Das Schaufelrad des Vorschnittbaggers dreht sich im Tagebau Jänschwalde in nur weniger als 50 Meter Entfernung eines Hauses.
mittendrin

Horno in der Lausitz Abgebaggert und neu aufgebaut

Stand: 10.02.2023 19:02 Uhr

Die gleichen Straßennamen, die gleichen Hausnummern, dieselben Nachbarn. Seit 20 Jahren gibt es das "neue" Horno. Das alte Dorf wurde abgebaggert, um an die Lausitzer Braunkohle zu kommen. Wie gut sind die Menschen angekommen?

Erste grüne Frühblüher ragen schon aus der Erde und an vielen Sträuchern sind schon kleine Knospen zu sehen. Doch wenn Dagmar Wellenbrink in ihren Garten geht, macht sie das mit gemischten Gefühlen. "Ich konnte mich 20 Jahre gar nicht richtig an dem Garten freuen." Denn viele der Pflanzen hier hat sie mitgenommen. "Gerettet", wie sie sagt.

Sie hat sie mitgenommen aus dem alten Pfarrgarten in Horno, 15 Kilometer nördlich. Dort war sie Pfarrerin, bis das Dorf vor fast 20 Jahren abgebaggert wurde, um an die Braunkohle unter der Erde zu kommen.

Seitdem lebt sie im "neuen" Horno. Wie fast drei Viertel der 320 Einwohner ist sie in diesen Ort gekommen, der auf Kosten des Energiekonzerns Vattenfall gebaut wurde. Vorher war hier Acker. Jetzt sind hier fast 70 bunte Wohnhäuser, ein Teich mit zwei Stegen, eine moderne Kirche. Für die Menschen, die hier leben ist es eine Entschädigung für den Verlust ihres Heimatdorfes.

Lützerath der Lausitz: #mittendrin in Horno, einem verschwundenen Braunkohle-Ort

Robert Holm, rbb, tagesthemen, tagesthemen, 10.02.2023 21:45 Uhr

Wehmut bleibt

Trotz der Entschädigung, trotz der vielen vergangenen Jahre: Wenn Dagmar Wellenbrink in ihrem Garten steht und über Horno spricht, klingt sie traurig. Sie war dabei, als die alte Hornoer Kirche gesprengt wurde. Sie hat mit den Menschen im Dorf geredet, als die Toten des Hornoer Friedhofs umgebettet werden sollten. "Ich habe mit jeder einzelnen Familie über ihre Gräber gesprochen. Das war eine ganz schwierige Aufgabe, denn es hat tiefste Emotionen berührt. Junge Leute haben mir gesagt: Opa wollte hier nie weg. Viele ist das Herz zerrissen, bei der Vorstellung, die lieben Angehörigen nochmal aus der Hornoer Erde zu holen."

Gegenüber ihrem Haus steht die neue Kirche (die Turmhaube ist noch aus dem alten Horno), gleich daneben der Dorfteich (im alten Horno hatten sie zwei Dorfteiche). Der Teich ist einer der liebsten Orte von Anton. Er ist neun Jahre alt und kommt hier gerne her, um sich die Karpfen anzuschauen. Er fühlt sich hier wohl. "Sehr wohl sogar. Weil Moritz, Ole und Cedrik auch hier wohnen. Das sind meine besten Freunde." Er spielt hier gerne Fußball und kann mit dem Fahrrad auf der ruhigen Dorfstraße um die Kirche fahren. Seine Schwester begleitet ihn auf Inlineskates und mit einem kleinen Hund an der Leine.

Blick auf zahlreiche Häuser im neuen Ortsteil Horno. (Archivbild)

Seit 2003 wohnen die meisten der ehemaligen Einwohner des alten Dorfes im "neuen" Horno.

Horno ist mittlerweile Zuzugsort

Für junge Familien ist das neue Horno ideal. Es gibt viel Platz, wenig Verkehr und als Ortsteil von Forst bei Cottbus ist Horno gut angebunden. Zur Schule braucht Anton nur fünf Minuten, sagt er. Mittlerweile ist Horno ein Zuzugsort geworden. "Für viele ist es schon ein normaler Ort. Weil vielen ist der ganze Hintergrund unseres Ortes nicht bekannt", erzählt Thomas Noack. Er ist Leiter der Freiwilligen Feuerwehr. Das Dorf habe heute die gleichen Probleme wie andere Dörfer: "Wir haben Nachwuchsmangel. Die Beteiligung könnte besser sein, wie überall."

Neben der Feuerwehr gibt es im neuen Horno auch einen Spielmannszug, einen Männergesangsverein und einen Verein, der sich um die Pflege der sorbischen Tradition kümmert, die in der Gegend eine große Rolle spielt. Außerdem gibt es große Sommerfeste. Schon im alten Horno wurde viel gefeiert. "Was haben wir da getanzt!". Pfarrerin Dagmar Wellenbrink steht zwischen Fliederbüschen und Magnolien und wird nochmal wehmütig.

Das Schaufelrad des Vorschnittbaggers dreht sich im Tagebau Jänschwalde in nur weniger als 50 Meter Entfernung eines Hauses. (Archivbild)

Das "alte" Horno wurde abgebaggert und 2005 schließlich aus dem Ortsteilverzeichnis gelöscht.

Denn nach der Umsiedlung war die Feierlaune erstmal weg. "Anfangs waren nur wenige zusammen gekommen, obwohl es Freibier gab. Wir saßen da ganz schön traurig rum und haben nur über die alten Themen geredet." Doch von Jahr zu Jahr sei das besser geworden. Heute feiern sie wieder in großer Runde erzählt sie. "Und man redet weniger über früher. Sondern eher darüber, was man aus den Leuten von den anderen Dörfern oder über alte Klassenkameraden gehört hat." 

Die Freude kehrt zurück

Und nicht nur das Feiern wieder mehr Spaß für Dagmar Wellenbrink. Auch ihr Garten bereitet ihr mehr und mehr Freude. "Überall tobt das Leben. Es ist enorm, was hier alles an Frühlingszwiebeln austreibt und wachsen will." Der Garten ist mittlerweile mehr als nur Erinnerung an vergangene Zeiten. "Die Umsiedlung war ein großer Schmerz. Auch ich habe lange gelitten. Aber nach 20 Jahren kann ich wohl sagen: 'Wir haben es geschafft'." Der Garten von Dagmar Wellenbrink ist dafür ein gutes Symbol.

Karte: Horno in der Lausitz

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichteten die tagesthemen am 10. Februar 2023 um 21:45 Uhr.