Neuer Coronavirus-Subtyp Was über BA.2.75 bekannt ist
In Indien wurde im Juni eine neue Corona-Subvariante entdeckt. Noch ist die Datenlage dünn, doch BA.2.75 könnte auch in Deutschland relevant werden. Was ist über die Subvariante bekannt?
Die Omikron-Subvariante mit der Bezeichnung BA.2.75 wurde zunächst in Indien entdeckt. Nun hat man sie auch in Europa nachweisen können. Und auch in Ländern wie Kanada, Australien, Neuseeland und Großbritannien sind bereits Einzelfälle von BA.2.75 aufgetreten.
Was ist über die Verbreitung der Subvariante BA.2.75 bekannt?
Bislang wurden in Deutschland laut Robert Koch-Institut (RKI) drei Fälle der BA.2.75-Subvariante bestätigt. Allerdings werden in Deutschland relativ wenige PCR-Tests sequenziert. Daher können Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler noch nicht sagen, wie schnell sich diese Subvariante in Deutschland verbreitet.
Die genauen Daten der Sequenzierungsergebnisse vom RKI würden zudem immer eine Verzögerung von rund vier Wochen aufweisen, sagt der Virologe Manuel Krone von der Uniklinik Würzburg. Der Molekularbiologe Ulrich Elling von der Österreichischen Akademie ist für die Sequenzierungs-Überwachung in ganz Österreich verantwortlich und hat in einem Twitter-Post auf die mögliche Gefahr durch BA.2.75 hingewiesen.
In einem Interview mit dem SWR erklärt Elling, dass weltweit erst wenige BA.2.75-Fälle nachgewiesen sind. Bei den geringen Fallzahlen müsse man jedoch beachten, wie wenig Sequenzierungen es in den Ländern gibt. Daher seien kaum Daten über die neue Corona-Subvariante vorhanden. Elling beobachtet die Situation in Indien sehr genau. Dort wurde BA.2.75 bereits in mehreren Regionen nachgewiesen. Bisher gab es in Indien 213 nachgewiesene Fälle. Der Molekularbiologe geht dabei allerdings von einer hohen Dunkelziffer aus.
Wie gefährlich ist BA.2.75?
Es ist noch zu früh, die Bedrohung durch die neue Omikron-Variante BA.2.75 einzuschätzen. Richard Neher vom Biozentrum Basel betont die dünne Datenlage. Auch andere Expertinnen und Experten verweisen darauf, dass man über die Gefährlichkeit der Variante im Moment nur spekulieren könne. Bisher sei jedoch kein schwererer Krankheitsverlauf als bei BA.2 und BA.5 bekannt.
Stehen neue Formen unter einer verschärften Beobachtung werden sie als "variant of interest" (VOI, unter Beobachtung stehende Variante) eingestuft. Virusvarianten der sich durchsetzenden Mutationen, welche entweder leichter übertragen werden oder das Immunsystem umgehen, bekommen die Bezeichnung "variant of concern" (VOC, besorgniserregende Variante). BA.2.75 wird vom RKI und der WHO bisher zu keiner dieser Gruppen zugeteilt. Die Omikron-Linie wird jedoch generell als eine "variant of concern" angesehen.
Wie unterscheidet sich BA.2.75 von anderen Varianten?
BA.2.75 macht im Namen schon deutlich, dass es sich um eine BA2-Linie handelt und wahrscheinlich auch aus diesem Virustyp entstanden ist. Die Omikron-Varianten fangen mit Buchstaben "BA." an und werden, wenn sie als eigenständige Subvarianten angesehen werden, hochgezählt. Also: BA.1, BA.2, BA.3, BA.4, BA.5. Die Variante BA.2.75 wird nicht als eigenständige Subvariante gezählt, sondern ist die 75. Subsubvariante der Subvariante BA.2.
Die BA2-Variante habe sich noch um mehrere Mutationen erweitert, erklärt Ulrich Elling. Die Omikron-Untervariante BA.5 unterscheidet sich von BA.2 mit drei Mutationen auf dem Spike-Protein. Schon diese Diskrepanz reichte aus, dass sich die Variante rasch durchsetzen konnte. BA.2.75 hat elf neue Mutationen, acht davon am Spike-Protein. Diese Veränderungen könnten Reinfektionen erleichtern: "Die elf Mutationen, in denen sich BA.5 und BA.2.75 unterscheiden, könnten eine weitere Welle ermöglichen, da die Immunität von BA.2 und BA.5 möglicherweise nicht schützt", spekuliert der Molekularbiologe Ulrich Elling.
Der Virologe Krone wie auch die Virologin Isabella Eckerle gehen davon aus, dass gängige PCR-Tests auch Infektionen mit der BA 2.75 Subvariante zuverlässig nachweisen können.
Warum kann sich die Variante in Indien so gut durchsetzen?
Es gibt Vermutungen, dass die schnelle Verbreitung in Indien daran liegt, dass die Variante BA.2.75 auch für bereits an BA.2 erkrankte Personen ansteckend ist. Elling erklärt: "In jedem Land hat sich inzwischen eine sozusagen landestypische Immunität gebildet." So zeigte sich in Südafrika eine sehr starke BA.1-Welle. Im südafrikanischen Kontext schaffte es die BA.5-Variante, den Immunschutz von BA.1 umgehen. Indien kämpfte dagegen mit der BA.2-Welle. Ob BA.2.75 den Schutz von BA.2 umgeht, wäre gerade in Deutschland auch relevant. Deutschland hat neben einer starken BA.1-Welle vor allem auch eine sehr starke BA.2-Welle erlebt.
Welche Variante stellt in Deutschland die größte Bedrohung dar?
Sorgen machen sich die Experten zurzeit vor allem um die BA.5-Welle. Sie ist hierzulande aktuell für die meisten Corona-Infektionen verantwortlich und die Experten gehen von einer sehr hohen Dunkelziffer aus. Viele Forscherinnen und Forscher erwarten, dass die Omikon-BA.5-Variante die primäre Bedrohung bleiben und sich weiter ausbreiten wird.
Modellrechnungen stützen die Annahme, dass sich die Sommerwelle nicht so einfach vertreiben lassen wird. Welche Rolle die Subvariante BA.2.75 spielen, und wie viel Einfluss sie nehmen könnte, ist schwer zu prognostizieren. Denn es muss nicht sein, dass sich eine der Subvarianten durchsetzt, möglich ist auch eine Koexistenz. Dieses Szenario hält der Molekularbiologe Elling für denkbar: "Es könnte auch dazu kommen, dass beide Varianten eine Koexistenz eingehen, also nebeneinander existieren."
Was bedeuten die Mutationen für die Anpassung der Impfstoffe?
"Das Frustrierende ist, unsere Anpassung an das Virus funktioniert viel langsamer als die Anpassung des Virus an unsere Immunität", betont der Molekularbiologe Elling. Die schnellen Mutationen sind nicht einzuholen.
Die auf Omikron angepassten Impfstoffe, die sich gerade in den sogenannten Rolling Review-Verfahren bei der EMA befinden, sowohl von BioNTech als auch von Moderna, sind primär auf die BA.1-Variante angepasst gewesen. Eine BA.1-Infektion schützt jedoch wenig vor einer Infektion mit BA.5. Das heißt, "wir können uns schwer mit dem B1-Impfstoff vor dem Subtyp BA5 bewahren", erklärt Ulrich Elling.
Wenn ein neuer Impfstoff ausgerollt ist, entstehen schon wieder neue Varianten, wie jetzt BA.2.75. Die hier vorkommenden elf Mutationen stellen den Impfstoff wieder vor neue Herausforderungen. Es sei, so Elling, also nicht möglich, die Wellen direkt zu verhindern, man könne nur weiter versuchen die Immunität, also den Schutz vor schweren Verläufen, stabil zu halten.
Der Virologe Krone macht deutlich, dass bei den Impfungen zwischen verschiedenen Zielen unterschieden werden müsse. Es gebe das Impfziel: Erkrankung verhindern, Hospitalisierung und Tod verhindern. Das andere Ziel sei, die Verbreitung zu stoppen. Der Impfstoff, welcher ursprünglich auf das Wildtyp des Coronavirus angepasst war, hat erstmal alle dieser Impfziele erfüllt. Bei der Omikron-Linie ist die Impfung zwar weiterhin in der Lage, gut vor Tod, schweren Verläufen und Hospitalisierung zu schützten, jedoch nur eingeschränkt gegen Infektion, gegen Erkrankungen und gegen Weiterverbreitung.
Gibt es Alternativen zu den klassischen Impfstoffen?
Elling erwähnt, dass man eine Möglichkeit in alternativen Impfformen sieht. An der Kombination aus neuen Impfstoffen und Medikamenten wird weiter intensiv geforscht. Auch ein Nasenspray könnte hier ein neuer Ansatz sein. Es handelt sich hier um eine physikalische Barriere um einer Infektion vorzubeugen.
Tübinger Forscher sind dabei, einen speziellen Corona-Impfstoff für Immungeschwächte zu entwickeln. Bei den aktuell zugelassenen Impfstoffen wird das Immunsystem nur mit Teilen des Spike-Proteins, also mit den Corona-Stacheln, trainiert. Der Tübinger Impfstoff besteht aus insgesamt sechs Proteinen des Coronavirus und könnte somit eine breitere Immunantwort des Körpers hervorrufen, die möglicherweise auch besser vor einer Infektion mit neuen Varianten schützt.
Durch die Impfungen und Infektionen sei, so Krone, bereits eine gute Immunität in der Bevölkerung aufgebaut worden, welche sich hoffentlich auch durch Subvariante BA.2.75 und ihren mutierten Spike-Proteine nicht einschüchtern lässt.
Auch wenn die Datenlage insgesamt noch sehr dünn ist, gibt es Hinweise darauf, dass BA.2.75 also durchaus das Potenzial hat, sich durchzusetzen.