Corona-Impfungen Was steckt hinter dem AstraZeneca-Stopp?
Welche Thrombosen sind im zeitlichen Zusammenhang mit AstraZeneca aufgefallen? Wie bewerten Wissenschaftler das Risiko? Und welche Folgen hat dies für die Impfstrategie? Wichtige Antworten zum vorläufigen Impfstopp im Überblick.
Warum wird das Impfen mit AstraZeneca vorläufig ausgesetzt?
Der Grund für das Aussetzen des Impfstoffes sind sieben Fälle einer speziellen Form von Thrombose, die in zeitlichem Zusammenhang mit einer AstraZeneca-Impfung entstanden sind, so der Chef des Paul-Ehrlich-Instituts Klaus Cichutek in den tagesthemen. Es sei ein gutes Signal für die Impfwilligen, so Cichutek, "dass wir wachsam sind, dass wir genau aufpassen und selbst bei kleinsten Signalen gucken, dass wir diese analysieren bevor die Impfungen einfach weitergehen."
Ob die Probleme tatsächlich auf die Impfung zurückgehen könnten und warum sie nur das AstraZeneca-Präparat und nicht die anderen Impfstoffe betreffen sollten, ist bisher unklar.
Um welche Art Thrombose handelt es sich?
Sinusvenenthrombosen sind Blutgerinnsel in Venen im Gehirn, die Blut aus dem Gehirn abführen. Symptome können Kopfschmerzen, aber auch epileptische Anfälle, Lähmungen oder Sprachstörungen sein.
Die Blutgerinnsel in den Hirnvenen seien laut Mitteilung des Paul-Ehrlich-Instituts zusammen mit einer Thrombozytopenie aufgetreten, also einem Mangel an Blutplättchen. Blutplättchen sind mit zuständig für die Blutgerinnung.
Ein Mangel an Blutplättchen führt zu einer erhöhten Blutungsneigung. Als Symptome treten unter anderem punktförmige Einblutungen in die Haut oder Schleimhäute auf, auch starkes Nasenbluten ist möglich.
Peter Berlit, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), sagte dem Science Media Center, dass Frauen häufiger als Männer betroffen seien. Wahrscheinlich spielten Hormone eine Rolle. In der späten Schwangerschaft, im Wochenbett und bei Frauen, die die Antibabypille einnehmen, würden die Mediziner die Sinusvenenthrombosen am häufigsten sehen.
Wie oft kommen solche Thrombosen vor?
Etwa einmal pro 100.000 Einwohner und Jahr, so Berlit würden diese Sinusvenenthrombosen auftreten. Das würde bedeuten, die jährliche Inzidenz liegt bei rund 1 auf 100.000. So häufig würden Ärzte das Krankheitsbild in neurologischen Kliniken sehen.
Bei 1,6 Millionen Geimpften in Deutschland entsprächen sieben Fälle insgesamt circa vier Fällen pro einer Million Geimpfter seit Start der Impfungen Anfang Februar.
Im Vereinigten Königreich sind bisher drei Fälle einer Sinusvenenthrombose registriert worden bei insgesamt mehr als elf Millionen verimpften Dosen.
Was sagen Wissenschaftler und Politiker zu der Entscheidung?
SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach sprach im ARD-Morgenmagazin von einer "sehr unglücklichen Entscheidung". Zwar sei das Risiko der beobachteten Thrombosen in Hirnvenen "mit großer Wahrscheinlichkeit" auf das Vakzin zurückzuführen. Es sei aber sehr gering, vor allem im Vergleich mit der Erkrankung Covid-19, die gerade bei Älteren "sehr sehr häufig tödlich verläuft."
Berlit erklärte, dass Nebenwirkungen von Impfungen dadurch auftreten könnten, dass das Immunsystem zu viel oder an nicht gewünschter Stelle reagiere. "Einen ursächlichen Zusammenhang zwischen einem Symptom und einer Impfung herzustellen oder zu belegen, ist immer ganz, ganz schwierig."
Für Stephan Becker, Leiter des Instituts für Virologie an der Philipps-Universität in Marburg, kam die Entscheidung des Paul-Ehrlich-Institut überraschend. Er sagte dem Science Media Center, es müsse jetzt weiter untersucht werden, ob tatsächlich ein Zusammenhang bestehe. Das sei eine sehr unglückliche Situation, aber wenn so ein Verdacht im Raum stehe, dann müsse dem nachgegangen werden und solange müsse die Impfung angehalten werden.
Was bedeutet das für die Impfstrategie der Länder?
Etwa 19 Millionen Dosen des Impfstoffs von AstraZeneca sollen bis zum Sommer in Deutschland verimpft werden. Dieses Aussetzen der Impfungen sei ein Schlag ins Kontor gewesen, sagte Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil im NDR. Es sei ein herber Rückschlag, weil das Präparat ein Viertel aller Impfungen in Niedersachsen ausmache, betonte Weil. "Das wirft uns zurück."
Unter anderem könne man nun auch nicht mehr garantieren, dass die Hausärzte Mitte April in die Verabreichung der Impfdosen integriert würden. Von daher wünsche er sich eine schnelle Klärung, so der Ministerpräsident.
Hamburg hat seine Impforganisation umgestellt. Ab morgen, so die Gesundheitsbehörde könnten wieder alle vereinbarten Termine wahrgenommen werden. Um die Termine halten zu können, sollen die zurückgestellten Reserven anderer Impfstoffe genutzt, die Zeitabstände zwischen den zwei Impfdosen ausgeschöpft und die Freischaltung neuer Termine bis auf Weiteres gestoppt werden.
Warum halten WHO und EMA weiter an AstraZeneca fest?
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) sieht derzeit kein Alarmzeichen. WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus sagte in Genf, die Vorfälle seien nicht notwendigerweise aufs Impfen zurückzuführen. "Es ist eine Routine-Praxis, das zu untersuchen."
Auch die europäische Arzneimittelagentur EMA hat bislang keine Hinweise darauf, dass der Impfstoff von AstraZeneca eine Blutgerinnung verursacht. Die Zahl der aufgetretenen Fälle sei nicht höher als in der Gesamtbevölkerung, sagt Behörden-Chefin Emer Cooke. Die Vorteile des Mittels überwögen die Risiken.