Maßnahmen gegen Personalmangel Lehrkräfte sollen mehr arbeiten
Bis 2035 fehlen jährlich rund 1600 Lehrkräfte. Das schätzt ein Beratergremium der Kultusministerkonferenz und fordert: Lehrerinnen und Lehrer sollen noch mehr arbeiten. Bildungsverbände sprechen von "blankem Hohn".
Zu viele Schülerinnen und Schüler treffen auf zu wenig Lehrkräfte. Dieses Problem besteht schon lange, wird sich aber nach Ansicht der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission in den nächsten 20 Jahren noch verschärfen. Um die Lage zu entspannen, schlägt das Beratergremium der Kultusministerkonferenz (KMK) eine Mehrbelastung für Lehrkräfte vor. Demnach solle neben einem höheren Unterrichtspensum auch geprüft werden, Teilzeitmöglichkeiten zu beschränken und gegebenenfalls größere Klassen zu bilden.
12.000 Stellen sind unbesetzt
"Erheblichen Pensionierungswellen stehen kleine Geburtskohorten gegenüber, aus denen Lehramtsstudierende gewonnen werden können", heißt es in dem Gutachten der Wissenschaftler.
Berechnungen der KMK zufolge liegt die Lücke zwischen Lehrkräftebedarf und -angebot zwischen 2021 und 2035 jedes Jahr im Schnitt bei etwa 1600. Insgesamt in den kommenden 20 Jahren also deutlich über 20.000. Aktuell sind laut einer Umfrage des Redaktionsnetzwerks Deutschland deutschlandweit mehr als 12.000 Lehrstellen unbesetzt.
Teilzeit begrenzen, Stunden erhöhen
Die Vorschläge der Kommission sehen unter anderem vor, die Möglichkeiten für Teilzeitarbeit zu begrenzen. "Hier liegt die größte Beschäftigungsreserve", heißt es in der Mitteilung. Denn fast die Hälfte der Lehrkräfte in Deutschland arbeitet in Teilzeit.
Geprüft werden sollte eine befristete Erhöhung des Unterrichtskontingents pro Woche mit einem finanziellem Ausgleich oder einer Abgeltung durch weniger Arbeitszeit in späteren Jahren. Zudem sollen Anreize für ältere Lehrer geschaffen werden, aus dem Ruhestand zurückzukehren oder über die Altersgrenze hinaus zu arbeiten, heißt es in dem Gutachten.
Klassen vergrößern, ausländische Fachkräfte gewinnen
Klassen sollten dort vergrößert werden, wo festgelegte Maximal- oder Orientierungswerte unterschritten werden. In der Mittelstufe dürfe auch eine befristete Erhöhung der maximalen Klassenstärke als "ultima ratio" nicht ausgeschlossen werden.
Die Wissenschaftler sprechen sich für eine erleichterte Anerkennung von Abschlüssen ausländischer Lehrer aus. Auch sollen Anreize geschaffen werden, befristet an anderen Schulen zu arbeiten, an denen Personalnot herrscht. Möglich wäre auch ein zusätzlicher Einsatz von nicht-pädagogischem Personal in Verwaltung, IT oder Bibliotheken, um Lehrkräfte zu entlasten.
In oberen Gymnasialklassen sollte der Kommission zufolge Hybrid-Unterricht erprobt werden. Zum Beispiel könnte eine Lehrkraft in einer Klasse unterrichten und eine andere Klasse - auch aus einer anderen Schule - ist zugeschaltet.
Coaching, Supervision und Achtsamkeit für Lehrkräfte
Die Kommission sei sich bewusst, dass ihre Vorschläge "eine zusätzliche Belastung für Lehrkräfte mit sich bringen". Deshalb müssten die vorgeschlagenen Maßnahmen befristet werden, teilte die Kommission mit. Sie schlägt zudem vor, mehr Angebote zur Gesundheitsvorsorge bei Lehrkräften zu schaffen - etwa Coaching, Supervision oder Achtsamkeitstrainings.
Allen Akteuren im Schulsystem müsse klar sein, dass die Gesellschaft vor einer historischen Herausforderung stehe, die größte Anstrengungen erfordere, mahnen die Wissenschaftler.
Lehrerverbände: Vorschläge sind "blanker Hohn"
Scharfe Kritik kommt von Bildungs- und Lehrergewerkschaften. Der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Heinz-Peter Meidinger sagte, viele der Vorschläge seien praxisfremd und kontraproduktiv. "Wer Teilzeit und Altersermäßigungen einschränken oder abschaffen will, treibt noch mehr Lehrkräfte in die Frühpensionierung und den Burnout". "Mit diesen Maßnahmen wird das Versagen der Politik auf dem Rücken der Lehrkräfte ausgetragen", sagte Gerhard Brand, Vorsitzender des Verbands Bildung und Erziehung.
Die Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Maike Finnern, bezeichnet die Maßnahmen als "Ausdruck der Hilfslosigkeit". Wenn die Kommission als Ausgleich "Achtsamkeitstraining und Yoga" empfehle, sei das "blanker Hohn". Der Lehrkräftemangel sei dramatisch und Zeugnis systemischen Versagens. "Bildungsforschende, Verbände und auch die GEW weisen seit Jahren auf die Schönrechnerei der KMK hin. Passiert ist: nichts. Jetzt werden Empfehlungen präsentiert, die überwiegend viel zu kurz greifen." Es brauche eine grundsätzliche Debatte darüber, wie Lehrkräfte ausgebildet werden müssen und wie kurz- und langfristig Menschen für den Beruf begeistert werden können, so Finnern.
Lob aus der Politik
Niedersachsens Kultusministerin Julia Willie Hamburg lobte das Gutachten. Es sei wissenschaftlich fundiert und münde in konkrete Handlungsempfehlungen. Zugleich werde deutlich, dass Niedersachsen und alle weiteren Bundesländer "weiterhin riesige Baustellen zu bearbeiten" hätten.
Besonderer Mangel an Berufsschulen und in Mittelstufe
In Deutschland leben mehr als zehn Millionen Schülerinnen und Schüler. Seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges sind 200.000 aus der Ukraine geflüchtete Kinder und Jugendliche dazugekommen, was die Herausforderungen an den Schulen weiter erhöht.
Allerdings gibt es Unterschiede je nach Region, Schultyp und Fach. Insgesamt besteht eher ein Überangebot an Gymnasiallehrkräften, dagegen wird durchgehend mit einem besonderen Mangel an Berufsschulen und in der Mittelstufe gerechnet. Die Lage an den Grundschulen wird sich den Prognosen zufolge ab Mitte der 20-er Jahre entspannen. Es fehlen vor allem Mathe-, Chemie-, Physik-, Musik-, Kunst-, Englisch- und Informatik-Lehrer.