Hitzlsperger über sein Coming-out "Es gibt allen Grund, sich zu trauen"
Das Coming-out von Ex-Nationalspieler Hitzlsperger liegt zehn Jahre zurück. Das eines aktiven Profis gab es hierzulande immer noch nicht. Was Hitzlsperger heute über den Schritt denkt und was sich verändert hat, erzählt er im Interview.
tagesschau.de: Herr Hitzlsperger, welche Gefühle kommen ihn Ihnen hoch, wenn Sie an den Tag zurückdenken, an dem Sie als erster bekannter deutscher Fußball-Profi öffentlich gesagt haben: ich bin homosexuell?
Thomas Hitzlsperger: Sehr positive Gefühle, ich erinnere mich gerne an den Tag zurück. Es war aufregend. Ich konnte nicht genau sagen, wie groß das Ereignis wird, aber es wurde dann schon sehr groß. Und ich muss mich bei vielen Menschen bedanken, die mich unterstützt haben. Seither ist viel Gutes passiert und dafür bin ich ebenfalls sehr dankbar.
tagesschau.de: Wie war der Prozess bis zum öffentlichen Coming-Out?
Hitzlsperger: Das war ein sehr langer Prozess. Wenn man im Profi-Fußball unterwegs ist und schwul ist, dann fühlt man sich erstmal allein. Man hat kaum bis gar keine Vorbilder. Ich musste mir das auch erstmal selbst eingestehen, dass ich schwul bin. Mir war irgendwann klar, ich möchte nicht mein ganzes Leben ein Geheimnis daraus machen, mich verstecken müssen. Und so habe ich immer mehr Unterstützer gefunden, Leute, die mich bekräftigt haben, darüber auch öffentlich zu sprechen. Um am Ende auch Vorbild sein zu können.
"Im besten Fall gibt es Nachahmer"
tagesschau.de: Was war damals das Ziel des Interviews mit der Wochenzeitung "Die Zeit"?
Hitzlsperger: Ich wollte eine Diskussion voranbringen über Homosexualität in der Gesellschaft, mit besonderem Augenmerk auf den Profi-Fußball. Aber auch über Vorurteile, die es natürlich damals gab, die es auch heute noch gibt. Wenn Homosexualität nicht sichtbar ist im Profisport und in anderen Bereichen der Gesellschaft, denkt man, dass es nicht existiert.
Ich wollte klar machen: Man kann Homosexualität und Profifußball zusammenbringen, ich bin ein Beispiel dafür. Und im besten Fall gibt es Nachahmer, Leute, die sagen: Wenn der sich traut, dann traue ich mich auch.
tagesschau.de: Gab es auch Menschen, die Ihnen geraten haben, sich als bekannter Fußballer nicht zu outen?
Hitzlsperger: Ich habe viele Leute im Vorfeld gefragt und einige hatten Angst, dass der Druck zu groß wäre, und haben gesagt: Mach es nicht. Ich bin vor Veröffentlichung des Interviews zu einem Medienanwalt gegangen und auch der hat mir abgeraten. Er hat gesagt: Lassen Sie das, Sie werden dem Druck wahrscheinlich nicht standhalten. Nur irgendwann war klar, das habe ich gespürt, es muss gesagt werden, ich möchte darüber sprechen, weil ich einen wertvollen Beitrag leisten kann in dieser Diskussion.
Mehr Diversität im Profifußball?
tagesschau.de: Wie haben Sie die Stimmung in den Vereinen und Mannschaften wahrgenommen zu Ihrer aktiven Zeit? Hatten Sie damals das Gefühl, Sie können offen sprechen?
Hitzlsperger: Hätte ich den Eindruck und das Gefühl gehabt, dann hätte ich wahrscheinlich schon offen gesprochen. Aber das war eben nicht der Fall. Zum einen war ich selbst noch nicht so gefestigt in meiner Persönlichkeit. Und gleichzeitig wurde es tabuisiert. Über Homophobie oder Homosexualität im Profi-Fußball zu sprechen, das kam ganz selten vor. Ich wusste nicht, mit wem ich darüber reden soll. Ich musste selbst auch erst reifen und so weit kommen, dass ich mich wohlfühle, dass ich auch Kritik und Ausgrenzung aushalten kann.
Es wäre schön gewesen, ich hätte mich zu meiner aktiven Zeit getraut. Aber ich habe es später gemacht und auch das hatte eine Wirkung. Ich bin froh über diesen Schritt.
tagesschau.de: Heute haben Fußball-Vereine und Verbände in Deutschland das Thema Diversität auf dem Schirm, nehmen z. B. an CSD-Paraden teil. Haben Sie das Gefühl, dass Sie mit Ihrem Coming-Out eine Veränderung anstoßen konnten?
Hitzlsperger: Ich nehme wahr, dass viele Vereine und Verbände in Deutschland und im Ausland sehr wohl erkannt haben, dass Vielfalt etwas Positives ist und dass es eine Notwendigkeit gibt, ein Bedürfnis, darüber zu sprechen, sich damit auseinanderzusetzen. Erfreulich ist, dass sich politisch einiges verändert hat, Stichwort Ehe für alle.
Andererseits ist die Entwicklung in der Gesellschaft nicht linear. Das Klima hat sich wieder verändert, es gibt offenen Hass, vor allem in den sozialen Netzwerken. Und das bereitet mir schon Sorge. Deswegen ist es notwendig, immer wieder seine Stimme zu erheben, sich zur Wehr zu setzen.
"Die Zeit hat sich verändert"
tagesschau.de: Fakt ist, dass sich nach Ihnen kein weiterer Profi-Fußballer in Deutschland zu seiner Homosexualität erklärt hat. Warum ist das so?
Hitzlsperger: Das müssen wir die Spieler fragen, die es betrifft. Ich glaube, dass das auch in der Gesellschaft verankert ist. Bei der Vielzahl von ehemaligen Fußball-Profis hat sich auch keiner getraut. Mir scheint, dass diese Angst vor dem Coming-Out, die über die Profi-Zeit hinausreicht, in der Gesellschaft verankert ist. Scheinbar tun sich die Leute damit sehr schwer.
Mein Bestreben war es immer, das Positive hervorzuheben. Ich habe mich geäußert, habe mit meiner Familie gesprochen, mit meinen Freunden: Die Reaktionen waren positiv. Die Zeit hat sich verändert, es gibt allen Grund, sich genau das zu trauen.
Das Gespräch führten Valerie Krall und Susanna Zdrzalek, WDR.