Geflüchtete in Deutschland Sind die Kommunen am Limit?
Nach Deutschland kommen so viele Geflüchtete wie seit Jahren nicht mehr. Viele Kommunen richten Turnhallen und Wohncontainer als Notunterkünfte ein. Doch ist die Lage wirklich so dramatisch?
Es ist eine stolze Zahl: 1,2 Millionen Menschen haben allein in diesem Jahr in Deutschland Schutz gesucht. Für die Gemeinden und Landkreise ist das eine Herausforderung. "Wir sind an der Kapazitätsgrenze angelangt", sagt der Bürgermeister der Verbandsgemeinde Nieder-Olm in Rheinland-Pfalz, Ralph Spiegler. "Wir müssen uns langsam der Frage stellen, was ist, wenn wir keinen Wohnraum mehr haben."
Bürgermeister Spiegler, der auch Präsident des Deutschen Städte- und Gemeindebunds ist, beobachtet, dass viele Landräte überlegen, Turnhallen als Unterkünfte zu nutzen. Zudem fehle Personal für die Integration in den Arbeitsmarkt, an Schulen und Kitas: "Von allen Ecken und Enden wird dieses Problem sehr virulent und sehr problematisch", sagt der SPD-Politiker.
13.400 unerlaubte Einreisen im Oktober
Hilferufe wie der des Deutschen Städte- und Gemeindebundes sind momentan aus vielen Ecken des Landes zu hören. Laut Ausländerzentralregister sind mehr als eine Million Menschen aus der Ukraine in Deutschland registriert. Wie viele davon aktuell noch im Land sind, kann niemand so genau sagen. Wer in ein anderes EU-Land weiterreist oder zurück geht in die Ukraine, muss sich nicht abmelden.
Dazu kommen immer mehr Geflüchtete aus anderen Ländern - vor allem aus Syrien, Afghanistan und der Türkei. Die Bundespolizei registrierte allein im Oktober 13.400 unerlaubte Einreisen. So viele habe es zuletzt im Februar 2016 gegeben, sagt Bundespolizeipräsident Dieter Romann. "Das ist eine sehr hohe Zahl, aber grenzpolizeilich ist das kein Problem." Das Wort Kontrollverlust sei nicht zu rechtfertigen.
Unterkünfte in Hamburg und Berlin zu 99 Prozent belegt
Alle Bundesländer haben in diesem Jahr bei den Aufnahmeplätzen aufgestockt. Bayern hat rund 40.000 geschaffen und in Niedersachen wurden die Plätze mehr als verdoppelt.
Und doch scheint es nicht zu reichen: Die Belegungsquote liegt in Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg bei etwa 80 Prozent. In Hamburg und Berlin sind es sogar 99 Prozent. Unter anderem sind Ukrainer für die hohe Auslastung verantwortlich. Sie finden auf dem freien Markt nur schwer eine Wohnung. Allein in Bayern sind rund 29.000 Plätze von Ukrainern belegt.
Turnhallen als Vorsichtsmaßnahme für den Winter
Hannes Schammann kennt die Bilder von vollen Turnhallen. Der Migrationsforscher der Universität Hildesheim spricht von einer riesigen humanitären Katastrophe in Europa. Viele Kommunen arbeiten nach seiner Beobachtung zwar am Anschlag, doch insgesamt laufe das gar nicht so schlecht. "Das Aufnahmesystem steht nicht vor dem Kollaps", sagt Schammann. "Wenn man mit der Politik spricht - zum Beispiel mit Landrätinnen und Landräten - dann schlagen sie Alarm." Viele sagten, dass sie nicht wüssten, wie es weitergehen soll, wenn die Zahlen weiter stiegen.
Ein anderes Bild zeichneten hingegen ihre Mitarbeitenden, die für die Unterbringung der Menschen zuständig sind. "Die sagen, es ist gar nicht so schlimm." In vielen Kommunen würden als reine Vorsichtsmaßnahme Turnhallen umfunktioniert und Wohncontainer aufgestellt. Denn niemand wolle schuld sein, wenn im Winter die Plätze knapp würden. Benötigt würden die Notunterkünfte aktuell noch nicht.
Private Gastgeber entlasten staatliche Stellen
Dass viele Geflüchtete aus der Ukraine trotz hoher Belegungsquoten in den Unterkünften ein Dach über dem Kopf haben, liegt unter anderem an Georgia Homann. Sie ist Projektleiterin von "Unterkunft Ukraine", einer Plattform, die Wohnraum bei privaten Gastgebern vermittelt. Mehr als 360.000 Betten wurden bislang darüber angeboten. Das Projekt gebe ihr ein gutes Gefühl, sagt Homann. Es sei schön, "Teil dieser Gesellschaft zu sein, die sagt: Ich will mit anpacken und dabei helfen, diese Situation in den Griff zu bekommen."
Private Gastgeber wünschen sich nach Homanns Eindruck mehr Anerkennung und weniger Bürokratie. Aber sie würden gerne einspringen, wenn staatliche Stellen nicht mehr hinterherkommen - auch in Zukunft, glaubt die Projektleiterin. In einer Umfrage unter den Gastgebern der Plattform haben 80 Prozent zugesagt, wieder helfen zu wollen.