Tiefster Stand seit 2009 Geburtenrate in Deutschland deutlich gesunken
Frauen in Deutschland bekommen laut Statistik so wenige Kinder wie seit 2009 nicht mehr. Ein Grund dafür könnten die zahlreichen Krisen auf der Welt sein. Unklar ist, ob es sich um einen längerfristigen Trend handelt.
Die Geburtenrate in Deutschland ist auf den tiefsten Stand seit 2009 gefallen. Das geht aus einer neuen Veröffentlichung des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) und der Universität Stockholm in der internationalen Fachzeitschrift "European Journal of Population" hervor. Grundlage sind Berechnungen der monatlichen Geburtenzahlen.
Demnach betrug das so bezeichnete Fertilitätsniveau im Herbst 2023 nach vorläufigen Berechnungen 1,36 Kinder pro Frau. 2021 waren es noch 1,57 Kinder pro Frau gewesen. Dies sei eine ungewöhnlich starke Entwicklung, in der Vergangenheit hätten sich Phasen sinkender Geburtenraten eher langsamer vollzogen, teilten die BiB-Statistiker mit.
Nachdem die Geburtenrate in Deutschland in der Corona-Pandemie nach Angaben des BiB zunächst stabil geblieben war, sank sie im weiteren Krisenverlauf ab Januar 2022 auf 1,4 und erholte sich im Sommer 2022 wieder auf 1,5 Kinder pro Frau. 2023 sei die Geburtenrate dann erneut weiter abgesunken - auf ihr tiefstes Niveau seit 14 Jahren.
Experten: Krisen verantwortlich
Der abrupte Einbruch der Zahlen im Januar 2022 könnte mit der beginnenden Impfkampagne gegen das Coronavirus neun Monate zuvor zu tun haben. Laut der Bevölkerungsforscher könne es sein, dass viele Frauen angesichts der damals für Schwangere nicht zugelassenen Impfstoffe den Kinderwunsch aufgeschoben hätten, um sich erst impfen zu lassen.
Für den Rückgang der Geburtenzahlen ab Herbst 2022 machen die Experten wiederum die zahlreichen Krisen verantwortlich: "Der Krieg in der Ukraine, die gestiegene Inflation oder auch der fortschreitende Klimawandel haben die Menschen zusätzlich zur Pandemie verunsichert", Martin Bujard vom BiB, Co-Autor der Studie. In einer Zeit multipler Krisen würden viele Menschen ihren Kinderwunsch nicht umsetzen.
"No-win-Situation" für Frauen
Eine Einschätzung, die das Bundesfamilienministerium teilt: "Die Post-Corona-Zeit sowie die aktuellen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Krisen verlangen den Menschen viel ab", sagte eine Sprecherin der Zeitung "Welt". Umso wichtiger sei es, Familien bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf und durch eine flächendeckende Kinderbetreuung zu unterstützen. Auch die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin, Jutta Allmendiger, sprach im Zusammenhang mit der zunehmend erschwerten Vereinbarkeit von Kindern und Karriere von einer "no-win-Situation" für Frauen. Die gesunkene Geburtenrate lasse vermuten, wo Frauen für sich die Lösung dieses Dilemmas sehen.
Silvia Breher (CDU), familienpolitische Sprecherin der Unionsfraktion, sieht die Verantwortung für die Entwicklung bei der Bundesregierung: Der Absturz der Geburtenrate verdeutliche, dass das Vertrauen der Familien in Politik massiv verloren gegangen sei, sagte sie der "Welt". Wichtige familienpolitische Maßnahmen würden einfach aufgekündigt, Reformprojekte wie die Ganztagsbetreuung im Grundschulalter dauerten ewig. Mit dieser "undurchdachten und ideologisch geprägten Gesellschaftspolitik" würde es nicht gelingen, den Familien Vertrauen zurückzugeben, so Breher.
Zeichnet sich neuer Trend ab?
Inwiefern die neuen Zahlen bereits einen generellen Trend zu sinkenden Geburtenzahlen in Deutschland einleiten oder ob sie nur einen temporären Effekt abbilden, ist derzeit für die Experten noch nicht absehbar.
Die Geburtenrate in der Bundesrepublik pendelte nach Angaben des BiB bereits seit 1975 für rund vier Jahrzehnte im Bereich zwischen 1,2 und 1,4 Kindern pro Frau. Damit gehörte es lange Zeit zu den niedrigsten in Europa. Von 2015 bis 2021 lag es dann deutlich höher, mit Werten zwischen 1,5 und 1,6. Dieser Anstieg werde mit familienpolitischen Reformen wie dem Elterngeld und dem Ausbau der Kindertagesbetreuung in Verbindung gebracht. Auch die gestiegene Zahl von Frauen mit Migrationshintergrund in Deutschland spiele eine Rolle: Diese bekommen im Mittel mehr Kinder, wenn sie noch nicht lange in Deutschland leben.