Interview mit Hausärzteverband "Jeder, der will, sollte geimpft werden"
Bis Ende des Monats dürften die ersten beiden Priorisierungsgruppen gegen Corona geimpft sein. Dann sollte die Impfreihenfolge aufgegeben werden, fordert Armin Beck vom Deutschen Hausärzteverband im Gespräch mit tagesschau.de.
tagesschau.de: Die Impfreihenfolge wurde nach wissenschaftlichen und ethischen Kriterien erstellt, warum sollte diese jetzt geändert oder aufgeweicht werden?
Armin Beck: Noch ist sie ja nicht aufgeweicht, sondern das ist ja erst in der Debatte. Für uns ist klar, dass die Prioritätsgruppen eins und zwei absoluten Vorrang haben. Also Ältere oder besonders Gefährdete wie beispielsweise Menschen, die gerade eine Chemotherapie machen. Wir hoffen aber, dass wir bis Ende des Monats diese beiden Gruppen durchgeimpft haben.
Und wenn es dann auch noch ausreichend Impfstoff gibt, ist es doch vollkommen sinnlos, an irgendwelchen Priorisierungsgruppen festzuhalten. Statt einen enormen bürokratischen Aufwand zu betreiben, müsste es dann doch heißen: Feuer frei - jeder, der geimpft werden will, wird geimpft.
tagesschau.de: Birgt das nicht die Gefahr, dass einige besonders Gefährdete - beispielsweise aus eher bildungsfernen Bereichen der Gesellschaft - durchs Raster fallen? Weil sie nicht einschätzen können, wann sie dran wären, impfskeptisch sind oder wegen Sprachproblemen.
Beck: Das ist doch eher eine Frage der richtigen Kommunikation. Und es wäre dann doch auch Aufgabe der Bundes- und Landesregierung, den Menschen zu erklären, dass sich nun jeder impfen lassen kann, der möchte. Neben uns Hausärzten könnte man ja auch Fach- und Betriebsärzte in das Impfprogramm einbinden. Damit würde man doch sehr viele Menschen erreichen können.
Armin Beck ist Vorsitzender des Hausärzteverbands Hessen und Mitglied im Bundesvorstand des Deutschen Hausärzteverbands. Der Allgemeinmediziner führt eine Praxis in Hofheim.
Sie können sich gar nicht vorstellen, wie viel Zeit wir derzeit mit Bürokratie verbringen. Allein in meiner Praxis haben wir gerade eine Liste mit 16 DIN-A4-Seiten mit Namen, die wir abarbeiten. Das sind locker 500 Menschen, die wir jetzt einladen, das frisst enorme Kapazitäten.
tagesschau.de: Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Bayern und Berlin sind ja nun vorgeprescht und haben die Impfreihenfolge aufgehoben, allerdings nur für AstraZeneca. Ein Schritt in die richtige Richtung?
Beck: Aus meiner Sicht absolut. Weil in den Impfzentren jetzt nicht mehr umständlich eingeladen werden muss, sondern die Menschen einfach kommen können. Das macht es doch deutlich einfacher. Und vor allem kommen wir so mit den Impfungen deutlich schneller voran.
tagesschau.de: Aber ist das nicht ungerecht und fördert den Impfneid? Darf man dann zum Impfen in ein anderes Bundesland?
Beck: Das ist ja eher eine juristische Frage, die ich nicht final beantworten kann. Aber es gibt ja auch keinen Grund, warum andere Bundesländer nicht diesem Beispiel folgen sollten. Wir haben bei uns in der Praxis auch tagtäglich mit dem Imageproblem von AstraZeneca zu kämpfen - obwohl es ein sicherer und guter Impfstoff ist. Das Risiko einer schweren Nebenwirkung ist viel geringer als das Risiko, sich mit dem Coronavirus zu infizieren und dann womöglich schwer zu erkranken.
Aber es macht doch wenig Sinn, dass wir erst viel kostbare Zeit und Ressourcen aufwenden, um die Menschen einzuladen und zu beraten - und sie die Impfung dann doch ablehnen. Dann sollen doch lieber all jene kommen, die sich impfen lassen wollen. Das ist ein Schritt in die Richtung und ich hoffe, dass die anderen Bundesländer folgen.
tagesschau.de: Die Infektionszahlen von Kindern und Jugendlichen steigen gerade stark an, weil sie in Schulen und Kitas besonders viele Kontakte haben. Sollten daher nicht auch Eltern bei Impfungen vorgezogen werden?
Beck: Dieser Punkt würde sich ja mit einer Aufhebung der Impfreihenfolge erledigen. Wenn die besonders gefährdeten Gruppen hoffentlich bald geimpft sind, dann sollte sich jeder impfen lassen können, der will. Andere Länder sind da pragmatischer als wir. Denn es geht jetzt darum, möglichst schnell möglichst viele Menschen zu impfen. Nur so können wir die Pandemie in den Griff bekommen.