Einwanderungsgesetz Zu viel Bürokratie, zu wenig Fachkräfte?
Mit einem neuen Gesetz sollte die Einwanderung von Fachkräften erleichtert werden. Doch zwei Jahre später zeigt sich: Die bürokratischen Hürden sind hoch. Die Bundesregierung will nachbessern.
Von Sophia Stoltenberg, ARD-Hauptstadtstudio
Wer in Deutschland arbeiten will, braucht neben einer anerkannten Qualifikation vor allem viel Geduld und fachliche Unterstützung. Jedenfalls, wenn man aus dem Ausland kommt. Beispiel Visaantrag: Die Genehmigung könne bis zu einem Jahr andauern, sagt der leitende Wirtschaftswissenschaftler Wido Geis-Thöne vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln. Dabei sei die Einwanderung von Fachkräften für die deutsche Wirtschaft zentral.
Geis-Thöne sieht eine verschlechterte Gesamtlage, und das liegt an den geburtenstarken Jahrgängen. Sie scheiden aus dem Arbeitsmarkt aus. Nun würden "kleine" Jahrgänge folgen, sagte der Wissenschaftler dem ARD-Hauptstadtstudio. Laut dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung gibt es derzeit 1,74 Millionen offene Stellen am Arbeitsmarkt. Um das Niveau der deutschen Wirtschaft zu halten, braucht es demnach vielfältige Lösungen.
Bürokratische Hürden
Neben der höheren Erwerbsbeteiligung von Frauen und Teilzeitmodellen, gilt die berufliche Zuwanderung als zentraler Ansatz. Die Große Koalition hat das Fachkräfteeinwanderungsgesetz am 15. August 2019 erlassen. Es schaffe eine bedarfsgerechte Zuwanderung von Fachkräften aus Drittstaaten, steht auf der Seite der Bundesregierung. Und es regle "klar und transparent", wer zu Arbeits- und Ausbildungszwecken nach Deutschland kommen dürfe und wer nicht.
Maria Loheide, Vorständin Sozialpolitik der Diakonie, vermisst Klarheiten bei dem Gesetz. Sie kritisiert es als sehr bürokratisch, es sei schwer sich da "durchzuarbeiten". In ihren Beratungsstellen für Arbeitgeber und Menschen, die für Arbeitszwecke nach Deutschland einwandern wollen, würden die Anerkennung von Abschlüssen, die Anträge von Visa und Fragen zum Familiennachzug immer wieder eine große Rolle spielen.
Bundesminister Hubertus Heil will das Gesetz vereinfachen, Bürokratie abbauen. Im Interview mit dem SWR im Juni zeigte er sich optimistisch. "Ich habe in der letzten Legislaturperiode ein Fachkräfteeinwanderungsgesetz, gegen erhebliche Widerstände der CSU damals, durch gepaukt. Das ist aber noch viel zu bürokratisch. Und da ist in diese Fortschrittskoalition von SPD, Grünen und FDP ein anderer Spirit. Wir werden ein modernes Einwanderungsrecht schaffen."
Reformen geplant
Die Bundesregierung arbeitet derzeit an entsprechenden Reformen. Darauf haben sich die Ampelpartner auch im Koalitionsvertrag geeinigt. Einen wichtigen Beitrag soll das im Kabinett beschlossene Chancen-Aufenthaltsrecht leisten. Es soll unter anderem den Familiennachzug nach Deutschland erleichtern, indem keine vorherigen Deutschkenntnisse der Familienangehörigen mehr nötig seien, schreibt das Arbeitsministerium dem ARD-Hauptstadtstudio.
Rückblickend erkennt das Ministerium aber auch Erfolge: Das Gesetz habe in seinen ersten zwei Jahren viel gebracht. So seien 100.000 Visa erfolgreich vermittelt und "gute Rahmenbedingungen" geschaffen worden. Und das alles vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie. Das Gesetz sei gleichzeitig mit dem Beginn der Pandemie in Kraft getreten, der Start dementsprechend holprig verlaufen, heißt es.
Kritik am Fachkräfteeinwanderungsgesetz
Deutliche Kritik am Fachkräfteeinwanderungsgesetz kommt auch vom Bundesverband der mittelständischen Wirtschaft. Der Verbandsvorsitzende Markus Jerger bezeichnet das Fachkräfteeinwanderungsgesetz als nicht ausreichend. Es bräuchte 400.000 qualifizierte Zuwanderungen im Jahr, um das wirtschaftliche Niveau halten zu können. Vor allem der Prozess der Anerkennung von im Ausland erworbenen Berufsabschlüssen müsse verbessert werden.
Lenke Simon von der Migrationsorganisation "Club Dialog" in Berlin teilt diese Ansicht. Sie koordiniert das Projekt "Fachkräftesicherung für Berlin" und berät Unternehmen auf der Suche nach Fachkräften aus dem Ausland. Nach eigenen Angaben hat sie bereits über 60 Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern weitergeholfen. Der Beratungsbedarf ist offenbar groß. Ihr Eindruck aus den vielen Gesprächen ist, dass der Faktor Mensch aus dem Fokus gerückt sei.
"Ebenso wenig wie früher Gastarbeiter lediglich nur Gäste und Arbeiter waren, so sind die heutigen Fachkräfte auch nicht nur Fächer und Kräfte. Der Mensch besteht ja nicht nur aus Qualifikationen", sagt Simon.
Türen öffnen
Die Bundesregierung will nachbessern. "Wer etwas kann, für den wollen wir die Tür öffnen", heißt es. Zukünftig sollen also nicht nur Zertifikate zählen, sondern auch die Berufserfahrungen bei Bewerbungen aus dem Ausland, wie Mexiko oder Indien. Gute Vorschläge, findet Lenke Simon vom "Dialog Club", allerdings bleibt für sie die Bürokratie der entscheidende "Flaschenhals". Die Verwaltungen könnten den Andrang momentan nicht bewältigen, denn das komplizierte Gesetz führe zu Verständnis- und Umsetzungsschwierigkeiten.
Auch die deutsche Industrie und Handelskammer kritisiert die administrativen Prozesse. Sie fordert unter anderem zentrale Ausländerbehörden in allen Ländern sowie klare Rollenaufteilungen der zuständigen Behörden untereinander. Nur so könne das Gesetz wirken. Es ist also noch viel zu tun für ein modernes Fachkräfteeinwanderungsgesetz. Auch die Grünen betonen gegenüber dem ARD-Hauptstadtstudio, dass es eine langfristige Gesamtstrategie brauche. Diese würde nun mit den Ampelpartnern ausgearbeitet.