Personalnot in Kitas "Es geht nicht mehr"
Immer mehr Erzieherinnen und Erzieher in Deutschland arbeiten an der Belastungsgrenze. Eine Umfrage zeigt, dass sich der Personalmangel im vergangenen Jahr weiter verschärft hat.
"Es geht nicht mehr!" Die Erzieherinnen in der Kita Herrnweiher in Oppenheim in Rheinland-Pfalz sind am Ende ihrer Kräfte. Die stellvertretende Leiterin, Lucia Burghardt, hat deswegen Mitte Januar die Reißleine gezogen. Gemeinsam mit ihren Kolleginnen hat sie eine sogenannte Überlastungsanzeige beim Kita-Träger, der Stadt Oppenheim, gestellt. Damit erklären die Pädagoginnen, dass sie ihre Arbeit aufgrund von Überbelastung nicht mehr ordnungsgemäß erfüllen können.
Acht offene Stellen
"Wir sind seit Jahren im Dauerstress, begonnen mit der Corona-Situation", erzählt Burghardt. 120 Kinder betreut sie mit ihren 20 Kolleginnen. Durch das neue rheinland-pfälzische Kita-Gesetz, das 2021 in Kraft trat, hat die Kita in Oppenheim zwar auf dem Papier mehr Personal zugesprochen bekommen. Doch das fehlt in der Realität. "Wir hatten im letzten Jahr acht offene Stellen", berichtet Burghardt. Dazu kam ein hoher Krankenstand im Dezember und Januar. "Dann war einfach irgendwann der Zeitpunkt gekommen, wo man gespürt hat: Die Kolleginnen, die noch da sind, die können nicht mehr."
"Wir sind seit Jahren im Dauerstress": Kita-Leiterin Lucia Burghardt.
Bundesweites Problem
Ähnlich angespannt wie in Oppenheim ist die Lage in vielen deutschen Kitas. Das zeigt eine Umfrage des Verbands Bildung und Erziehung (VBE) im Vorfeld des Deutschen Kitaleitungskongresses (DKLK), der heute in Düsseldorf stattfindet. "Hochgerechnet etwa 10.000 Kitas haben im letzten Jahr in Deutschland in mehr als der Hälfte der Zeit in aufsichtspflichtrelevanter Personalunterdeckung gearbeitet", sagt der stellvertretende Bundesvorsitzende des VBE, Tomi Neckov. "Anders ausgedrückt: Diese Kitas konnten den Betrieb im Durchschnitt an mehr als jedem zweiten Tag nur unter Gefährdung der Sicherheit der zu betreuenden Kinder aufrechterhalten."
Der VBE ist nach der GEW die zweitgrößte Bildungsgewerkschaft in Deutschland. Für die Umfrage hat der Verband mehr als 5000 Leiterinnen und Leiter von Kitas befragt. Die meisten davon kommen aus Baden-Württemberg und Bayern. In beiden Bundesländern sind laut VBE viele Erzieherinnen und Erzieher Mitglied im Verband.
Mehr als 60 Prozent der Befragten gaben an, dass sich der Personalmangel in ihren Einrichtungen im vergangenen Jahr verschärft habe. Gleichzeitig sei es schwieriger geworden, offene Stellen mit passenden Bewerberinnen und Bewerbern zu besetzen. Weitere 33 Prozent bestätigten, dass ihr Kita-Träger Personal einstellt, das nicht auf die Stellen passe und früher nicht eingestellt worden wäre.
Kürzere Öffnungszeiten auf Kosten der Eltern
In vielen Kitas führt der Personalmangel dazu, dass die Betreuung der Kinder eingeschränkt werden muss. Etwa die Hälfte der Kita-Leitungen erklärte in der Umfrage, dass die Öffnungszeiten im vergangenen Jahr reduziert wurden. Fast 90 Prozent der Befragten sagten, dass pädagogische Angebote wegen fehlenden Personals entfallen mussten.
Auch die Kita von Lucia Burghardt in Oppenheim hat nach der Überlastungsanzeige ihre Öffnungszeiten reduziert, aktuell um eine Stunde pro Tag. Außerdem werden immer wieder Gruppen zusammengelegt. An einigen Tagen kann die Kindertagesstätte nur noch eine Notbetreuung anbieten. Lucia Burghardt fühlt sich dabei hin- und her gerissen zwischen der eigenen Überlastung und den Bedürfnissen der Eltern und Kinder. "Es gibt Eltern, die haben ein sehr großes Verständnis. Es gibt andere Eltern, die aufgrund ihrer persönlichen Situation damit auch sehr überlastet sind", berichtet sie.
Von Politik nicht wertgeschätzt
Die DKLK-Umfrage offenbart auch, dass die Kita-Leitungen sich von der Politik nicht wertgeschätzt fühlen. Nur zwölf Prozent der Befragten empfinden Wertschätzung ihrer Tätigkeit durch die Bundespolitik, rund 14 Prozent durch die Landespolitik und etwas mehr als ein Drittel durch die Kommunalpolitik. Wertschätzung durch Kinder, Eltern und Kita-Träger empfindet dagegen die überwiegende Mehrheit der Teilnehmerinnen und Teilnehmer.
Mehr Geld vom Bund gefordert
Bei der Lösung des Personalmangels in den Kitas sieht der VBE vor allem den Bund in der Pflicht. Er müsse das Kita-System in deutlich größerem Umfang finanzieren und es als nationale Aufgabe verstehen. "Die frühkindliche Bildung braucht, hier gibt es keine zwei Lesarten, massive Investitionen - jetzt und dauerhaft", sagt der stellvertretende Bundesvorsitzende Neckov. Um kurzfristig mehr Fachkräfte in die Kitas zu bringen, können sich die Kita-Leitungen laut der Studie vorstellen, Personal aus dem Ruhestand zu holen und die Stunden von Teilzeitkräften aufzustocken. "Aber hier haben wir das Ende der Fahnenstange vielerorts schon erreicht", dämpft Neckov die Hoffnungen.