Datendiebstahl Nur wenig Hilfe bei digitaler Gewalt
"Doxing" heißt die perfide Masche, andere im Netz bloßzustellen: durch die Veröffentlichung privater Daten und gefakter Informationen. Oft trifft es Frauen. Polizei und Strafverfolgung sind überfordert, zeigen Recherchen des Y-Kollektiv.
Mitten in der Nacht wird Jannas Handy mit Nachrichten von Unbekannten geflutet. Kurze Zeit später klingelt es an ihrer Wohnungstür: Dort stehen fremde Menschen, die bei Janna zuhause Party machen wollen.
Die Berlinerin ist Opfer von "Doxing" geworden: Ein Unbekannter hat über den Messengerdienst Telegram Jannas Adresse und Telefonnummer verbreitet und zu einer vermeintlichen Party bei ihr eingeladen - augenscheinlich, um ihr bewusst Angst zu machen. Der Plan geht auf, denn Janna fühlt sich plötzlich in ihrer eigenen Wohnung bedroht, bekommt Panik und verschanzt sich in ihrem Schlafzimmer.
Als sie am nächsten Tag zur Polizei geht und Anzeige erstattet, wird kurz darauf das Verfahren eingestellt. Es sei nicht zu erwarten, dass der Messenger Telegram die nötigen Daten zur Verfügung stelle, um den Täter zu ermitteln, schreibt ihr die Amtsanwaltschaft Berlin.
Niedrige Aufklärungsquote
Obwohl "Doxing", also das gefährdende Verbreiten von personenbezogenen Daten seit 2019 strafbar ist, haben Täter nur selten mit Konsequenzen zu rechnen. Von allen erfassten Straftaten im Internet wurden lediglich 29 Prozent aufgeklärt, das geht aus der Polizeilichen Kriminalstatistik von 2022 hervor. In der analogen Welt ist die Aufklärungsquote hingegen mehr als doppelt so hoch.
Digitale Ermittlungen seien herausfordernd, weil die Spuren teilweise besonders flüchtig seien, erklärt Dirk Kunze, Leiter der Cybercrime-Ermittlungen im Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen. Da personenbezogene Daten wie zum Beispiel die IP-Adresse von Telekommunikationsanbietern in Deutschland nach sieben Tagen gelöscht werden, müssen vor allem Ermittlungsbehörden in solchen Fällen besonders schnell handeln. Abfragen von Nutzerdaten bei Messenger-Diensten wie Telegram sollten trotzdem nicht zwingend von Erfolgsaussichten abhängig sein, empfiehlt Kunze.
Gesetzesvorhaben bereits in der Kritik
Eigentlich soll das "Gesetz gegen digitale Gewalt", das schon im Koalitionsvertrag 2021 Erwähnung findet, Ermittlungen im Internet leichter machen. Das Eckpunktepapier aus dem Bundesjustizministerium unter FDP-Politiker Marco Buschmann zieht beispielsweise ein "Einfrieren" personenbezogener Daten in Erwägung, wenn der Verdacht auf eine Straftat vorliegt. Solche Überlegungen werden von Datenschützern jedoch kritisiert, die darin eine Bedrohung für die Meinungsfreiheit sehen.
Auch die Organisation "HateAid", die sich für Betroffene von digitaler Gewalt einsetzt, übt Kritik am Eckpunktepapier des Justizministeriums und fordert vor allem eine Beschleunigung der Verfahren bei digitaler Gewalt. Bei einer Protestaktion vor dem Reichstagsgebäude im November 2023 hatte "HateAid" außerdem beklagt, dass Betroffene durch die Strafverfolgung vor enorme Hürden gestellt würden, zum Beispiel durch ein hohes finanzielles Risiko für Klägerinnen und Kläger im Laufe von Zivilprozessen. Es fehle aber auch an Sensibilisierung für digitale Gewalt auf den Polizeidienststellen, so "HateAid".
Ermittlungserfolg ist Ländersache
Die Recherchen des Y-Kollektiv zeigen, dass es vor allem von Bundesland zu Bundesland Unterschiede gibt, wie im digitalen Raum mit Straftaten umgegangen wird. So hat Bayern mit Teresa Ott bei der Generalstaatsanwaltschaft München als erstes Bundesland eine Hate-Speech-Beauftragte, die sich nur um Strafverfolgung in diesem Bereich kümmert. Mittlerweile gebe es auf jeder Polizeidienststelle in Bayern Beamte, die für Hasskriminalität im Netz geschult seien, so Ott.
Dennoch bittet Ott im Interview mit dem Y-Kollektiv um Nachsicht: "Es gibt da wahnsinnig viel zu tun, und ich sehe die Probleme auch." Es lasse sich nicht alles von einem Tag auf den anderen ändern, da es der Strafverfolgung bei neuen Gesetzen auch an Erfahrungswerten fehle, so die Hate-Speech-Beauftragte.
Die Geschäftsführerinnen von "HateAid", Josephine Ballon und Anna-Lena von Hodenberg, präsentieren vor dem Bundestag gemeinsam mit der SPD-Politikerin Sawsan Chebli ihre Aktion.
Milde Strafen für Täter
Im Zuge der Recherchen meldete sich auch ein ehemaliger "Doxer", der intime Bilder und private Daten einer Frau auf einer einschlägigen Plattform verbreitete - das belegen Gerichtsunterlagen, die dem Y-Kollektiv vorliegen. Er berichtet von einer Szene aus "Doxern", die von Frauenhass getränkt sei.
Im Interview mit dem Y-Kollektiv bewertet er seine Verurteilung als zu milde. Die Betreiber des Forums, in dem er private Daten geteilt hat, distanzieren sich auf Nachfrage von ihren Usern. Dennoch werden dort weiterhin private Daten von Frauen geteilt.
Anzeigen können wichtiges Mittel sein
Janna, deren Adresse und Handynummer über Telegram verbreitet wurden, hatte sich von ihrer Anzeige bei der Polizei mehr erhofft. Über Wochen hinweg hatte sie mit den Folgen des "Doxings" zu kämpfen und fühlte sich in der eigenen Wohnung nicht mehr sicher.
Trotz solcher negativen Erfahrungen mit Ermittlungsbehörden sei es wichtig, Anzeige zu erstatten, erklärt "HateAid". Denn nur so fließen die Fälle von digitaler Gewalt auch in die Kriminalstatistik ein. Und Behörden werden weiter für Straftaten im Netz sensibilisiert.
Die gesamte Dokumentation "Nackt gemacht im Netz - Lügen, Hass und Datendiebstahl" des Y-Kollektiv gibt es in der ARD-Mediathek.