Oswald Egger Ein Wanderer zwischen den Worten und Orten
Oswald Egger erhält in diesem Jahr den renommierten Georg-Büchner-Preis. Der Südtiroler Schriftsteller und Dichter verbindet Kunst und Sprache, kreiert neue Worte und kennt dabei weder künstlerische noch geographische Grenzen.
In der Mitte des Zimmers entspringt ein Fluss: An Oswald Eggers Schreibtischen - er besitzt mehrere - beginnt der sagenumwobene und unbezähmte Mississippi, Gestalt anzunehmen. "Ich beginne am Quellkopf der Novella, die aus dem Moiré der Erinnerungen fließt: Ein fortschreitend oskulierendes Wogengewölle zwischen Grund und Ungrund, Strudelungen, Zerstreuungen und Häufungen", schreibt Egger in seinem 2021 erschienenen Buch "Entweder ich habe die Fahrt am Mississippi nur geträumt oder ich träume jetzt".
Ein Buch, das kurz nach der Coronazeit erschien, in der das Reisen für viele nur im Kopf möglich war. Und ein Buch, das man als Gesamtkunstwerk bezeichnen kann. Denn Egger hat nicht nur die Verse geschrieben, in denen er den Mississippi hinunterfährt. Auch die Aquarellbilder des Flusses, die in dem Buch zu sehen sind, hat er selbst gestaltet. Flussverläufe in beruhigendem Blau, die sich immer mehr in der Landschaft verteilen und Strudel von farbenfrohen wilden Wellenlinien.
Der mit 50.000 Euro dotierte Preis soll am 2. November im Staatstheater Darmstadt verliehen werden. Er zählt zu den wichtigsten literarischen Auszeichnungen im deutschsprachigen Raum.
Seit 1951 vergibt die Akademie den Preis an Schriftstellerinnen und Schriftsteller, die in deutscher Sprache schreiben. Die Preisträger müssen «durch ihre Arbeiten und Werke in besonderem Maße hervortreten" und "an der Gestaltung des gegenwärtigen deutschen Kulturlebens wesentlichen Anteil haben", heißt es in der Satzung. Der Preis wird vom Bund, dem Land Hessen und der Stadt Darmstadt finanziert.
Verbindung von Kunst und Sprache
"Sprache und Gestalt", so heißt die Professur, die Oswald Egger seit 2011 an der Kieler Muthesius Kunsthochschule innehat, und beides gehört für ihn untrennbar zusammen. "Man wird anhand von Darstellungsformen und Zeichnungen durch die Bücher geführt, die dabei selbst schon eine Handlung sind", so beschreibt er es im Gespräch mit NDR Kultur.
Schon in seinen früheren Büchern wie "Nichts, das ist" oder "Diskrete Stetigkeit" finden sich neben Gedichtzeilen auch kleine Skizzen, geometrische Formeln oder Formen. Auch seinen Gedichten liegen oft mathematische Modelle zugrunde: "Was ist - ein Gedicht? Ein Kreis, dessen Zentrum überall ist?" liest man bei ihm. Genauso wie philosophische Überlegungen. Denn Schreiben ist für ihn immer auch Nachdenken über das Schreiben.
Neben dieser Verbindung von Kunst und Sprache sind es vor allem seine Naturbeschreibungen, für die Oswald Egger bekannt ist. Der Lyriker Michael Braun hat einmal davon gesprochen, dass Egger damit versuche, der Biosphäre selbst eine Stimme und eine Sprache zu geben - ein Ansinnen, das in Zeiten einer zunehmenden Entfremdung der Menschen von der Natur auch eine hohe Aktualität besitzt.
Eigene Wortkreationen
Für diese Natursprache verwendet Egger eigene Wortkreationen, statt auf Reime setzt er auf Lautmalerei. "Brut-Butten überschimmern im Duftreif /von Nachtfrostrosen ("Lohde-Wolken"), Graubfäden / und Weißklebernetzen vom Flor-vorhangenden / Decor (stiebender Blüten)", heißt es in dem Gedicht "Unblumen".
Und in seinem Band "Val di Non", einer Hymne an die Berge seiner Südtiroler Heimat, finden sich "riffelige Spülfurchen", "Flyschdisteln, Schlampamper und Kalmblasen". Pflanzen, von denen offenbleibt, ob es sie gibt, die aber durch ihren Klang dennoch ein Bild im Kopf erzeugen.
"Manchmal fällt es leichter, etwas zu verstehen, wenn man sich klarmacht, was es nicht ist", heißt es bei Egger. Die Vorsilbe "Un-" findet sich daher bei ihm häufig: "Unblumen", der "Ungrund des Mississippi". Gleichzeitig stellt Egger die Natur so auf Augenhöhe zum Menschen. Es ist nicht die Natur, die wir uns geschaffen und selbst erklärt haben, sondern ihr wohnt etwas Urtümliches, Archaisches inne, das sich der Beschreibung widersetzt.
Ruf als herausragender Lyriker
In einer solchen Berglandschaft ist Oswald Egger aufgewachsen. Geboren wurde er 1963 im kleinen Ort Tscherms in Südtirol. Schon als junger Mann gab er dort eine Literaturzeitschrift heraus, hauptsächlich mit Gedichten. "Da war kein Plan, dass ich als junger Mann gesagt hätte, ich will solche Bücher machen, sondern es hat sich Buch für Buch entwickelt", sagt Egger.
Buch für Buch entwickelte sich auch sein Ruf als herausragender Lyriker. Seine Gedichte wurden in mehrere Sprachen übersetzt, im Jahr 2000 erhielt Egger den renommierten Clemens-Brentano-Preis und 2007 den Peter-Huchel-Preis, den vielleicht wichtigsten Preis für deutschsprachige Lyrik.
Das Dorf hat er längst verlassen. Inzwischen lebt Egger in Wien und auf der ehemaligen Raketenstation Hombroich bei Neuss, wo er für die Stiftung Insel Hombroich das Literaturprogramm gestaltet.
Er sei ein Wanderer zwischen den Worten und Orten, sagt Egger bei NDR Kultur. Dabei kennt er keine Grenzen, weder künstlerische noch geographische. Denn das ist der große Zauber der Poesie: Dass sich dank ihr auch in einem kleinen Zimmer die ganze große Welt des Mississippi erleben lässt.