schulproblemen und beim Berufseinstieg. Inzwischen sind aus zwölf Stadtteilmüttern, 250 geworden, aus dem Pilotprojekt ein stadtweites Angebot. Die Stadtteilmütter sollen dazu beitragen, die "Bildungs- und Teilhabechancen von Familien mit Migrationsgeschichte zu stärken."
Als Ziele beschreibt die Leiterin Ulrike Koch, "dass die Kinder bessere Schulabschlüsse machen und dass die Mütter einen Weg ins Berufsleben finden."
"Die familiären Aufgaben stehen ganz vorn"
In Kreuzberg ist unter anderem Günseli Karaman dafür zuständig. Drei Mal in der Woche leitet sie Gruppenangebote. Was ihr auch auffällt, ist, dass vielen Frauen der Mut fehlt, wirklich diese Schritte zu gehen. "Sie möchten berufstätig sein, aber die familiären Aufgaben stehen ganz vorn." Und für beides mangele oft die Unterstützung.
Eine ihrer Klientinnen habe jeden Tag in der Beratung geweint, eine junge Mutter, alleinerziehend und überfordert. Inzwischen arbeite sie als Rechtsanwaltsgehilfin. "Sie kommt jeden Mittwoch zu mir. Sie ist jetzt stark und selbstbewusst."
Für Günseli Karaman ist das nur ein positives Beispiel, wie nützlich ihre Arbeit ist. Sie hat ihren Weg noch ohne Stadtteilmütter finden müssen. Sie arbeitet seit 2003 in sozialen Einrichtungen. Ihre Töchter haben beide studiert.